: „Priester lehne ich ab“
Weil das gemalte Bild nicht vorgibt, Wirklichkeit zu sein: Ein Gespräch mit dem Maler Daniel Richter über Medien, Tradition, verschwindende Menschengruppen und gesammelte Muscheln
Interview HARALD FRICKE
taz: Herr Richter, Sie sind in den Neunzigerjahren bekannt geworden, lange noch bevor deutsche Malerei zum Gütesiegel für eine neue Normalität nach der Wiedervereinigung wurde. Welches der Label macht Ihnen heute mehr Probleme?
Daniel Richter: Na gut, die Fakten vollziehen sich und man ist da mittendrin, das lässt sich nicht ableugnen. Das Problem liegt für mich eher in Veranstaltungen wie „malereizweitausenddrei“ in Frankfurt, die aus fehlender Sachkenntnis der Kuratoren in Opportunismus und Populismus umkippte. Deshalb konnte ja auch eine Kritik, deren ideologisches Hauptanliegen das Eigenheim ist, plötzlich aus der angeblich progressiven Haltung der Ausstellung ein Bekenntnis zu Deutschland und deutscher Malerei machen.
In Ihren Katalogen findet man jede Menge Material: Bücher von Hubert Fichte, Plattencover von James Brown, Zeitungsschnipsel zum Alltag im Ostblock. Soll der Hinweis auf die eigenen Prägungen eine falsche Festlegung der Malerei verhindern?
Es ist ganz einfach das Material, aus dem heraus sich mir die Welt erklärt. Ich bin meine eigene Sammlungsbewegung: Eine Parteilinie existiert nicht mehr, aber daraus schließe ich nicht, dass die Partei abgeschafft gehört, sondern ich frage mich, wie sie sich verbessern lassen könnte.
Dabei haben Sie sich von Anfang an für Malerei und Zeichnung als Medium entschieden?
Sagen wir mal, für das Medium der Tradition.
Jedenfalls haben die Arbeiten nichts von der Euphorie aus Club- und Popkultur, die immer noch von Videokunst ausgeht.
Ach, euphorische Medien, das sind doch eigentlich Priester, so was lehne ich ab.
Und früher nannte man Maler die Hohepriester der Moderne.
Das ist so ein Hin und Her. Ein Jahrhundert, da wechseln die Haltungen von David zu Courbet, vom Hohepriester zum Antihohepriester und vom Staatskünstler zum Antikünstler … Aber zurück zur Malerei, da geht es um Selbstbeschränkungen, und diese Limitiertheit ist es, die ich von Bildern erwarte. Im Medium Malerei gibt es keine Entschuldigungen, das gemalte Bild kann niemals sagen: Ich bin die Wirklichkeit. Zumindest nicht so, wie es bei einem Foto der Fall zu sein scheint. Natürlich weiß jeder heute, dass Fotografie manipulierbar ist, dass sie am Computer verändert werden kann, das ihre „Objektivität“ ein ideologisches Bekenntnis ist – was soll’s? Die Basis allen Bildsehens ist eine Frage dessen, wie wir Wirklichkeit beschreiben wollen. Da ist aber das gemalte Bild, das nicht vorgibt, Wirklichkeit zu sein, allen anderen Medien an Abstraktionsvermögen überlegen.
Außerdem lässt sich ein gemaltes Bild kaum auf die visuelle Alltäglichkeit von Situationen reduzieren, wie es oft in der Videokunst geschieht. Selbst ein banaler Gegenstand wird qua Malerei zum singulären Ereignis.
Ja, Malerei hat immer noch diesen lustigen Originalcharakter, der anderen Medien fehlt – und das ist gut, meinetwegen auch als romantischer Anachronismus. Je mehr an geschichtlicher Aufarbeitung in einem Bild enthalten ist, je mehr braucht es auch an Originalität, die man eben nur in diesem Bild sehen kann.
Damit die Darstellung dem abzubildenden Ereignis gerecht wird?
Nein, ich meine das ereignisunabhängig – Sehen als unmittelbare Konfrontation mit dem Bild, so wie es da in der Ausstellung hängt. Es ist ein Unterschied, ob du ein Bild im Katalog reproduziert siehst oder ob du vor einer vier Meter großen Fläche mit all ihrer Materialität und all ihrer gestischen Vielfalt stehst. Diese Differenz ist das Widerständige an Malerei, ein Lob der hoch individualisierten Darstellungsmöglichkeiten.
Im Gegensatz zur Betonung von Individualität und Einzelgängertum sieht man auf Ihren Gemälden Menschen fast ausschließlich in Gruppen.
Das ist das Erbe der DDR-Malerei! In der Nachkriegsmoderne wurde im Westen der Topos vom Mensch als Gruppe abgeschafft, das gibt es nicht mehr, höchstens bei Guttuso oder Immendorff. Und in der DDR, da ist es die Arbeiterklasse, die unter Führung von Willi Stoph in die Verheißungen des Sozialismus wandert, ganz nach Norm. Im Westen war alles individualisiert, wer hätte sich da noch mit Fragen der Zugehörigkeit von vier oder fünf Figuren auf einer Leinwand beschäftigen wollen? Mich hat das beschäftigt, zu Beginn der Moderne waren die Bilder doch voll mit Menschen!
Heißt das für den Maler nicht auch: Wer mehr Leben zeigen will, muss mehr Wert auf die Organisation bei dessen Darstellung legen?
Ganz genau. Tatsächlich muss ich ja immer versuchen, Beziehungen abzubilden, die ich außerhalb der Malerei nur ungenau beschreiben kann. Ich mag es nicht, wenn man dann meine Bilder etwa auf Gewaltsituationen reduziert, das ist, als würde man über Picasso sagen, er habe nur nackte Frauen gemalt.
In der Malerei wird aus dieser Vagheit also Realität?
Da ist zunächst eine Faszination für Unterschiede, so wie Kinder Muscheln sammeln und sie dann kategorisieren, ohne das System genau zu kennen. Ähnlich entstehen bei mir die Themen: Alle leben in dieser Gesellschaft ihre Differenzierungen aus, das ist ein unentwegtes System aus Individualisierungen. Ich stehe mittendrin und schaue zu, weil mich dieser Zustand interessiert. Am Ende findet sich alles als faszinierte Paranoia in meiner Malerei wieder.
Man könnte auch sagen, dass Malen bei Ihnen den Zivilisationsprozessen folgt – Scheitern inklusive, so wie der Kampf zwischen Elefant und Bär in der Zirkusarena auf dem Bild „Pimperialismus“?
Alles läuft aus dem Ruder, machen wir uns nichts vor.