: www.geschichtsklitterung.de
VON TIMO HOFFMANN
Ganz oben ist die Flagge der Deutschen Demokratischen Republik abgebildet. Im schwarzen Balken der Fahne steht „Grenztruppen der DDR“ und im gelben „Im Dienst für den Frieden“. Darunter steht ein Satz des französischen Sozialisten Jean Jaurès: „Tradition heißt, das Feuer am Brennen zu halten und nicht, Asche aufzubewahren.“ Es ist das Forum der Website www.grenztruppen.net, wo sich ehemalige Grenzsoldaten der DDR austauschen.
Beim Thema „Tote an der Staatsgrenze der DDR“ kommt einer zu dem Fazit: „Wir Grenzer haben uns nichts, gaaaar nichts, aber auch gar nichts vorzuwerfen.“ Ein anderer schreibt: „Wir waren Teil eines souveränen Staates und hatten an dieser Grenze eine Aufgabe zu erfüllen. Und ich für meinen Teil nehme für mich in Anspruch, das ehrenvoll getan zu haben.“
Viele Beiträge variieren stets dieselbe Aussage: Dass Menschen an der Grenze starben, sei bedauerlich. Aber die Flüchtenden hätten das Risiko gekannt, erschossen zu werden, und seien dazu bereit gewesen, bei ihrer Flucht Grenzsoldaten zu töten. Deshalb sei es für die Grenzsoldaten legitim gewesen, auf die Flüchtenden zu schießen.
Die Website www.grenztruppen.net ist nur eine von vielen, die versuchen, „das Feuer am Brennen zu halten“. Knapp zwei Jahrzehnte nach dem Fall der Mauer lebt ein kleiner Teil der DDR im Internet weiter. Ehemalige Angehörige ihrer Staatsorgane finden hier zueinander.
Manchmal geht es nur darum, Kameraden oder Kollegen von früher wiederzutreffen. Häufiger aber geht es mehr oder minder deutlich darum, die Geschichte der SED-Diktatur zu seinen eigenen Gunsten umzuschreiben. Viele Seiten bezeichnen es als wichtigstes Ziel, Geschichtsfälschung entgegenzuwirken – und betreiben genau das.
So verharmlosen auf www.mfs-insider.de frühere hauptamtliche Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) die Tätigkeit ihrer einstigen Überwachungsbehörde. Sie erheben die Stasi in den Rang von Geheimdiensten demokratischer Staaten, veröffentlichen revisionistische Essays und Protokolle ihrer Treffen.
Das „Insiderkomitee zur Förderung der kritischen Aneignung der Geschichte des MfS“ habe das Ziel, „eine möglichst objektive Bewertung der Tätigkeit“ der Stasi zu erreichen, heißt es in einer Selbstdarstellung. Die eigenen Angaben zufolge weniger als hundert Mitglieder wendeten sich gegen „Ausgrenzung ganzer Bevölkerungsgruppen Ostdeutschlands“. Die rund 1.500 Mitglieder starke „Gesellschaft zur rechtlichen und humanitären Unterstützung“ (GRH), deren Geschäftssitz sich im Verlagshaus der ehemaligen SED-Zeitung Neues Deutschland befindet, bietet auf ihrer Website www.grh-ev.org Mitarbeitern der DDR-Organe juristische Hilfe an – gegen „politische Strafverfolgung und Kriminalisierung von DDR-Bürgern“, wie es heißt. Denn diese Anklagen beabsichtigten vor allem, „die DDR in Deutschland und weltweit als ‚Unrechtsstaat‘ zu delegitimieren“. Schülern rät der Lobbyverband, der vom früheren DDR-Vizegeneralstaatsanwalt Hans Bauer geführt wird, vom Besuch der Gedenkstätte im früheren Stasi-Untersuchungsgefängnis Berlin-Hohenschönhausen ab.
Die „Gesellschaft zum Schutz von Bürgerrecht und Menschenwürde“ (GBM), in der auch einstige SED-Funktionäre und Stasi-Mitarbeiter ogrganisiert sind, wiederum behauptet auf ihrer Seite www.gbmev.de, sie wolle lediglich „ein wahrheitsgetreues Bild der DDR-Vergangenheit“ vermitteln. Was der nach eigenen Angaben 3.000 Mitglieder starke eingetragene Verein darunter versteht, lässt sich unter der Überschrift „Gegen Entstellungen von DDR-Geschichte“ nachlesen. Es gebe „kaum ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit, das dem realen Sozialismus im Osten Deutschlands nicht angehängt wird“, heißt es da.
Lügen und verleumden
Für viele Opfer der DDR-Diktatur sind solche Darstellungen nur schwer zu ertragen. „Bei Menschen, die in der DDR verfolgt wurden, können solche Seiten Traumatisierungen hervorrufen oder wieder entfachen“, sagt Carola Schulze, Mitarbeiterin in der Beratungsstelle der „Union der Opferverbände kommunistischer Gewaltherrschaft“. „Da ist so viel Sensibilität vorhanden, dass so etwas verheerende Wirkung hat.“
Wolfgang Schmidt, der früher Oberstleutnant der Stasi war und heute die Seite www.mfs-insider.de betreut, will davon nichts hören: „Bei mir löst auch so manches Traumatisierungen aus“, sagt er. Ihm gehe es darum, „Lügen und Verleumdungen“ über Ex-Stasi-Mitarbeiter „Fakten entgegenzusetzen“. Spricht man ihn auf Stasi-Opfer an, stilisiert er sich und seine früheren Kollegen als Leidtragende einer „staatsoffiziell verbreiteten Geschichtsdeutung“, erzählt von Morddrohungen gegen ihn und verweist auf die geringe Arbeitslosigkeit in der DDR.
Internetseiten wie die von Schmidt seien „abstoßend“ und „ein hilfloser Versuch von Ewiggestrigen, die DDR schönzuschreiben“, sagt Dietrich Wolf Fenner von der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur. Es würden Opfer verhöhnt. Die GBM-Erklärung zur DDR sei „ein Gruselpamphlet im Stil von Karl-Eduard von Schnitzler“, dem früheren Chefkommentator des ostdeutschen Staatsfernsehens.
Die Aktivitäten von „Insiderkomitee“, GBM und GRH seien bedenklich, aber legal, urteilte im Frühjahr 2007 der Berliner Verfassungsschutz in einem Bericht: „In allen Fällen handelt es sich um ideologisch und psychologisch motivierte Verklärungen der SED-Diktatur, die jedoch nicht auf ein aktuelles Bestreben abzielen, die bestehende politische Ordnung der Bundesrepublik Deutschland zu beseitigen.“
Worauf das „Insiderkomitee“ allerdings abzielt, ist, Schüler zu erreichen. „Gerade junge Menschen versuchen, sich beide Seiten anzuhören“, sagt Ex-Stasi-Offizier Schmidt. Immer wieder erreichten ihn Anfragen von Schülern, mit denen er sich dann manchmal treffe, um ihnen seine Sicht der Dinge zu erläutern.
Experten sind sich darin einig, dass solcher Geschichtsklitterung mit schulischer Bildung entgegengewirkt werden müsse. Tatsächlich stellte sich im Juli bei einer Befragung von über 5.200 Jugendlichen heraus, dass Schüler nur sehr wenig über die DDR wissen. Nur etwa jedem Dritten war bekannt, dass die DDR die Mauer gebaut hatte. Um das zu ändern, fördern die Stiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur und die Bundeszentrale für politische Bildung Informationsprojekte, Dokumentarfilme, Internetportale und Aufklärung in Jugendmedien.
Die Freiheit des Internets
Klaus Schroeder, der Leiter des Forschungsverbunds SED-Staat der Freien Universität Berlin, hält das für den richtigen Weg. Man müsse potenzielle Nutzer so aufbauen, dass sie „über solche Seiten lachen“, sagt er über die Webpräsenzen von „Insiderkomitee“, Grenzsoldaten, GBM und GRH. Vorbildhaft sei das neue interaktive Portal www.deinegeschichte.de. Schüler können dort Texte, Fotos, Videos und Audiodateien zur deutsch-deutschen Geschichte publizieren und rezipieren. Er nehme die DDR-Beschönigungen im Internet nicht so ernst, sagt Schroeder. Das seien „alte Leute“, die „ihre Lebensleistung gewürdigt sehen wollen“. „Die Opferverbände werten die durch ihre Empörung nur auf.“
Dennoch registriert der Politikwissenschaftler wie viele andere Fachleute auch die Tendenz, dass das öffentliche Relativieren von Unrecht im SED-Staat durch ihre ehemaligen Funktionsträger zunehme. „Seit ein paar Jahren werden sie wieder selbstbewusster und offensiver“, sagt Schroeder. „Sie merken, dass die DDR wieder positiver aufscheint.“
Offensichtlich wurde dieser Trend auf einer Bezirksversammlung in Berlin-Hohenschönhausen am 14. März 2006. Auf einer Veranstaltung, auf der über die Forderung diskutiert werden sollte, Gedenktafeln an nahen Ex-Stasi-Abteilungen anzubringen, tauchten mehrere hundert Exmitarbeiter der Stasi auf, protestierten gegen das Anliegen und brachten den damaligen Kultursenator Thomas Flierl (PDS) in Argumentationsnot.
Doch nicht alle ehemaligen DDR-Bürgerrechtler reagieren mit einem Reflex der Empörung: „Ich habe mich totgelacht über die Seiten“, sagt Thomas Krüger, Präsident der Bundeszentrale für politische Bildung und in der DDR in der oppositionellen Kirche von unten aktiv. „Dass dieser Unsinn verbreitet werden darf, ist der Preis der Freiheit.“ Dennoch plädiert Krüger dafür, zu prüfen, ob Suchmaschinenbetreiber den Einfluss dieser Seiten begrenzen können. „Es wäre sicherlich sinnvoll, mit Google einmal darüber zu sprechen, ob sie solche Seiten im Ranking herabstufen können, sodass sinnvolle Bildungsangebote zuerst angezeigt werden.“
Auf eine entsprechende Nachfrage der taz reagierte Google ablehnend: „Unsere Aufgabe liegt darin, Inhalte auffindbar zu machen, nicht jedoch, sie nach subjektiven Maßstäben inhaltlich einzuordnen, geschmacklich zu bewerten oder gar zu zensieren“, sagte Sprecher Kay Oberbeck. Webseiten mit illegalen Äußerungen würden aus dem Suchindex entfernt. Die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien pflegt eine Liste illegaler Seiten, die automatisch bei Suchergebnissen nicht angezeigt werden. Alles Weitere sei Aufgabe des Gesetzgebers, „aber sicherlich nicht die eines Technologieanbieters wie Google“.
Und so wird es dabei bleiben, dass Nutzern, die bei Google die Stasi-Kurzform MfS als Suchwort eingeben, als einer der ersten Treffer die Homepage der Ex-Stasi-Mitarbeiter angezeigt wird. Das Internet sei eben ein „ideales Medium für Meinungsfreiheit“, schwärmt der frühere Stasi-Oberstleutnant Schmidt.