: Zinnsoldaten im Toaster
Premiere an der Deutschen Oper Berlin: Die Intendantin Kirsten Harms hat Richard Wagners „Tannhäuser“ neu einstudiert und dabei völlig vergessen, dass man über diesen Komponisten diskutieren sollte. Ritterrüstungen überall – doch wozu?
VON NIKLAS HABLÜTZEL
Irgendwann haben wir Linken ja unseren Frieden geschlossen mit Richard Wagner. Man kann es auch anders sehen, als es in den Textbüchern dieses geschwätzigen Salonrevoluzzers und Antisemiten aus Sachsen steht, Ikonen unserer linken Hochkultur wie Boulez und Chéreau haben es vorgemacht. In dem unsäglichen Gereime des Kapellmeisters Wagner, der keineswegs so universal begabt war, wie er glaubte, stecken kritische Blicke auf die Gesellschaft und die Ökonomie der menschlichen Seele. So kann man es sehen, gewiss, weil es dazu ja auch diese Musik gibt, deren objektive historische Bedeutung nicht zu leugnen ist – und objektive Bedeutungen mögen wir Linken schon sehr gerne.
Wenn man aber, als wagnerversöhnter, kritischer Linker, nach gut vier Stunden die Deutsche Oper in Berlin verlässt, wo diesen Sonntag mal wieder eine neue Inszenierung des „Tannhäusers“ Premiere hatte, steht der innere Burgfriede vor einer Bewährungsprobe. Warum nur soll man ihm diesen Unsinn aus verdruckstem Sex und Frömmelei durchgehen lassen? Man kann es eigentlich nicht, denn in diesem Fall entschuldigt die Musik gar nichts. Noch meilenweit entfernt von den späteren Räuschen des „Tristan“ und des „Rings der Nibelungen“ zieht sie sich ziemlich sinnlos in die Länge. Das also soll der Wagner sein, den man lieben muss?
Wohl nicht. Doch es liegt an der Regie der Intendantin Kirsten Harms und ihres Bühnenbildners und Ehemanns Bernd Damowski, dass sämtliche Vorurteile plötzlich wie Urteile aussehen. Es ist gar keine Inszenierung, sondern eine Ausstellung von Requisiten und Sängern, die mehr oder weniger gut vortragen, was in der Partitur steht. Ziemlich gut sogar, wenn es nur um das Singen allein ginge. Nadja Michael hat eine kräftige Stimme, die sie in der Doppelrolle der Venus und Elisabeth schön und wohldosiert einzusetzen weiß, und Torsten Kerl schafft es trotz einer grippalen Indisposition sogar, in der Erzählung seiner Pilgerfahrt nach Rom dem Tannhäuser ganz am Ende doch noch ein wenig Leben einzuhauchen. Sauer ist er, weil er nicht gesegnet worden ist, und lässt das mit gewagten, hässlich und unrein gesungenen Noten auch hören.
Man versteht es so gut und ist dankbar dafür. Torsten Kerl, der ein ungewöhnlich kluger Tenor ist, hat wirklich arg zu leiden in der Deutschen Oper. Ganz am Anfang steckt er in einem blechernen Taucheranzug und hängt am Seil. Angestrahlt von einem pathetischen Verfolgungsscheinwerfer, wird er hinabgelassen. Unten wartet eine Art Riesentoaster auf ihn, aus dessen Brotschlitzen immer wieder nackte Weiber auftauchen, die mit den Armen eurythmische Übungen vorführen. Das ist die Venushöhle, und es dauert ewig, bis er da unten ankommt, weil Wagner nicht wusste, wie er seine endlos um dieselben Motive kreisende Ouvertüre abschließen könnte. (Dramatische Zeitökonomie blieb zeitlebens sein Problem, weswegen wir ihm die Idee der unendlichen Melodie zu verdanken haben.)
Von Panzer und Seil befreit, versinkt der Sänger eine Weile unter Nackten und im Toaster, bis Wagner schließlich den Einsatz für die Stimme der Venus gefunden hat. Sie spürt, dass ihr Tannhäuser eine postkoitale Verstimmung hat. Er will nach Hause, zu den Blümlein auf der Wiese und zu seiner Elisabeth. Sie reden mal darüber, und Venus lässt ihn ziehen. Was soll sie sonst tun, die Göttin der Liebe? Draußen warten schon die Ritter, eingepackt in silberne Rüstungen auf Pferden, die ebenfalls in Silber verpackt sind. Dabei bleibt es dann auch: Ritterrüstungen überall – denn es kommt ja nun zum Sängerkrieg auf der Wartburg. Skandal, weil Tannhäuser zugibt, schon mal gevögelt zu haben, auch mit der blonden Elisabeth und ihren ungefähr zwei Meter langen Zöpfen, der das besser gefiel als das bloße Minnesingen der andern Ritter. Aber jetzt tut es allen leid, und Tannhäuser muss nach Rom.
Das nützt natürlich nichts, deswegen gibt es im dritten Akt keine gerüsteten Silberritter mehr. Die Bühne ist mit Lazarettbetten vollgestellt, in denen die frommen, aber fußkranken Pilger liegen. Trotzdem singen sie von ihrem Christenglück der Erlösung von den Sünden des Fleisches. Elisabeth, die es eigentlich besser weiß, tröstet sie. Wolfram von Eschenbach, der Tugendbold, der es auch besser weiß, macht sich an sie heran, sie aber will doch lieber sterben und im Himmel für den Tannhäuser beten. Endlich kommt er wirklich und will zurück zur Venus. Da steht die Tote wieder auf, die Zöpfe aufgelöst, weil sie doch die einzig wahre Venus ist …
Schrecklich, das so zu erzählen, aber es ist das, was Kirsten Harms und Bernd Damowski allen Ernstes aufführen, so als hätte es nie eine Diskussion über Form, Sinn und Aktualität auch dieser Oper gegeben. Wenn sie recht hätten, wäre Wagner niemals über das Stadium von Zinnsoldaten und pubertären Sexualängsten hinausgekommen. Aber wahrscheinlich haben sie nicht recht.