: Vier Würste für ein Halleluja
Bremen will Kulturhauptstadt werden und geht deswegen auf allen Kanälen und im wilden Terrain der Emotion auf die Suche nach seiner Identiät
Mit der Verbindung zwischen Bremen und Bayern ist es wie mit der Liebe – man möchte nicht dauernd darüber sprechen und doch begegnet einem das Thema täglich, stündlich, mindestens jedenfalls so oft man das Radio anschaltet. Sicher, Bremen und Bayern, das ist erstmal die Geschichte mit dem Fußball, eine Ebene, auf der die Nord-Süd-Fernbeziehung als heiß begehrter Rosenkrieg auf allen Kanälen stattfindet – wenn auch Werder-Manager Klaus Allofs beharrlich darauf besteht, nicht außergewöhnlich heiß zu werden in dem Moment, da er im Stadion steht und die Werder-Fans fordern, sie mögen ausgezogen werden, die Lederhosen.
Andererseits gibt es da aber auch Dinge, die tiefer gehen, Dinge, die die Seele berühren – Fragen des Charakters, oder, weil‘s doch die Verbindung zwischen Volksstämmen betrifft, Fragen der Mentalität. Die Bayern, soweit bekannt, haben gerne ihre eigene Sorte von Problemen, die sie auch auf eine ihnen unnachahmliche Art und Weise angehen. Derzeit en vogue in München: die Weißwurst und ihre Reinform. Nicht länger will man mehr mit ansehen, wie Weißwurst-Billigfabrikanten „von Buxtehude bis Zagreb“ Würste wurschteln, die nichts mehr zu tun haben mit München, mit Bayern, mit dem vorgeschriebenen Kalbfleisch-Anteil. Deshalb hat sich eine Schutzgemeinschaft gegründet, die ihre potenziellen Sympathisanten da packt, wo sie am empfänglichsten sind – in der Metzgerei. Direkt zum Wurstkauf werden Schutzgemeinschaft-Unterstützungs-Karten ausgegeben. Und an Promis mangelt‘s auch nicht: Oberbürgermeister Christian Ude (SPD) himself band sich unlängst die Kochschürze um und erklärte die Weißwurst zur Chefsache.
In Bayern wundert so was niemanden, denn in Bayern gibt es für solche Fälle den logisch rundherum zwingenden Hinweis: „Mir san mir“ (dt. „Wir sind wir“). Die Identitätsfrage, das verrät dieses Postulat, die Identitätsfrage stellt sich in Bayern nicht, und zwar deswegen, weil die Antwort schon da ist.
Bremen ist da anders. Erstens entdeckt Bremen die Identitätsfrage seit heute neu und stößt erst im Rausch der Neuerung vor auf das wilde Terrain der Emotion. Bremen fragt nicht „Wer sind wir?“, Bremen fragt: „Was ist das Wir-Gefühl?“ Zweitens verpackt Bremen die Frage nach dem „Wir-Gefühl“ in eine kunstvolle, poetische Form, nämlich: „Bremen sucht das Vier-Gefühl“. „Vier“ statt „wir“, aber warum? Weil es vier Stadtmusikanten gibt und diese vier Stadtmusikanten beim Marketing von Bremens Bewerbung für den Titel Europäische Kulturhauptstadt 2010 eine wichtige Rolle spielen: Die Projektgruppe Kulturhauptstadt kommuniziert Bremens Bewerbung mit dem Slogan „Vier sind Kulturhauptstadt“ und zeigt dazu Bilder, auf denen jeweils vier Bildelemente aufeinander aufbauen – analog zur Formation von Esel, Hund, Katze und Hahn. Außerdem sucht Bremen das „Vier-Gefühl“, weil sich aus dieser Marketing-Idee ein märchenhaftes Joint Venture ergeben hat, gibt es doch auch das Radio-Bremen-Programm Bremen 4. Dieses ist quotenmäßig das erfolgreichste Programm in Bremen und wird die Frage nicht nur ab sofort an seine HörerInnen weiterleiten, sondern alles tun, die HörerInnen zu mobilisieren: Die Internet-Seite www.bremen4u.de steht bereit, um Bremer Identitätsgefühle aufzunehem, außerdem wird ein „Vier-Gefühl-Truck“ durchs Sendegebiet touren und Gefühlsäußerungen auf Video, Tonband und Fotopapier bannen. Die Ergebnisse werden dann ab Mai veröffentlicht und zwar auf Litfasssäulen und in den Radio-Bremen-Programmen. Ferner werden die Ideen beim Roland-Fest im Juni auf einer Bühne präsentiert und in einer Ausstellung in der unteren Rathaushalle gezeigt.
Ende Juni wird die Bewerbung übrigens von einer Hanse-Kogge zur Übergabe nach Berlin geschifft – und spätestens dann geht‘s nicht mehr in Bayern, sondern im Bundesrat um die Wurst. Klaus Irler