: Effe – warum dieser Hass?
von PETER UNFRIED
Was passierte gestern in Berlin?
Stefan Effenberg hielt die Auftaktpressekonferenz zur Feier seines an diesem Morgen um 7.30 Uhr erschienenen Buches. Großer Auftrieb, unfeines/unliterarisches Gedrängel. Prolls? Hinten stand aber immerhin mindestens ein deutscher Literatur-Redakteur. Effe auf dem Podium, daneben qualmte die Zigarre seines Verlegers Bernd Lunkewitz. Effe trug ein viel bewundertes T-Shirt mit der Aufschrift „Sei lieb“.
Effe: „Sie kennen ja meine Ironie.“
Aber niemand kannte sie.
Claudia Strunz stand nur am Rand. Dafür bückte sie sich manchmal. Wer wollte, konnte ihr dann volles Rohr in die Bluse schauen.
Was steht wirklich im Buch?
Natürlich was ganz anderes und Differenzierteres als im Bild-Vorabdruck. Sagt sein Verleger. „Ich habe es allen gezeigt“ (Rütten & Loening, 19,90 Euro) ist eine Autobiografie eines deutschen – vom Bildungsbürgertum emanzipierten – Gegenwartslebens. Der stilistische Kniff besteht darin, in einem stream of unconsciousness den bisweilen rauen, restringierten Code des Lebens in Literatur umzuwandeln. Vordergründig geht es um einen Fußballer, der zur Tankstelle fährt, säuft, Sex und Ärger hat mit zwei Frauen. Zudem fordert er unter bestimmten Voraussetzungen die Todesstrafe. Kurz gesagt: „Ein beispielhaftes Leben“. Man muss es nur richtig lesen. Sagt sein Verleger.
Warum finden aber wieder viele Menschen Effenberg scheiße?
Große Fußballer sind immer große Projektionsflächen. Auch über den Fußball hinaus. Während die meisten aber für den Anhänger/Verbraucher sowohl positiv als auch negativ zu nutzen sind, wird Effenberg mit wenigen Unterbrechungen nur negativ rezipiert. Das liegt nicht am Fußball, sondern an seinem „Charakter“. Effe hat in seiner Öffentlichkeitsarbeit die üblichen, opportunistischen Gesten verweigert. (Ganz abgesehen davon, dass er sich öffentlich nie um das moralisch richtige Handeln bemüht hat). In den von seinem Presseberater Jan Mendelin verfassten Aufzeichnungen verbrämt Effe auch nicht, dass „Ich“ ein zentraler Begriff für einen Menschen ist. Ihm wird deshalb von vielen nicht zugestanden, was proletarischen Kollegen wie David Beckham (trotz Tragens von Frauenunterwäsche!) oder selbst Mario Basler zugestanden wird: ein „guter Kern“. Mindestens einer findet aber, Effe sei „ein wunderbarer Mensch.“ Sein Verleger.
Warum hassen neuerdings feinsinnige Feuilletonisten Effe?
Weil sie nichts Besseres zu tun haben. Aber auch, weil sie einen Aufmarsch eher amoralischer Proleten wahrnehmen, der sie nicht mehr amüsiert, sondern seit dem Verkaufs- und Öffentlichkeitserfolg von Dieter Bohlen ängstigt – und im Fall des Maurersohns Effenberg sogar in Einzelfällen ekelt. Schröder statt Brandt, Bohlen statt Grass, Effe statt Netzer: eine klare Abwärtsspirale. Dazu der orthographische Fehler im Tattoo von Claudia Strunz („Real love never die“). Wenn jetzt noch Harald Schmidt fällt, ist Polen offen. Effe allerdings, man muss es sagen, ist ja „Demokrat“. Wenn man ihm sagt, dass es gebildete Menschen gibt, die ihn „zum Schweigen bringen“ lassen wollen, antwortet er: „Bitte sehr. Wenn das seine Meinung ist – oder Ihre. Auch solche Leute gibt es. Ich stehe über diesen Dingen.“
Effe und sein Frauenwechsel – ist da was nicht in Ordnung?
Grundsätzlich ist Effe in dieser Sache Mainstream. Auch diverse Zeitgenossen wie Basler, Häßler und Möller haben sich im Laufe ihrer Karriere nicht nur spielerisch, sondern auch privat weiterentwickelt. (Ausgerechnet Thomas Häßler sogar hin zu einem Nacktmodel). Der Wechsel gehört praktisch zu einer neoklassischen Aufsteigerkarriere, bei der die erste Partnerin meist noch aus B-Jugend-Tagen mitgeschleppt wird.
Effenberg unterscheidet sich allein dadurch, dass er natürlich nicht verstohlen im Weißbiersuff irgendeine Geschäftsstellensekretärin auf der Weihnachtsfeier abschleppt – sondern bei Sushi die modelnde Frau eines Teamkollegen und Nationalspielers.
Zweiteres macht man nicht.
Genau deshalb hat es Effe konsequent gemacht. Wie den Rest auch. Den Stilkritikern gestern dieses:
„Ich bin gegen den Strom geschwommen / aber meinen Weg gegangen /
und hab im Endeffekt geerntet“/
Effe live. Bitte: Spontane Poesie.
Warum interessiert Effe überhaupt?
Auf der engagierten Suche nach neuen Epen für eine neue Zeit ist der Fußballer zu einer „interessanten Person der Zeitgeschichte“ geworden. Sagt sein Verleger. Bzw. in der Gesellschafts-Berichterstattung von ganz unten nach ganz oben geschossen. Der Fußballer (wie ja auch der Politiker) schöpft inzwischen einfach sein Potenzial besser aus, zumindest im Sinne von Bunte und Gala. „Mitten im Erfolgsrausch zerbricht eine Liebe und es entsteht eine neue Leidenschaft“. Sowas, sagte unlängst Bunte-Chefredakteurin Patricia Riekel, sei „authentisch“. Das gefällt den Leserinnen, ihr – und bestimmt auch Helmut Markwort. Topverkaufte Cover von Bunte 2003: 1. Familie Kahn, 2. Frau Effenberg.
Ist er ein „Rebell“ ( Bild )?
Nein. Er hat den starken Wunsch, anders zu sein (siehe auch Kleidung). Er lebt starke Gefühle aus (siehe auch Kleidung). Er kämpft aber nicht gegen oben. Er ist oben. Und überhaupt: Es gibt kein schöneres und treffenderes Bild von Effe als jenes, wo er auf Wolfsburger Boden einen Fotografen jagt – in Jogginghose und Badeschlappen. Rebell auf Adiletten. Schreiend komisch.
Ist er wirklich der Super-Proll?
Nein. Das ist Zeitgenosse Mario Basler. Schlecht angezogen, völlig ohne Manieren, völlig frei von deutscher Schuld. Basler war auch immer ein Außenseiter, ein Clown, der mit seinem Proll-Humor das Bedürfnis nach scheinbarer Anarchie bediente. Aber harmlos. Man muss keine Angst vor Basler haben.
Stefan Effenberg dagegen – natürlich weiß er, was Manieren sind. Gestern wurde er in der ersten Frage, als „Herr Effenberger“ angesprochen. Er antwortete trotzdem. Der Zigarrenqualm seines Verlegers nebelte ihn ein. Er ertrug es in unnötiger Toleranz. Wer macht das noch heutzutage?
Was bleibt vom Fußballer Effe?
Effenberg ist der beste deutsche Feldspieler seiner Generation. Der, der nach Sammers Ende übrig blieb – als einziger echter Weltstar, den der deutsche Fußball am Ende der 90er-Jahre noch aufzuweisen hatte. Seine besondere Leistung bestand darin, die Position des Spielmachers zeitgemäß weiterentwickelt zu haben. Effenberg war relativ einzig – ein solider Ballgewinner vor der Abwehr. Und ein kreativer Spieleröffner, der selbst gegen formierte Verteidigungen jenen Ball zu spielen in der Lage ist, der eine Situation entscheidend verändert. Ein Pass von Effenberg ist wirklich eine Kunst. Hat Klasse. Übrigens eindeutig auch moralisch. Dafür Respekt.
Wie wird das Buch laufen?
„Ungeheuer“ großartig. Sagt sein Verleger. 120.000 seien schon verkauft. Dazu Unmengen Hörbücher. Trotzdem gestern kritische Stimmen. Nicht aus moralischer Sicht, sondern im Vergleich zum Prototypen Dieter Bohlen/Katja Kessler (500.000 verkaufte Bücher). Da komme Effe ja wohl nicht mit. Effe sagte, damit könne er leben. Übrigens in Amerika.
Was kommt noch von Effe?
Tja. Wo kann er hin? Katar? Binnen zehn Tagen wird er eine Entscheidung verkünden. Und dann? Schön wäre natürlich eine völlig überraschende Wendung seiner Geschichte. Sagen wir: Ein Bettler taucht plötzlich auf (z.B. in der Bild-Redaktion), und erzählt („Effe rettete mein Leben“), wie er mal halbtot vor Effes Garage lag, und wie Effe ihn (auf Adiletten) reinholte und liebevoll gesundpflegte.
Nur: Sowas würde Effe nie machen. Ein Effe lässt sich nicht verbiegen.
Tut Effe Buße?
„Der Herr wird dich strafen, Effe“, schrie gestern urplötzlich ein zotteliger Mensch in den Raum. „Tue Buße, lies die Bibel.“ Ein verzweifelter Feuilletonist?
Leider wurde er schnell abgeführt. Sonst hätte er erfahren, dass Effe grundsätzlich keine Bücher liest. Außer Kinderbücher, Bohlen und „Hitlers Tagebücher“. Irritation im Saal. Unruhe beim Verleger.
Das war mal wieder ein großer Coup von Effe. Nie, nie, niemals soll er irgendjemand verraten, ob das Ironie war.