Kein „netter Siegertyp“

betr.: „Ein Super-Wahljahr für die SPD“, taz vom 1. 3. 04

Wir sollten die Hamburger Wahl sportlich sehen! Die fünf Sitze Mehrheit gegenüber Rot-Grün sind nicht so übermächtig, wie die Worte „absolute Mehrheit“ gern suggerieren. Entscheidend ist im Unterzahlspiel der Ballbesitz, sind die gewonnenen Zweikämpfe und schließlich die umgesetzten Torchancen. Die CDU hatte 2001 ihr schlechtestes und nun plötzlich ihr bestes Nachkriegsergebnis. Nach dem zuschauerstarken Schill-Gastspiel ist Hamburg also auch im Punkt launische Fans bundesweite Avantgarde. Es riecht im hanseatischen Wählerlager allerdings bedenklich nach oberflächlichem Interesse an der politischen Diskussion, mangelnder Konfliktfähigkeit und blindem Vertrauen in lächelnde Fernsehpolitiker. Die Beliebtheit der Galionsfigur Ole von Beust hat im Übrigen nichts mit der Leistungsfähigkeit der Lokalligaspieler der CDU zu tun.

Aus dem Film „Bowling for Columbine“ wissen wir, dass die Neurose Harmoniesucht im Volk nicht einfach so entsteht, sondern von konservativen Regierungen und Medien durch Schürung von Ängsten bewusst erzeugt wird, um die Macht entsprechender Wohlfühl-, Spaß- und Sicherheitsparteien zu festigen. „Ave Ole!“ Der Zuschauer möchte lediglich ein faires Spiel mit vielen Toren sehen.

RONALD M. FINKE, Hamburg

Die Hamburger haben eine politische Larve gewählt. Als was sie sich entpuppt, wird die Zukunft zeigen.

ImWahlkampf fand eine sachpolitische Positionierung nicht statt. Statt inhaltlich Farbe zu bekennen, gab es lediglich einen orangen Farbklecks. Eine persönliche Choreografie, die Wärme und Geborgenheit ausstrahlen sollte. Hiermit hat Ole von Beust genau den Nerv einer von der rot-grünen Bundesregierung zutiefst verunsicherten städtischen Bevölkerung getroffen, die von einer „heileren Welt“ träumt.

Ob diese Scheinwelt über kurz oder lang aufrechtzuerhalten ist, darf aber bezweifelt werden. Zu groß ist der soziale Sprengstoff in einigen Stadtteilen, insbesondere im Osten und südlich der Elbe. Gebietsteile, die vormals zu den Hochburgen der SPD gezählt wurden. Doch durch die markigen Sprüche der Bundesregierung, der kleine Mann müsse seinen Gürtel enger schnallen, bei gleichzeitig offensichtlichen „Verschwendungsorgien“ des politischen Establishments, stand die Partei hier von vornherein auf verlorenem Posten. Die Abwendung vieler früherer Stammwähler von der SPD dürfte auch bei den nächsten Wahlen anhalten, sollte das politische Berlin in dieser schwierigen Zeit weiterhin auf großem Fuß leben, ohne direkte Verantwortung für sein Tun und Handeln zu übernehmen!

RASMUS PH. HELT, Hamburg

Auch bei der taz wurde Ole von Beust als großer Wahlsieger gefeiert. Viel zu wenig Beachtung fand die Volksabstimmung, die gleichzeitig stattfand. Nur 14,7 % der Abstimmungsberechtigten haben im Sinne der CDU, die den Verkauf der Städtischen Krankenhäuser anstrebt, gestimmt. Aber 48,8 % der Hamburger Wahlberechtigten, darunter auch haufenweise CDU-Wähler, haben der Regierung die Bedingung gestellt, die Städtischen Kliniken nicht zu verkaufen. CDU haben nur 32 % der Hamburger Wahlberechtigten gewählt, also deutlich weniger! Es war also kein bedingungsloser Wahlerfolg der CDU.

Der Vergleich zeigt, dass die demokratische Legitimation dieses Volksentscheides weit über der demokratischen Legitimation der CDU liegt, alleine zu regieren. […] AUREL JAHN, Darmstadt

Bei lauter konservativer Euphorie über ein vermeintlich „historisches Wahlergebnis“ sollte eines doch einmal ganz nüchtern festgestellt werden: Ole von Beust ist nicht nur für den Sieg vom 29. 2. verantwortlich – derselbe von Beust steht auch für das zweitschlechteste CDU-Ergebnis in Hamburg seit 1946 (bei der Wahl 2001).

Wichtiger aber: Absolut gesehen hatte die CDU bereits ganze fünfmal zuvor bessere Ergebnisse eingefahren, zuletzt 1987 mit 10.000 Stimmen mehr als heute. Da wird einer von ausnahmslos allen Medien als vermeintlich „liberale“ und weltoffene Antwort der CDU gedeutet und als moderner sympathischer „Bürgerpräsident Ole“ aufgebaut, dabei nährt sich sein scheinbarer Erfolg offensichtlich fast ausschließlich aus der besonderen Schwäche der SPD. Von Beust ist kein „netter Siegertyp“. Wie auch bei seiner bisherigen Politik gilt auch mit Hinblick auf das Wahlresultat: Mehr Schein als Sein.

HENNING GÜLDENSTEIN, Kopenhagen, Dänemark