: Profitabler in Tschechien
Nicht nur das Rolltreppen-Werk in Stadthagen: Aus der Metall- und Zulieferindustrie häufen sich die Hiobsbotschaften. Die Politik ist machtlos
Hannover taz ■ Zum Einjährigen der neuen Landesregierung überschlagen sich FDP und CDU mit Eigenlob: Gebetsmühlenartig feiert Ministerpräsident Christian Wulff (CDU) ab, dass Niedersachsen in seinem ersten Regierungsjahr 2003 das einzige Bundesland gewesen sei, in dem die Arbeitslosigkeit zurückgegangen ist. Über 50 Prozent mehr Gründer, jubelt Wirtschaftsminister Walter Hirche (FDP) – um im gleichen Zug den Anstieg der Unternehmenspleiten im Land um 16 Prozent „als Alarmsignal an die Bundesregierung“ zu geißeln.
Klar ist: An den Abwanderungswünschen vieler Unternehmen gen Osteuropa und Asien scheint Politik nicht viel ändern zu können. Vor allem die Nachrichten aus der Metall- und Zulieferindustrie sind derzeit mehr als alarmierend.
Dass der Rolltreppenhersteller Otis in Stadthagen nach 40 Jahren die Produktion komplett einstellen und 360 Angestellte (außer den Chefs) auf die Straße setzen will, ist nur eins der gruseligen Puzzlestücke im weltweiten Job-Wettstreit. In Deutschland sei die Produktion zu teuer, hatten Manager der Otis-Mutter UTC im fernen Hartford (Connecticut) errechnet. „Hier geht es nur darum, dass man statt 13 bis 15 Prozent künftig 20 Prozent Gewinn machen will“, sagte Gottfried Kunkel von der IG Metall.
Obwohl Otis Deutschland also angeblich im vergangenen Jahr zwölf Prozent Rendite einfuhr, wird die Produktion komplett nach Tschechien verlegt. Dort kostet ein Facharbeiter nur 500 Euro im Monat, in Deutschland 3.000. Bittere Zahlen. VW Nutzfahrzeuge stellte im vergangenen Jahr dagegen sogar 1.500 neue Leute ein – allerdings am polnischen Standort Poznan. Im Werk Hannover dagegen konnte die Belegschaft 2003 gerade auf einem Stand von 15.000 gehalten werden. Insgesamt fuhr die VW-Tochter 2003 mit minus 233 Millionen Euro das schlechteste operative Ergebnis aller Zeiten ein.
Dass bei lahmender Autokonjunktur der Preisdruck stärker steigt als sonst, spüren derzeit auch VW-Zulieferer in Emden: Das Land Niedersachsen solle als größter Aktionär „im Interesse der Beschäftigten“ bei den VW-Zulieferern DFE Dräxlmaier und VW Bordnetze “eingreifen“, forderte jüngst der grüne Fraktionsvize Enno Hagenah. Auch hier geht es um Konkurrenz aus Billiglohnländern. Ob ein politischer Eingriff im VW-Aufsichtsrat jedoch langfristig Jobs sichert, bleibt zweifelhaft.
Auch beim Streit zwischen Gewerkschaft und Unternehmensleitung in einem weiteren niedersächsischen Traditionsbetrieb sind Wulff und Co. machtlos: Mit ihrer „Kampfansage“ verhindere die Gewerkschaft eine „zukunftsträchtige Lösung“ für das Werk in Hannover, hatten sich in der vergangenen Woche die Bosse des Reifenherstellers Conti geärgert. Gerade hatte die Gewerkschaft eine Erhöhung der Wochenarbeitszeit von derzeit 37,5 auf 40 Stunden ohne Lohnausgleich erneut als „nicht hinnehmbar“ abgelehnt. Immerhin bedeute der Vorschlag 15 Tage Gratisarbeit im Jahr.
Außerdem verlangt Conti den Wegfall von bislang zehn freien Tagen im Jahr für die 3.500 Mitarbeiter. “Erpressung“ sei das, ärgerte sich die IG BCE. Landesbezirkschef Peter Hüttenmeister warf Conti vor, mit einem Standortwechsel zu drohen. Längere Arbeitszeiten ohne Lohnausgleich seien „Maßnahmen in Krisenfällen“. Von schlechten Zeiten könne angesichts der Rekordbilanz im vergangenen Jahr nicht die Rede sein.
Die Gewerkschaften blockierten Investitionen in Höhe von mehr als 20 Millionen Euro, konterte Vorstandsmitglied Hans-Joachim Nikolin. Dieses Geld werde gen Osteuropa fließen, „weil sich die Investition in Stöcken ohne den nötigen Beitrag der Beschäftigten nicht rechnet“. Seit 2001 schloss der Reifen-Multi weltweit fünf Werke, darunter eins in Deutschland. Und baut seitdem (weltweit 66.000 Beschäftigte) vor allem in Rumänien, Tschechien und der Slowakei neue Kapazitäten auf. Auch in China sollen demnächst per Joint-Venture Reifen produziert werden. Mit einem Partner hatte sich das Unternehmen schon in den russischen Markt gedrängt – von Produktionsstandorten in Deutschland redet hier niemand mehr. Kai Schöneberg