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Archiv-Artikel

URTEIL ZUM GROSSEN LAUSCHANGRIFF HAT KAUM PRAKTISCHE BEDEUTUNG Der kleine Bruder ist gefährlicher

Das Urteil des Karlsruher Bundesverfassungsgerichts zum so genannten großen Lauschangriff hat eine hohe symbolische, aber kaum eine praktische Bedeutung. Der Eingriff des Staates in die unmittelbare Persönlichkeitssphäre seiner Bürgerinnen und Bürger bleibt weiter erlaubt – wenn auch die Eingriffsschwelle mit dem Urteil etwas höher gelegt wurde.

Entscheidender ist, dass das Urteil auf die Praxis der Strafverfolgungsbehörden so gut wie keinen Einfluss hat. Das Karlsruher Gericht mag dem Gesetzgeber bis Mitte kommenden Jahres zwar aufgeben, die gesetzlichen Vorgaben der Wohnraumüberwachung nachzubessern. Nur wird das die Staatsanwälte und Polizisten wenig interessieren. Denn für diese gilt beim Thema Lauschangriff: zu teuer, zu aufwendig, zu umständlich. Um eine Wanze in einer Wohnung zu platzieren, muss man erst einmal in die Wohnung einbrechen. Und wenn auch die Wanze selbst nicht ganz billig ist – der Anschaffungswert ist nichts im Vergleich zu den Personalkosten, die eine lückenlose Wohnraumüberwachung verursacht, besonders wenn die Überwachten nicht Deutsch sprechen und Übersetzer notwendig werden.

Weil der Aufwand so hoch ist, stellt sich auch vor jedem Lauschangriff die Frage, welche Aussicht auf Erfolg die Maßnahme hat. Gering, sagen in aller Regel die Praktiker. Im ersten „Erfahrungsbericht“ nach der Einführung der großen Lauscherei musste die Bundesregierung einräumen, dass von 1998 bis 2000 nur 70 derartige Verfahren angeordnet wurden und dass in 41 der Fälle „die gewonnen Erkenntnisse nicht für das Ermittlungsverfahren von Bedeutung“ waren. Der große Lauschangriff, von den Befürwortern als Wunderwaffe zur Kriminalitätsbekämpfung gepriesen, hat sich als stumpfes Instrument erwiesen.

Wer das gestrige Urteil aus Karlsruhe als Meilenstein für den Schutz der Bürgerechte feiert, irrt leider. Sie werden an anderer Stelle abgebaut – etwa beim kleinen Bruder des großen Lauschangriffs, dem Abhören von Telefonaten. 26.000 pro Jahr wird die Genehmigung dazu erteilt, Tendenz steigend. Seit 1995 hat sich die Zahl der kleinen Lauschangriffe verfünffacht. WOLFGANG GAST