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Archiv-Artikel

harald fricke über Märkte Rendsburg hat geschlossen

Längere Ladenöffnungszeiten machen nur Sinn, wenn es Läden gibt und Käufer

Die Lockerung der Ladenöffnungszeiten kann Leben retten, sagt die Bundesregierung. Ich weiß nicht, ob die Botschaft wirklich gut ankommt beim Einzelhandel und bei den Aldi-Kassiererinnen. Mir aber rettet sie das eine oder andere Wochenende. Schon jetzt drücke ich mich samstags bis ein Uhr faulpelzend in der Wohnung herum. Ich moppel die Möbel zurecht, dann kommt der Abwasch und die Zigarette danach. Irgendwann schaue ich auf die Uhr, es ist halb drei, aber ich bin immer noch ganz entspannt. Denn ich weiß: Was ich heute muss besorgen, das lässt sich gut noch um eine Stunde aufschieben. So ist das mit verlängerten Öffnungszeiten, kurz nach drei in den Supermarkt, Schlangestehen für zwei Liter Milch, paar Nudeln und einen Rest Fleisch von der Frischetheke. Das war’s, ab vier Uhr kann ich weiterdösen.

Offenbar gibt es mehr Menschen im Land, die meinen Lebenswandel teilen. Keine Hektik. Letzte Woche hat man zum Beispiel in Rendsburg, hoch im Norden zwischen Eider und Nordostseekanal, gleich auch den Sonntag noch zum Shopping freigegeben. Die Stadt wollte mit dem verkaufsoffenen Feiertag zeigen, dass der Fall des Ladenschlusses eine zivilisatorische Errungenschaft darstellen kann. Deshalb wurden neben den Geschäften auch Theater und Museen geöffnet, um den Einkaufstrip mit kulturellen Begleitmaßnahmen zu flankieren: eine Mischung aus Lernen, Sehen, Begreifen, Konsumieren – Synästhesie auf höchstem Niveau. Die Aktion wurde von den Stadtoberen als erfolgreiche Kampgane verbucht, am nächsten Tag berichtete die Lokalzeitung über prima Umsätze nicht bloß am Käsestand, sondern auch an der Leihbüchereitheke.

Dabei ist Rendsburg eine seltsame Stadt. Die Aktion passt überhaupt nicht in das völlig trostlose 30.000-Einwohner-Nest, in dem seit Jahren die Geschäfte sterben, weil wegen mangelnder Jobs und stetig wachsender Öde die Bevölkerung abwandert und damit auch jede potenzielle Kundschaft. Das ist der Teufelskreis der bundesrepublikanischen Seventies-Modernisierung: In den drei Straßen, die man seither Zentrum nennt, stehen bald die Hälfte der Läden leer; und der runtergerockte Supermarkt an der mehrspurigen Tangente, die mit viel Beton ins ohnehin kärgliche Innenstadtareal gegossen wurde, lässt sich nicht vermieten. Nein, selbst mit Einkauf rund um die Uhr wird aus Rendsburg kein Shopping-Eldorado. Das weiß ich aus Erfahrung, ich bin dort selbst aufgewachsen, solange ich musste.

Alles begann 1975/76, als mit der Fertigstellung der A7 die Geschwindigkeitsgrenze fiel und man per durchgedrücktem Bleifuß in Windeseile ans Hamburger Verkehrsnetz angebunden war: Wozu sich am heimischen Schiffbrückenplatz mit popeligen Stretchhosen quälen, wenn man binnen einer Stunde Fahrzeit an der Mönckebergstraße gut sitzende Wrangler-Jeans haben konnte? Wer hätte sich bei Kienass mit der neuesten Platte von Supertramp zufrieden gegeben, während Rip-Off in Hamburg mit Punkrock und Disco lockte? Mit der Beschleunigung in Sachen Infrastruktur zog das große Schnarchen ins Land. Rendsburg bekam zwar eine Fußgängerzone, in die sich einige Duftkerzenlädchen und Alternativbuchhandlungen verirrten.

Gleichzeitig wurde 30 Kilometer entfernt in Kiel die halbe City zur Shopping-Mall mit H&M, WOM & Co. umgebaut, was sich in der norddeutschen Städtekonkurrenz als enormer Vorteil erweisen sollte. Die Kerzenhändler zogen weiter, und Bücher bestellt man längst per Internet. Sollte sich das Modell des Shopping-Sonntags tatsächlich doch als Marketingrenner erweisen, wird sich Kiel sicher auch diese Attraktion abgreifen. Denn von der Provinz lernen heißt siegen lernen – notfalls im Sieg über die Provinz.

Schon aber bahnt sich für Rendsburg ein neuer Markt an. Durch die Einführung von Mautgebühren könnte die Stadt endlich von der Autobahn profitieren, die ihr in bald 30 Jahren den schleichenden Kommerztod brachte. Die Rechnung ist einfach: Bislang wurde die Schleswig-Holstein-Strecke von dänischen Unternehmen genutzt, um ihre voll beladenen Lkws hin und her fahren zu lassen, das sparte die hohen Kosten für Depots. Jetzt müssen sich die Firmen nach alternativen Lagermöglichkeiten umsehen, da liegt Rendsburg mit seinem massenhaften Leerstand gleich in der Nähe der Autobahn gerade richtig.

Demnächst will der Spielzeughersteller Lego seine Waren in den verwaisten Hallen einer ehemaligen Eisenhütte unterbringen. Zu günstigen Mieten, versteht sich. Wird die Stadt am Ende vielleicht zum Abstellraum für den europäischen Güterverkehr? Der Umsatz dürfte mit dieser Verschiebung der Transportwege kaum steigen. Doch immerhin weiß Rendsburg dann, was die Stadt anstelle von mühseligen Shopping-Events zu bieten hat: einen Parkplatz für Bauklötzchen. Wer Legosteine dagegen kaufen will, fährt nach Hamburg. Oder nach Kiel. Am besten Samstags, demnächst bis 20 Uhr.

Fragen zum Ladenschluss?kolumne@taz.de