: Integration unter einem Dach
Mehr als 50 Berliner Migrantenvereine gründen einen großen Migrationsrat. Der bundesweit erste Dachverband soll die Interessen aller Migranten vertreten – trotz der vielen Konflikte untereinander
VON WIBKE BERGEMANN
Raus aus den Partikularinteressen, rein in die gemeinsame Arbeit: Insgesamt 56 Berliner Migrantenvereine schließen sich am Sonntag zu einer Dachorganisation zusammen, der bundesweit ersten dieser Art. „Mit einem gemeinsamen Migrationsrat werden wir künftig stärker auftreten können und unserer Position mehr Gewicht verleihen“, hofft Riza Baran, Vorsitzender der Kurdischen Demokratischen Gemeinde. Immerhin sind 13 Prozent der Berliner nichtdeutscher Herkunft. Ob in der Bildungspolitik oder beim Zuwanderungsgesetz – „wir können nicht einfach sagen, wir sind dagegen. Wir müssen Gegenentwürfe erarbeiten, Studien verfassen“, so Baran. „Doch in kleinen Vereinen kann man solche Projekte nicht auf die Beine stellen.“ In einem großen Dachverband dagegen verfüge man über die nötigen Kapazitäten. Mit dem Migrationsrat soll es einen klaren Ansprechpartner für die Politik geben. Weil interne Gespräche an den kleineren Migrantengruppen meist vorbeigehen, soll der gemeinsame Rat Transparenz schaffen.
Zu den Gründungsmitgliedern gehören so unterschiedliche Gruppen wie der Polnische Sozialrat, das Vietnam Haus, die Afrikanische Fraueninitiative und der Sudanclub. Aber lassen sich die verschiedenen Interessen überhaupt unter einen Hut bringen? „Das ist das Wunder“, sagt Irene Runge, Vorsitzende des Jüdischen Kulturvereins. Bei Spannungen, die beispielsweise zwischen der Palästinensischen Gemeinde und Juden auftraten, hätten die Afrikaner vermittelt, so Runge: „Oft wussten wir nicht, was nicht geht, und deshalb ging’s.“ Auch wurden Vertreter der Türkischen Gemeinde überredet, mit zu einem Treffen bei der Kurdischen Gemeinde zu kommen.
Für Runge hat der Migrationsrat schon jetzt etwas erreicht. Durch die Vorbereitungstreffen seien persönliche Kontakte entstanden, die zuvor undenkbar waren: „Viele hatten ja noch nie einen Juden gesehen.“ Mittlerweile laden sich die Gruppen zu ihren Festen ein: zum Chanukka-Ball, zum Fastenbrechen oder zu afrikanischen Feiern. Für Hakan Tas von Gladt (Gays und Lesbians aus der Türkei) ist der Rat auch ein Forum, um eine Brücke von Schwulen und Lesben zu den Migrantengruppen zu schlagen: „Wir sind ja auch vor allem Migranten.“
„Letzendlich wogen die gemeinsamen Interessen schwerer als die Unterschiede und Spannungen“, so Runge. „Wir haben immer wieder betont, dass es um Berliner Politik geht.“ So wurde eine Klausel, die die Zusammensetzung des Vorstands nach Herkunftsidentität regelt, bewusst nicht in die Satzung aufgenommen. „Wir sollten aufhören, uns immer nur in den eigenen Themen zu bewegen, sagt Riza Baran. „Wir sind schließlich nicht der verlängerte Arm der Länder, aus denen wir kommen.“
Eine Gefahr für den Migrationsrat sieht Baran darin, dass parteinahe Vereine das Forum für Parteipolitik missbrauchen könnten oder die großen Verbände, wie etwa der Türkische Bund (TBB), in dem 30 Vereine zusammengeschlossen sind, einen zu großen Einfluss bekommen. Nach der Satzung hat der TBB künftig fünf Stimmen gegenüber den zwei Stimmen der einfachen Vereine.
Die Idee zu einem großen Migrationsrat entstand im vergangenen Jahr, als sich die Migrantengruppen auf ihre sechs Vertreter im Landesbeirat für Integration einigen mussten. „Das war die Chance, alle Migranten in Berlin zusammenzukriegen“, sagt Baran. Parallel zu den Verhandlungen um die Beiratskandidaten begannen erste Gespräche. Zehn Monate lang haben sich die Gründungsvereine vierzehntäglich getroffen und in Diskussionen eine gemeinsame Satzung ausgearbeitet. Das Projekt wurde bekannt. „Die Brandenburger haben wir dabei schlicht vergessen“, sagt Runge. Auch viele Berliner Migrantenvereine sind bislang draußen geblieben. Aber das langfristige Ziel ist, eine Interessenvertretung für alle zu werden.