NaWi wird ein neuer Zopf

Seit Jahren versuchen Schulen in dem bundesweiten „Sinus-Projekt“, einen modernen Unterricht in Naturwissenschaften zu entwickeln. Nun will das neue Schulzentrum „Wilhelm-Kaisen“ in Huckelriede sich mit einem solchen Schwerpunkt profilieren

Lange vor PISA gab es eine internationale Studie mit Namen TIMMS, die in vergleichbarer Weise auf Defizite des deutschen Bildungssystems in dem mathematisch-naturwissenschaftlichen Bereich hingewiesen hat. Im Detail zeigte der TIMMS-Bericht, dass ein relativ großer Anteil der SchülerInnen hierzulande besondere Schwierigkeiten mit anspruchsvolleren Aufgaben und Problemstellungen hat, die konzeptuelles Verständnis voraussetzen. In der pädagogischen Diskussion über die TIMMS-Folgen kamen zwei Aspekte hinzu: Das Interesse an naturwissenschaftlichen Inhalten und Fächern nimmt über die Schulzeit ab, das heißt: Der Unterricht demotiviert die SchülerInnen. Und er demotiviert vor allem Mädchen, die dazu neigen, ihre naturwissenschaftlichen Fähigkeiten zu unterschätzen.

Die Antwort auf diese Problemlage trägt den Namen „SINUS“, ein bundesweites Projekt zur Steigerung der Effizienz des mathematisch-naturwissenschaftlichen Unterrichts. Sechs Bremer Schulen sind bisher dabei, ab dem Sommer will das neue Schulzentrum „Wilhelm-Kaisen-Schule“ sich mit einem naturwissenschaftlichen Profil empfehlen und als siebte Adresse mitmachen. Das Problem liegt auf der Hand: Der Unterricht in den naturwissenschaftlichen Fächern hat keine Kontinuität, mal haben die SchülerInnen das eine Fach, mal das andere. Ein großer Teil der Lehrer macht offenbar noch zu viel Frontalunterricht. Und den Schülern werden zu oft Rezepte vorgegeben anstatt Anstöße, selbst nach Lösungswegen zu suchen. “Guter naturwissenschaftlicher Unterricht ist projektorientiert und interdisziplinär“, sagt Gerold Schmidt, Abteilungsleiter „GY“ am Schulzentrum Wilhelm Kaisen. Er hat seit Jahren dort die Vorbereitungen für das naturwissenschaftliche Profil der Schule vorangetrieben. An der Bremer Universität gelten die Stichworte „Interdisziplinär“ und „projektorientiert“ seit 30 Jahren als verbindlich, aber den Schulen werden nach wie vor von der Behörde Stundentafeln vorgegeben, die interdisziplinäres und projektorientiertes Arbeiten nur als Ausnahme zulassen. „Wir warten darauf, dass wir die Studentafeln für das nächste Schuljahr bekommen“, sagt Schulleiterin Susanne Draheim, „damit wir dann den Antrag zur Genehmigung für unsere Profilstundentafel losschicken können – den haben wir fertig in der Schublade.“ Wie und wie viel Naturwissenschaften unterrichtet werden darf, dass entscheidet die Behörde, die Ausnahmen von den Vorgaben genehmigen muss. Worum es geht, wird bundesweit diskutiert. Lutz-Helmut Schön, Professor für Physik-Didaktik an der Berliner Humboldt-Universität, formuliert es so: “Viele Pädagogen machen langweiligen Unterricht in den Naturwissenschaften, mit wenig Bezug zum Alltag der Kinder.“ Seine Kritik: zu viel Theorie, wenig gute Experimente, kaum Verknüpfung von Teilgebieten. Aber um dies zu leisten, brauche man mehr als zwei Schulstunden pro Woche. Und man braucht die Lehrerstunden für „Halbgruppen“, also eher 15 SchülerInnen in der Klasse und nicht 30. An den Schulen, an denen sich einzelne Lehrer im Rahmen des SINUS-Projektes engagieren, wird ausprobiert, wie man es anders machen kann. Und dann kann das neue Profil einer Schule auch ein gutes Image bescheren: „Sehr niedrige Schülerzahlen besonders im gymnasialen Zweig, und sprachliche Schwerpunkte in den Nachbarschulen, waren ein wesentlicher Anlass für Veränderungen“, berichten die Vertreter des Schulzentrums Findorff ganz offen in ihrem SINUS-Zwischenbericht. Mit Erfolg: „Allgemein wird eine entspanntere Unterrichtssituation in den Halbgruppen wahrgenommen. Die mathematisch-naturwissenschaftlichen Fächer verlieren ihr traditionelles Killer-Image. Anstelle der zweistündigen Taktzeiten braucht man acht Wochen intensiver Beschäftigung, sagt zum Beispiel Dieter Prunk, vor allem Chemie-Lehrer an der Wilhelm-Kaisen-Schule. „Mit Wasser leben“ wäre ein Oberthema für ein naturwissenschaftliches Projekt. Physik, Chemie, Biologie könnten sich daran beteiligen. „Wir ein Zopf“ müsse der Wissensstoff der drei Kernfächer verwoben werden und durch die Jahrgangsstufen nach oben führen, beschreibt der Physik-Kollege Wolfgang Buchholz das Prinzip. „Energie“ wäre ein anderes Thema, bei dem alle drei Fächer am lebendigen Problem für SchülerInnen deutlich machen könnten, wie die Phänomene des Lebens und der Technik durch die Naturwissenschaften verständlich werden. Im Sinus-Deutsch heißt das didaktische Prinzip: „Den Schülerinnen und Schülern muss Gelegenheiten gegeben werden, eigenständig Lösungen zu erarbeiten sowie unterschiedliche Übungsformen zu erproben und ihr Lernen selbst zu strukturieren und zu überwachen.“ Wenn das alte Schulgebäude in Huckelriede, das vor zehn Jahren geräumt wurde, saniert wird, dann soll die Möglichkeit des fächerübergreifenden Projektunterrichtes in dem naturwissenschaftlichen „Trakt“ auch zementiert, das heißt räumlich vorbereitet werden: Drei Stockwerke werden mit Fachräumen für Chemie, Physik und Biologie eingerichtet, ein Stockwerk für übergreifenden naturwissenschaftlichen Unterricht. Traum eines jeden „NaWi“-Lehrers ist es dann natürlich, dass Oberstufen-Schüler sich bei Verspätungen so kompetent quantenphysikalisch mit dem „Beugungmaximum erster Ordnung“ entschuldigen, dass daraus eine SINUS-Unterrichtseinheit für die Oberstufe werden konnte. kawe