Die Kompromissschlucker

Keine Chance mehr für Moritz de Hadeln, aber auch kein Freibrief für Hollywood-Produktionen: Marco Müller wird neuer Direktor der Filmfestspiele von Venedig

Moritz ist draußen, Marco ist drinnen. Am Donnerstag beendete der Verwaltungsrat der Biennale unter seinem kürzlich berufenen Präsidenten Davide Croff das monatelange Gezerre um die Direktion der Filmfestspiele von Venedig. Spätestens seit dem letzten Festival im September des vergangenen Jahres nämlich war klar, dass der 2002 berufene Moritz De Hadeln zwar die anfangs sehr skeptischen Feuilletons für sich erobert hatte: Zerschlagen hatte sich deren Befürchtung, er sei gekommen, um ganz im Sinne der Berlusconi-Rechten als gnadenloser Verflacher und Kommerzialisierer zu wirken.

Zugleich aber hatte de Hadeln sich einen übermächtigen Gegner eingehandelt: Kulturminister Giuliano Urbani aus der Forza Italia. Urbani weigerte sich seit Monaten standhaft, mit de Hadeln überhaupt zu reden; stattdessen sprach er lieber über ihn. „Zu wenige Hollywood-Stars“ hätten den Weg zum Lido gefunden, zürnte er, und zugleich ärgerte er sich darüber, dass das Festival nicht als Promotion-Agentur für das italienische Kino wirke. Dahinter stand nicht zuletzt der Ärger darüber, dass der letzte Goldene Löwe nicht an Marco Bellocchios „Buongiorno notte“– den Film über die Entführung und Ermordung Aldo Moros – gegangen war.

De Hadelns Tage waren also gezählt; das wusste der frühere Berlinale-Chef spätestens, seit Urbani den Biennale-Präsidenten Franco Bernabè – der immer treu zu de Hadeln gestanden hatte – geschasst hatte. Am Mittwoch rechnete der scheidende Direktor, dem im Januar noch mal ein Dreimonatsvertrag ausgestellt worden war, dann ab; in einem Interview mit dem Corriere della Sera teilte er mit, „aus Kreisen der Biennale“ sei ihm ein Schweigegeld von 20.000 Euro angeboten worden, gegen die Verpflichtung, wenigstens bis zum Ende des nächsten Festivals die Klappe zu halten über Interna aus Venedig. „Nicht kommentieren“ wollte der neue Direktor Croff diese Geschichte. Er habe sich von de Halden einfach trennen müssen, um die Polemiken zu beenden.

Stattdessen kommt nun Marco Müller. Damit wenigstens hat Croff sich gegen die Hardliner aus Berlusconis Forza Italia durchgesetzt, die lieber den Schauspieler Giancarlo Giannini gesehen hätten. Giannini – Müller – das war die Alternative zwischen „populär“ und „elitär“. Giannini ist beim breiten Publikum bestens bekannt und tritt auch gern als Gast in den flachen Samstagabend-Shows der RAI auf. Müller dagegen ist vor allem in Cineastenkreisen bekannt. Der 51-jährige Sinologe leitete die Filmfestspiele in Locarno und Rotterdam, ehe er, erst bei der Benetton-Kulturstiftung „Fabrica“, dann bei den Downtown Pictures aus Bologna, Filme wie den bosnischen „No man’s land“ produzierte. Iranische, russische, chinesische Regisseure durften sich über Müllers Unterstützung freuen. So kommt gerade aus den Berlusconi-fernen Zeitungen kaum Kritik an der Berufung. „Eine gute Nachricht“, meldet zum Beispiel der linke Manifesto – fragt dann aber, „welche Kompromisse Müller wohl schlucken muss“.

Die Frage ist berechtigt: Müller hat jetzt zwar einen Vierjahresvertrag gekriegt, aber einen mit Probezeit. Nach dem nächsten Festival im Herbst sollen die Resultate „überprüft“ werden, und vielleicht ist dann schon wieder Schluss für Müller.

MICHAEL BRAUN