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Archiv-Artikel

„Die EZB verspielt zurzeit ihre Chancen“

Pech für die Konjunktur: Die Europäische Zentralbank verzichtet ohne Not auf niedrige Zinsen, meint Rudolf Hickel

taz: Herr Hickel, die Europäische Zentralbank (EZB) hat die Leitzinsen vorgestern unverändert gelassen. Ist das angemessen?

Rudolf Hickel: Ganz entschieden: Nein. Es belastet Aufschwungkräfte insbesondere der Exportwirtschaft. Damit droht die konjunkturelle Belebung zu enden, bevor sie richtig angefangen hat. Immerhin mussten die Prognosen, die bislang von einem Wirtschaftswachstum von etwa 1,7 Prozent für das Euroland ausgingen, schon in den letzten Wochen auf unter 1 Prozent nach unten korrigiert werden.

Was erwarten Sie also?

Einen weiteren Beschäftigungsabbau und eine hohe Arbeitslosigkeit.

Die EZB wollte aber nie Konjunkturmotor sein. Ihr Hauptziel ist die Preisstabilität – und dazu baut sie auf zwei Säulen, die Geldmengenentwicklung und Inflationsprognosen.

Aber hier gibt es kein aktuelles Problem, auch eine Zinssenkung hätte keine Inflationserwartungen geweckt. Die Preissteigerung dürfte in diesem und im kommenden Jahr mit etwa 1,5 Prozent deutlich unter der von der EZB akzeptierten Inflationsrate von 2 Prozent liegen. Die Geldmenge wächst zwar mit 7 Prozent deutlich schneller als mit den vorgegebenen 4,5 Prozent – das ist aber lediglich einer Flucht in Geldhaltung mangels ausreichender Rendite zu verdanken. Die EZB hätte also die Chance gehabt, deutlich zu machen, dass derzeit nicht die Inflation, sondern vorrangig die wirtschaftliche Wachstumsschwäche und die Arbeitslosigkeit bekämpft werden muss. Dabei wäre meiner Meinung nach sogar eine Zinssenkung um 0,75 Prozentpunkte, also von 2 auf 1,25 Prozent, durchaus möglich gewesen.

Immerhin ist der Kurs des Euro zuletzt auf unter 1,21 US-Dollar gesunken, ist das nicht schon ein Hoffnungsschimmer für die Konjunktur?

Das war doch nur eine Folge der von Alan Greenspan angekündigten Leitzinserhöhung der US-Notenbank! Dass es tatsächlich dazu kommt, glaube ich nicht. Die wirtschaftliche Wachstumsdynamik der USA wird durch dieses Gesundbeten überschätzt. Deshalb ist eher weiter mit einer Niedrigzinspolitik zu rechnen. Und an der weiter fortschreitenden Fehlentwicklung des US-Leistungsbilanzdefizits, das schon mehr als 5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts ausmacht und der Hauptgrund für die Schwäche des Dollar gegenüber dem Euro ist, ist so schnell nichts zu ändern – selbst wenn es den politischen Willen gäbe.

Und das bedeutet konkret?

Der Eurokurs wird sich damit weiter in die falsche Richtung entwickeln. Auch um dem entgegenzusteuern brauchen wir also sinkende Zinssätze der EZB, um Anleger nach Euroland zu locken, und eigentlich zusätzlich eine abgestimmte Aktion der großen Notenbanken, die US-Dollar verkaufen müssten.

INTERVIEW: BEATE WILLMS