: Ihr zweiter Präsidenten-Wahlkampf
Nicht zum ersten Mal geht Gesine Schwan in ein aussichtsloses Rennen, um Präsidentin zu werden. Bereits 1999 wollte sie ein Spitzenamt, das in Kungelrunden schon vergeben war – und machte die absehbare Niederlage zu einem publizistischen Erfolg
AUS BERLIN RALPH BOLLMANN
Glaubwürdig. Modern. Europäisch. Politiker von Rot und Grün können sich in diesen Tagen kaum noch bremsen, wenn sie vor der Presse die Qualitäten ihrer Präsidentschaftskandidatin preisen. Nur den wichtigsten aller Vorzüge erwähnen sie nicht, weil sie das Ringen damit schon verloren gäben: Gesine Schwan weiß sehr genau, wie man den aussichtslosen Wahlkampf um ein Präsidentenamt führt – und zumindest in einen publizistischen Erfolg verwandeln kann. Genau dies ist ihr vor fünf Jahren schon einmal geglückt.
Damals ging es zwar nur um den vergleichweise schnöden Präsidentenposten an der Freien Universität Berlin (FU), aber die Konstellation war nicht anders als heute. Auf die Besetzung des Amtes, im ideologisch umkämpften Westberlin stets ein Politikum ersten Ranges, hatte sich die konservative Mehrheit im Wahlgremium längst geeinigt – auch damals schon in koalitionspolitischer Absicht. Wie Union und FDP heute ihre Option auf gemeinsames Regieren mit der Nominierung des blassen Horst Köhler zu festigen suchen, so war es 1999 ein farbloser Technokrat, der das fragile Bündnis an der ideologisch belasteten Hochschule retten sollte: der Medizinprofessor Peter Gaehtgens, heute Präsident der Hochschulrektorenkonferenz.
Der Kür des konservativen Bewerbers war auch in Berlin-Dahlem ein schier endloses Gewürge vorausgegangen, bei dem die wahren Motive der Beteiligten oft genug im Dunkeln blieben. Der einzige Unterschied: Statt in der Charlottenburger Privatwohnung des FDP-Chefs Guido Westerwelle trafen sich die Akteure im Dahlemer Besprechungszimmer des Akademischen Senats, um ihr Personalpaket zu schmieden. „Präsident soll Prof Dr. Peter Gaehtgens werden“, verriet die Kungelrunde anschließend auf dem Briefpapier der Pressestelle. Da war die Bewerbungsfrist noch gar nicht abgelaufen.
Entsprechend überrascht zeigte sich Gaehtgens, als ihn die chancenlose Konkurrentin zu einem regelrechten Wahlkampf zwang – eine Erfahrung, die auch Horst Köhler alsbald machen könnte. Medien und Öffentlichkeit griffen die Worte der Politologin begierig auf. Endlich gab es im drögen Wissenschaftsbetrieb eine Person, die so engagiert wie allgemeinverständlich reden konnte und obendrein noch versprach, die verschnarchte Hochschule am Stadtrand in einen quirligen Campus nach amerikanischem Vorbild zu verwandeln.
So verständnislos standen die akademischen Strippenzieher dem Phänomen gegenüber, dass auf dem Campus alsbald die wildesten Theorien über eine „Pressekampagne“ kursierten, die Schwan „inszeniert“ habe. Denn in den Berichten kam der Favorit schlecht weg, von einem „Watergate in Dahlem“ sprach der Spiegel angesichts der dubiosen Wahlabsprachen. „Wer Spaß haben will“, beklagte sich Gaehtgens über die stets gut gelaunte Schwan, „der soll ins Kino gehen oder den Reichstag besichtigen. Die Wahl des FU-Präsidenten ist dafür nicht das richtige Feld.“
An den Mehrheitsverhältnissen im 61-köpfigen Wahlgremium konnte Schwan trotz ihrer Popularität freilich nichts ändern. Im Gegenteil. Womöglich aus purem Trotz fiel die Merhheit für den konservativen Kandidaten sogar deutlicher aus als erwartet: Eine Erfahrung, die Schwan womöglich auch in der Bundesversammlung bevorsteht. Damals tröstete sie sich mit einem Bonmot amerikanischer Freunde: Würde sie an einer der verfilzten deutschen Unis zur Präsidentin gewählt, hatten die Bekannten aus Übersee gewitzelt, dann könne das eigentlich nur gegen sie sprechen. Es dauerte allerdings nicht lange, bis es mit dem Präsidentenjob doch noch klappte. Nur sechs Wochen nach ihrer Niederlage in Berlin erhielt Schwan das Angebot, die Europa-Universität in Frankfurt an der Oder zu leiten – eine neu gegründete Hochschule also, die von alten Seilschaften noch unbelastet ist. Mal sehen, auf welchen Posten es die umtriebige Wissenschaftlerin diesmal verschlägt.