: Ganz oder gar nicht
Bode Miller und Hermann Maier werden den Gesamtsieg im alpinen Weltcup wohl unter sich ausmachen
BERLIN taz ■ Es war eine Unaufmerksamkeit, eine Nachlässigkeit, wie sie Bode Miller schon öfter passiert ist. Am letzten Wochenende in Kranskja Gora, wo die Technikspezialisten des alpinen Weltcups unter sich waren, hätte er Hermann Maier, dem großen Konkurrenten aus Österreich, wichtige Punkte im Gesamtweltcup abnehmen können. Diese Chance konnte er sich eigentlich nicht entgehen lassen. Oder? Doch, er konnte. Auf den Slalomhang ist er nach seinem Patzer zwar wieder zurückgestiegen und noch mal angefahren, der Rückstand freilich war gewaltig. Für das Finale jedenfalls reichte es nicht mehr; und damit waren auch die Punkte futsch. Das war ärgerlich. Und es zeigte einmal mehr: Mittelmaß gibt es für Bode Miller (USA) nicht. Für ihn gibt es nur: ganz oder gar nicht. Darin gleicht er freilich seinem großen Konkurrenten. Auch Maier sind durchschnittliche Ränge fremd. Er siegt – oder alles misslingt. Oder er kann erst gar nicht starten, man kennt ja die Geschichte vom Motorradunfall.
Ein anderer Sportler als Miller wäre nach dem Missgeschick im Slalom tiefen Selbstzweifeln erlegen oder hätte sich maßlos geärgert. Der Amerikaner hingegen steckt solche Pleiten weg wie eine Nebensächlichkeit. Und immerhin hatte er tags zuvor den Riesenslalom gewonnen. Immerhin liegt er jetzt, da die Weltcupsaison sich ihrem Ende zuneigt, acht Punkte vor Maier. Dass auch Benjamin Raich und Stephan Eberharter rein rechnerisch noch Chancen auf den Gesamtweltcup haben, scheint die beiden nicht sonderlich zu interessieren. Der Zweikampf heißt Maier gegen Miller.
Im norwegischen Kvitfjell stehen am Wochenende Super G und Abfahrt auf dem Programm. Diese Disziplinen liegen eher Maier, aber selbst das stört Miller nicht. Im Zweifelsfall behauptet er sich auch auf Abfahrten und im Super-G. Überhaupt: Was ist das schon, so eine große Kristallkugel, die er eventuell gut eine Woche später entgegennehmen darf? „Mir geht’s um Spaß und nicht darum, einen Pokal im Schrank stehen zu haben“, sagt Miller. Er mag es ein wenig rebellisch. Vielleicht passt die Kristallkugel ja auch gar nicht ins Miller’sche Wohnmobil, mit dem er von Piste zu Piste tourt, weil er in Hotelzimmern nicht gerne übernachtet. Und mit dem er schon einmal, so wie neulich, nach Prag tingelt, während andere tapfer trainieren.
Anders als die meisten anderen ist freilich auch Hermann Maier, der Konkurrent. Wer hätte geglaubt, dass er nach dem Unfall 2001, als die Ärzte sogar kurzzeitig an eine Unterschenkel-Amputation denken mussten, jemals wieder würde Ski fahren können? Sein Bein sieht immer noch ein wenig komisch aus, schon wegen der Geschwulst, resultierend aus dem offenen Bruch. „Aber sonst passt wieder alles“, erläutert Maier. Ruhiger ist er geworden seit jenem Sommer. Manche Erfolge registriert er in sich gekehrt, eine tiefe Befriedigung und Dankbarkeit ausstrahlend. Er sagt: „Man sieht eben vieles bewusster. Man merkt eher, was Erfolge wert sind.“ Maiers Blick schweift öfter in die Ferne, so als sei ihm das Gewusel auf der Strecke zu banal, als suche er Sinnhaftes ganz woanders und nicht im Kunstschnee des Weltcups. Aber freuen würde er sich schon über die Kristallkugel. „Ich muss nur gut fahren und darf mich nicht verletzen. Der Rest kommt dann von alleine“, sagt er.
Von großen Kristallandenken spricht in Reihen der deutschen Skirennläufer niemand. Aber die Tristesse und Hoffnungslosigkeit der vergangenen Jahre ist doch verschwunden und dem breiten Grinsen von Felix Neureuther gewichen. Der 19-Jährige, bei dem natürlich erwähnt werden muss, dass Rosi Mittermaier und Christian Neureuther die Eltern sind, hat sich nicht nur um Unbeschwertheit bemüht, sondern sie auch gezeigt. Brav hat er sich im Slalom bewährt, gibt flotte Sprüche zum Besten. Alois Vogl ist zwar ungleich stiller, schnell unterwegs war er zuweilen trotzdem in diesem Winter: Sechster und Achter. Beim Weltcup-Finale in Sestrière, für das sich die 25 Besten einer jeder Disziplin qualifizieren, dürfen Neureuther und Vogl starten und live mit ansehen, wer schließlich der Beste ist: Miller oder Maier. KATHRIN ZEILMANN