: Nikosia: die Stadt der Mauern
Die geteilte Hauptstadt Zyperns: Gotische Kathedralen als Moscheen, orthodoxe Kirchen und dazwischen Stacheldraht
Wer in der Altstadt im Restaurant Matthäus dicke Bohnen isst, hat eine gute Wahl getroffen. Gratis dazu gibt es eine Einführung in die Geschichte von Zyperns Hauptstadt Nikosia. Denn nur wenige Schritte entfernt steht die im 19. Jahrhundert erbaute Phaneromeni-Kirche. Noch näher, nämlich von der Tischkante gut einen Meter weit, hat man es zu der winzigen Arablar-Moschee. Die griechisch-orthodoxe Kirche weist auf den ersten Blick keine Besonderheiten auf, und die Moschee ist verschlossen.
Doch vor der Kirche hat man ein kleines Mausoleum errichtet, im Gedenken an jene Bischöfe, die 1821 von den Osmanen hingerichtet wurden, weil sie mit dem griechischen Befreiungskampf sympathisiert haben sollten. Und bei näherer Inaugenscheinnahme entpuppt sich die Moschee als ehemalige christlich-katholische Kapelle, die erst unter der Türkenherrschaft eine neue Bestimmung erhielt.
Die Konkurrenz von Islam und Christentum ist es, die Nikosia bis heute nicht losgelassen hat. Allerdings kommen die Konflikte heutzutage in ihrer modernen Verkleidung, dem Nationalismus, daher. In der zypriotischen Hauptstadt lässt sich die Geschichte der Insel wie in einem Brennglas nachvollziehen.
Geprägt ist Nikosia durch seine Mauern. Da ist einmal die Altstadtmauer, die sich kreisrund, unterbrochen durch neun Bastionen, um das Zentrum zieht. Sie ist das Werk der Venzianer, die mit dem Bauwerk eine türkische Eroberung verhindern wollten – doch das ging 1571 daneben. Und dann gibt es noch eine neue Mauer, quer durch die Altstadt von Ost nach West geschlagen, die mit ihren Blechtonnen, dem Stacheldraht und den Betonunterständen eher provisorisch wirkt. Das ist die „grüne Linie“, die Nikosia in einen griechischen Sektor (im Süden) und einen türkischen im Norden teilt.
Nikosia, in dem bis vor 40 Jahren Christen und Muslime ethnisch gemischt lebten, ist heute streng nach Bevölkerungsgruppierungen separiert. Nur halten sich die historischen Denkmäler nicht an die neue Zeit. Sie haben sich dem Zwangsumzug erfolgreich verweigert und stehen immer noch da, obwohl ihnen die zuständige Bevölkerung längst abhanden gekommen ist. Was soll die Taht-el-Kala-Moschee unter lauter Griechen? Was können die Türken schon mit Ayios Lukas anfangen?
Vor diesem Dilemma standen schon 1571 die Osmanen nach der Eroberung Nikosias und der Vertreibung der dort residierenden Venezianer. Sie fanden damals einen praktischen Ausweg: Aus den katholischen Kirchen der vertriebenen Venezier wurden Moscheen, die Gotteshäuser der griechisch-orthodoxen Bevölkerung aber wurden nicht angetastet. Und so wachsen heute aus der hochgotischen St.-Sophia-Kathedrale aus dem 14. Jahrhundert zwei schlanke Minarette heraus, was gar nicht übel ausschaut.
Die Geschichte Zyperns als Außenposten der Kreuzfahrer im Mittelalter hat die Stadt nicht losgelassen. Doch Neues ist hinzugekommen. Osmanische Bauwerke wie der eindrucksvoll restaurierte Büyük Khan, orthodoxe Kirchen aus dem 17. Jahrhundert, hölzerne türkische „Kioske“ an den Wohnhäusern, die Residenz des Erzbischofs, türkische Bäder und dazwischen 50 Jahre alte hässliche Betonkästen.
Doch es sind zwei Welten, die hier durch dünnen Stacheldraht getrennt sind. Im Süden, unter den wohlhabenden Zyperngriechen, ist ein großer Teil der Altstadt längst zur zweiten Wahl geworden, wo der Putz bröckelt. Hinter der Stadtmauer sind Hochhäuser mit luxuriösen Geschäften gewachsen.
Im Norden, in der Heimat der türkischen Zyprioten, ist alles eine Nummer kleiner und ärmer. Keine glitzernden Geschäfte finden sich vor der Hauptmoschee, sondern Gemüsekarren.
Seit der ersten Grenzöffnung 2003 nacht fast 30 Jahren können sich Griechen und Türken Nikosias wieder besuchen, und das tun sie mit Begeisterung. Von Feindschaft keine Spur. Architekten beider Seiten arbeiten unter dem Dach der Vereinten Nationen an der Restaurierung alter Wohnquartiere. Die Bürgermeister kooperieren. Noch ist der Stacheldraht nicht fortgeräumt. Doch Nikosia hat die Chance, wieder zu einer Stadt zu werden – einer für alle Zyprioten. KLAUS HILLENBRAND