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Archiv-Artikel

Harte Droge Überfluss

Wer für eine neue Uhr mehr als dreihundert Euro ausgibt, ist vielleicht ein Verschwender, aber er lebt noch nicht zwingend im wahren Luxus. Dazu braucht es eine Marke, die mehr anzeigt als die Uhrzeit

von JENS E. SENNEWALD

„Du hast meine Großmutter erschlagen, und nicht mich!“, sagte der kleine Klaus. „Die habe ich nun verkauft und einen Scheffel Gold dafür bekommen.“ – „Das war wahrlich gut bezahlt!“, sagte der große Klaus und eilte nach Hause, nahm eine Axt und schlug auf der Stelle seine alte Großmutter tot.

Hans Christian Andersen, Schriftsteller

In einem Märchen von Hans Christian Andersen wird erzählt, wie der Reiche (der große Klaus) vom Armen (dem kleinen Klaus) durch Reichtum übertroffen wird. Die Geschichte durchzieht grenzenlose Verschwendung: Großmütter und Pferde werden erschlagen, Hirten ertränkt und üppige Mahlzeiten geschlemmt. Je mehr verschwendet wird, desto mehr gewinnt der kleine Klaus. Beherzte Dreistigkeit und „Branding“ führen ihn zum Erfolg. Er markiert jeden seiner Gewinne überdeutlich und treibt so den großen Klaus in immer größere Ausgaben. Mit jedem Verlust wächst dessen Hoffnung auf Gewinn, solange die Geschichten des kleinen Klaus der Verausgabung Sinn und dem Verschwender Hoffnung geben. Das Märchen vom großen und dem kleinen Klaus hat eine einfache Moral: „Gib Geld aus und erzähl davon, dann wirst du gewinnen!“

Das Zuviel, das Überbordende, der Luxus treiben hier eine neue, eine symbolische – ja eine geradezu märchenhafte Ökonomie hervor. Je mächtiger nämlich das Sinnbild und je überzeugender die Inszenierung, desto höher der Marktwert. Laut dem Soziologen Werner Sombart ist die „moderne Welt aus dem Geist der Verschwendung“ entstanden.

Die moderne Wirtschaft, schreibt Sombart, begann im 16. Jahrhundert am Hofe Franz’ I. in Paris. Dessen System verschwenderischer Galanterie perfektionierte sich bis in den Absolutismus hinein. Das Wachstum der Verschwendung hielt schließlich ein ganzes Staatssystem am Leben, das auch mit den Köpfen der Monarchen nicht fiel: Paris blieb die Kapitale des Luxus, und mit ihm kam das Kapital.

Von allen denkbaren Luxusarten ist der Tod in seiner Fatalität und Unerbittlichkeit gewiss die kostspieligste.

Georges Bataille, Philosoph

Luxus schafft mit seinen Gütern einen riesigen Arbeitsmarkt. Er treibt zudem all jene voran, die ihn sich nicht leisten können, gibt dem Streben nach dem schnöden Mammon einen Sinn. Luxus macht Hoffnung. Das Begehren nach Überfluss ist Konsumantrieb und Wirtschaftsmotor. In mindestens einer Produktgruppe, stellte die „Prestige-Studie“ 1999 fest, bevorzugen 57 Prozent der Deutschen Luxusmarken. In Frankreich geben laut Ipsos-Studie von den „Top zwei Prozent“ (Besserverdiener mit einem Jahreseinkommen ab achtzigtausend Euro) allein 31 Prozent ihr Geld für Sonnenbrillen aus, die teurer als 150 Euro sind, noch 24 Prozent kauften zuletzt eine Uhr für mehr als dreihundert Euro.

Um sich vom Notwendigen abzusetzen, muss das Überflüssige nicht nur teuer, sondern rar sein. 46 Prozent der Kunden des Luxusmultis Moët Hennessy Louis Vuitton, kurz LVMH, kommen aus Fernost. Sie gehen auf Shoppingtour zu Dior & Co., weil zu Hause die Produkte zu teuer oder schlicht nicht zu erhalten sind. Stéphane Marchand, Chefredakteur des Figaro Économie und Berichterstatter der „Kriege des Luxus“ (Original: „Les guerres du luxe“, Paris 2001), berichtet von einer Kundin in Japan, die auf die Mitteilung, sie müsse auf die Kelly-Bag von Hermès fünf Jahre warten, mit einer Mischung aus Frustration und Befriedigung reagierte. Dabei hätte sie doch im extrem verbreiterten Luxusgütermarkt eine große Auswahl verschwenderisch teurer und wenig nützlicher Waren.

Ohne Luxus geht es nicht. Wenn die Reichen nicht reichlich ausgeben, werden die Armen Hungers sterben.

Montesquieu, Philosoph

So breit das Angebot, so divers ist die Kundenstruktur: Konsumentenstudien unterscheiden zwischen klassischen Reichen, so genannten Tempelhütern, die mit Cartier-Löffeln und Dior-Windeln angefangen haben; Statussüchtigen, die sparen, um sich das Gucci-Portemonnaie leisten zu können; und Trendsettern, die immer ganz vorn dabei sind. Die wichtigste Gruppe bilden die Bobos oder Bourgeois Bohemians. Mittdreißiger der Fun-Generation, oft Erben oder Schnellverdiener, die auf ihrem Vermögen surfen. Die Bobos wollen „frei wählen“, womit sie ihr Geld verschwenden und sich nicht an eine gesellschaftliche Klasse und deren Sitten binden. Sie bilden ihre je eigene Luxuspeergroup, kleine Verschwenderherden, zu denen man sich qua brand bekennt.

Luxus gibt hier die Hoffnung, dazuzugehören oder, besser noch, durch die Entscheidung für eine bestimmte Marke selbst zu definieren, was Dazugehören aktuell bedeutet. Der neue Luxus ist der Überfluss derer, die ihn sich leisten können. In der westlichen „Zuvielisation“, so Brandingexpertin Simonetta Carbonaro, kann man aus einer schier unüberschaubaren Vielfalt von Marken und Produkten wählen.

Das beschränkt sich keineswegs auf die diamantenbesetzte Herrenarmbanduhr. Heutzutage werden Turnschuhe Luxus, wenn sie von Yamamoto designt sind. Oder MP3-Player, wenn sie von Dior eigens ein Täschchen gebastelt bekommen. Die Bobos brauchen Marke – statt allein der materiellen Eigenschaft der Produkte steht nun das Branding im Vordergrund. In Zeiten, wo ein „Scheffel Gold“ kaum noch schocken kann, zählt die Aura, die man um die Waren aufbaut. Und die schafft man noch immer am besten im eigenen Laden.

Der Luxus hat also je nach Epoche, Land oder Kultur viele Gesichter. Die Komödie dagegen, die die Gesellschaft überall und zu allen Zeiten um ihn aufzieht, bleibt sich ziemlich gleich.

Erasmus von Rotterdam, Philosoph

Vor drei Jahren, als Louis Vuitton auf die Champs-Élysées zog, wo man rund achttausend Euro Miete pro Quadratmeter zahlt, begann eine enorme Verausgabung von und für Raum. Montblanc, eine der Marken des Luxusgiganten Richemont, ist inzwischen ebenso auf den „paradiesischen Feldern“ zu finden wie demnächst Cartier mit einem 600-Quadratmeter-Laden. Die Raumverschwendung soll den Waren, die in solchen Umgebungen verkauft werden, noch mehr Glanz verleihen.

Calvin Klein, zurzeit vom Übertreten der hauchfeinen Linie zwischen Luxus und „de luxe“ – Exklusivem und Ordinärem – bedroht, gönnte sich im vergangenen Juni 550 Quadratmeter in einer prominenten Seitenstraße zu den Champs. Viel Raum in guter Lage allein reicht allerdings nicht für die Aura.

Exklusivität nennen 82 Prozent potenzieller KundInnen als erstes Luxuskriterium, noch vor hoher Qualität (80 Prozent). Die schaffen beispielsweise gefeierte Designer. Virgin Megastore lässt im populären Viertel Barbès eine 1.500-Quadratmeter-Halle vom Centre-Pompidou-Architekten Renzo Piano bauen und von Phillip Starck gestalten. Raum, als Kategorie unbedingt, soll zum Sinnstifter für Dinge werden.

Solche Symbolgeber brauchen all jene Produkte, die qua Gegenstand nicht luxuriös sind. Autohersteller Renault bringt es in seiner jüngsten Kampagne für den „Espace“ auf den Punkt: „Und wenn der wahre Luxus Raum (l’espace) wäre?“, fragt die Werbeseite, auf der man einsam an einem frei gestellten Tisch ein Paar inmitten eines überfüllten Bistros sieht. Mehr Raum ist Luxus? Das Werbebild erzählt auch: Luxus macht einsam.

Ein Nachmittag vorm Ritz auf dem Place Vendôme in Paris bringt das vor Augen: Auf dem großen, leeren Platz, gerahmt von den teuersten Juwelieren der Welt, fühlt man sich in eine kahle Edelwüste voll Goldstaub versetzt. Das ist gut so, denn Einsamkeit und Mangel sind wichtige Bezugsgrößen, um Luxus erleben und darstellen zu können. Überfluss wird nur in Relation zum Notwendigen und zum Zuwenig erkennbar. Vielleicht feiert deshalb in Zeiten, in denen die Börsenindizes den Rausch der Tiefe auskosten, „der Trotzkonsum gegen die miese Stimmung“ (Trendforscher Matthias Horx) fröhliche Urständ.

In Rezessionen erkennt man den wahren Luxus. Umberto Angeloni, Brioni-Chef

Zum High Noon in der edlen Öde trifft sich nur noch die Elite der Tempelhüter und Traditionalisten. Die Bobos kaufen um die Ecke im Concept-Store „Colette“ den ledernen Kreditkartenhalter zum Umhängen von Goyard, für 99 Euro und gehen danach zu McDonald’s BigMac essen. „Mit Anbruch des 21. Jahrhunderts“, schreiben Saphia Richou und Michel Lombard zum „Luxus in all seinen Zuständen“ (Original „Le luxe dans tous ses états“, Paris 1999), „wandelt sich der schöne Überfluss zu einem vielfältigen, einem Patchworkluxus, à la carte und nach Bedarf. Es ist die Zeit des ‚Jedem seinen Luxus‘.“

Der Verbreiterung des Luxusbegriffs stellen Trendforscher die Tendenz zum Extremkonsum zur Seite. Oben der neueste Gucci-Fummel, drunter der Slip von Woolworth – das ist kein Widerspruch und realisiert an einer Person die Regel, nach der jeder Trend seinen Gegentrend hat. Preisbewusst ist man dort, wo es nicht auffällt. Worauf es bei der Marke ankommt, ist das Luxusfeeling. „Luxus wird von dem bestimmt“, so Swatch-Chef Nicolas Hayek, „der ihn trägt.“ Dieser neue, „demokratische“ Luxus beschert Gewinne: Swatch steht in der Luxusgüterindustrie mit 2,7 Milliarden Euro Umsatz Mitte 2001 an vierter Stelle.

Luxus ist nicht das Gegenteil von Armut, sondern von Vulgarität.

Coco Chanel, Modemacherin

Den zwei Polen in der Klientel des neuen Luxustrends entspricht die Differenzierung der Industrie. Auf der einen Seite stehen traditionelle Luxusgütermultis: „Die Kraft ihrer Marken ist Teil des Erbes der Gruppe LVMH“ sagt Präsident Bernard Arnault, „man braucht Jahrzehnte, um ihr Image aufzubauen. Sie sind unbezahlbarer und unersetzbarer Bestandteil des Erfolgs.“ Mit größtem Einsatz wird dieser Wert rein gehalten durch Zentralisierung und Kompromisslosigkeit in Design und Kommunikation. Den anderen Pol der Luxusentwicklung bilden Massenproduzenten, die das Luxussegment entdecken und den „Luxus für jeden“ bieten.

Beide müssen gute Geschichten erzählen, um sich mit klar identifizierbaren Marken von allem zu unterscheiden, was nach „Masse“ aussieht. Marketing ist einer der größten Investitionsfaktoren der Luxusindustrie. Rund neunhundert Millionen Dollar investiert LVMH in seine Kampagnen, davon hundert allein für die Marke Vuitton. Nur zweihundert Millionen gehen in die klassische Werbung, der weitaus größere Teil der Investitionen wird in Entwicklung und Kommunikation der Marke gesteckt. Estée Lauder gibt dafür nicht weniger als 1,1 Milliarden Dollar aus, 27 Prozent ihres Umsatzes. Doch wie genau macht man Luxusbranding?

Für ’nen halben Luxus / Leg ich mich nicht krumm. / Nur der Scheich / Ist wirklich reich. Ideal, Popband

Ferdinand Piëch, Aufsichtsratsvorsitzender von VW, hat kürzlich Luxusautos für sich entdeckt. Ein Markt für jene unter vierzigjährigen Millionäre, die Geld haben und allen zeigen wollen, dass sie es auszugeben wissen. „Luxus schafft Identität“, meint Piëch, „fungiert als Brücke zur Gesellschaft und begründet letztendlich Lebensqualität.“ Die zweifelhafte Qualität, die im Begehren nach Verschwendung besteht, ist Ergebnis von Kommunikation, wie auch Piëch betont: „Es kommt doch nicht von ungefähr, dass Luxusautomobilen in der Öffentlichkeit und in den Medien weltweite Aufmerksamkeit zuteil wird. Luxus trifft die Herzen der Menschen.“

Ein solcher Treffer soll für VW die Edelflitzerlegende Bugatti EB 16.4 Veyron werden. Eine Marke mit mythischem Ruf. Seinerzeit waren die Sportwagen aus Italien teurer als Rolls-Royce und extrem limitiert. Die wiederbelebten Bugattis werden seit 2003 exklusiv jedem Kunden auf den Leib geschneidert, der rund eine Million Euro zu zahlen bereit ist. Die Konkurrenz zu Mercedes, Jaguar und Lexus soll die Kernprodukte bereichern und langfristig Synergien, vor allem symbolischer Natur, für die Serienmodelle nutzbar machen.

Mit der Großlimousine „Phaeton“ zeigte VW allerdings noch Unsicherheiten mit der neuen Luxusidentität. Mehr als zwanzigtausend Phaetons jährlich sind das Verkaufsziel, denen nähert man sich nur zögernd. „Spätestens Ende 2001“ wollte Piëch den Konzern bei „einer Umsatzrendite von 6,5 Prozent“ haben. Die ist noch nicht in Sicht, jetzt versucht man es schon mit Ausgabenkürzungen.

Auf den goldenen Pfaden des Luxus werden betriebswirtschaftlich geschulte Hände klamm. Zu sehr fürchtet man wohl, es handele sich nur um die Großmannsfantasie eines Spitzenmanagers, zu wenig mag man die Verschwendung feiern. VW-Vertriebsvorstand Wittig versicherte ängstlich, dass der Phaeton „in seinem ersten Lebenszyklus jedenfalls keinen Verlust machen“ werde. Das darf angesichts der Investition von allein 187 Millionen Euro in eine eigene „gläserne Fabrik“, bezweifelt werden. Und es widerspricht dem Ziel, zur Luxusklasse gehören zu wollen. Denn Luxus entsteht, indem von Verschwendung erzählt wird. Luxus ist die Ästhetik der Verausgabung. Dem Überfluss Form und Ziel geben, eine kommunizierbare Struktur: das allein weckt Hoffnungen.

Wenn sie kein Brot haben, dann sollen sie doch Kuchen essen!

Marie-Antoinette, Königin (geköpft 1793)

In der Kapitale des Luxus, in Paris, kann man das Luxusbranding lernen. In einem der teuersten Ladenviertel im Westen der Stadt, nahe Madeleine und Opéra, ist unlängst die erste Boutique des „Vertu“ eröffnet worden. Auf der „Vernissage“ – man gibt sich eher als Kunstgalerie denn als Einkaufsladen – versammelte sich eine illustre Gesellschaft Reicher und Schöner um das neue Objekt der Begierde.

„Vertu“ (Tugend) ist ein Handy mit rubingelagerten Gold- und Platintasten, weltraumerprobtem Keramikgehäuse und kratzfestem Saphirglas. Die „Tugend“ des neuen Sterns am Luxushimmel ist weniger die technische Höchstleistung als vielmehr ihre handgefertigte Veredelung. „Vertu“ wird im Bereich teurer Uhren und Schmuck angeboten, nach Schuhen und Lederwaren dem stärksten Wachstumsmarkt des Luxus.

Zwischen 6.000 und 24.000 Euro kosten die Modelle; ihren Erfinder, den Designer Frank Nuovo, der eigentlich aus der Autobranche stammt, kosteten sie fünf Jahre Entwicklungszeit und einige hunderttausend Euro Investitionen. Er stand vor der doppelten Aufgabe, ein Massenprodukt zu nobilitieren und noch dazu ein Gebrauchsgerät mit dem „Potenzial des Irrationalen, der Quelle des Luxusbegehrens“ (Marchand) auszustatten. Zunächst wurde um die Marke ein Geheimnis gemacht, sie wurde rar gemacht. In London, dem Stammsitz, in Paris, Hongkong, Singapur, Beverly Hills und New York war das Vertu-Handy nur in Privatsuiten und trautem Zwiegespräch zu bekommen.

Anschließend suchte man gute Gesellschaft – essenziell für die notwendige Elitestimmung. Popdiva Madonna zeigte sich mit dem „Vertu“. Ihre Freundin, Hollywoodstar Gwyneth Paltrow, präsentierte es im Januar 2002 zur Welturaufführung im Museum für Moderne Kunst der Stadt Paris. Die Verbindung mit anerkannter zeitgenössischer Kunst ist Bestandteil der Marke. Zur Vernissage des Stores erhielt jeder Gast ein Multiple von „Visionär“ (Pressetext) Christopher Bucklow im Pappkarton, dem eigens Glacéhandschuhe beigelegt waren. Die Kombination mit Kunst verleiht einen hohen symbolischen Status, einen Hauch Avantgarde und eine gewisse philosophische Dimension. Die darf durchaus widersprüchlich werden: „Wichtig für mich ist“, wird Bucklow im Werbetext für das Edeltelefon zitiert, „eine Erfahrung wortlosen Denkens zu schaffen.“

Im Pariser Shop kann nun Laufpublikum wortlos staunen und einen persönlichen Termin für ein Verkaufsgespräch vereinbaren. Viele Kunden wird man so kaum zugewinnen; wer das Ding haben will, wird es schwerlich beim sonntäglichen Schaufensterbummel entdecken. Die Boutique ist Teil eines Brandings, das Exklusivität, höchste Qualität und extreme Preise verspricht. Mit Erfolg: Die Auftragsbücher sind so voll wie der Laden am Eröffnungsabend. Zumindest wird das von der verantwortlichen PR-Agentur so dargestellt. Über die genaue Summe der Investitionen schweigt man sich hingegen vornehm aus. Es reicht der Eindruck großer Ausgaben, alles weitere ist Kunstgeheimnis.

Kunst und Geheimnis sind zwei wichtige Zutaten für Luxusbranding. „Es muss unklar bleiben“, schreibt Marchand, „was Luxus ist.“ Nur so könnten die Luxushersteller immer von neuem „Luxus“ erfinden oder genauer: Produkte schaffen, die als „Luxus“ erkannt werden.

Luxus ist eine harte Droge wie das Leben selbst, denn nichts ist weniger überflüssig für den Menschen, als sich aus der Notwendigkeit zu befreien.

Stéphane Warnier, Hermès

Auch die klassischen Luxushersteller bewegen sich zum widersprüchlichen „allgemeinen Luxus“. Er bietet eine Chance, stellt zugleich aber auch eine Bedrohung dar: „Jedem sein Luxus“ kann sehr schnell in „Jedermannluxus“ umschlagen, den Tod jeder Luxusmarke. DOS, Directly Operated Stores, sollen vor Beliebigkeit schützen. Ein solches gut geführtes „Betriebssystem“ verspricht Kontrolle über die Präsentation des Luxusartikels und in gewissen Grenzen auch über die Kundschaft. Anfang 2001 kaufte LVMH, das mit seinen etwa sechzig Marken weltweit rund 1.500 Läden betreibt, für rund 195 Millionen Euro 51 Prozent das Traditionskaufhaus „La Samaritaine“.

Das war in einer Phase der Expansion und Diversifikation, die das Magazin Businessweek sorgenvoll fragen ließ, ob LVMH sich in einer Identitätskrise befinde. Inzwischen hat der Luxusmulti aus der pubertären Expansions- in eine adoleszente Konsolidierungsphase gefunden und zeigt das in der Strategie für „La Samaritaine“: Zwei große Nebengebäude wurden ganz vermietet, die Umstrukturierung zum magasin evolutif, zum „sich entwickelnden Kaufhaus“ mit großer Trendnähe, konzentriert sich auf die beiden ältesten Hauptgebäude des Komplexes. Im Zentrum des „rive droite“ soll der Store Ergänzung zum extrem erfolgreichen „Le Bon Marché“ auf dem linken Seineufer werden.

Unsere beiden Läden“, so der geschäftsführende Vorstand Pierre Letzelter, „sind im Herzen von Paris, Symbol für Frankreich und Luxus, aufs Beste platziert und verkörpern die Kernwerte von LVMH.“ Zielpublikum des selective retailing im neuen alten Kaufhaus sind junge, urbane Trendsetter, die man vor allem mit Accessoires und Mode der Marken DKNY oder Tommy Hilfinger binden will.

Die Verjüngungskur durch Markenshaping liegt im Trend. Auch die beiden Konkurrenten „Printemps“ und „Les Galéries Lafayette“ verlassen den mittelständischen Markt und frischen ihr Image im Luxussektor auf. Für „La Samaritaine“ werden erste Gewinne Ende 2003 erwartet, was wenig wahrscheinlich ist, derzeit existiert von dem neuen Image nur das Bild, nämlich die Werbekampagne. Im Haus herrscht noch immer Basaratmosphäre, bürokratische Strukturen bremsen die gewünschte „permanente Entwicklung“.

Der Erfolg der Gruppe hält unterdessen an: Von 2001 auf 2002 ist, nach eigenen Angaben, der Umsatz um 2 Prozent von 8,66 auf 8,85 Milliarden Euro gestiegen. Ist auch die LVMH-Aktie weit von den Schwindel erregenden Höhen von 98 Euro pro Stück im Jahr 2000 entfernt, so konnte „Dior“, mit 42,5 Prozent Hauptaktionär der Gruppe, immerhin bereits im Oktober 2001 wieder Wachstumsbilanzen präsentieren, Ende Februar 2002 sogar um mehr als 50 Prozent. Und so ist man zuversichtlich, aus dem alten Kaufhaus das neue Flaggschiff machen zu können. Denn Luxus braucht nicht nur Raum, sondern auch einen Ort. Das wird das Problem all jener bleiben, die auch ein bisschen Luxus machen. So allgemein er auch werden mag, der Luxus: Man kauft ihn nicht im Wühlregal.

In einer Welt, da sich alles ums Einkaufen dreht … und Einkaufen alles ist …, was bedeutet da Luxus? Wahrer Luxus ist, NICHT einzukaufen.

Rem Koolhaas, Architekt

Luxus muss durch Branding immer neu erfunden werden. Was aber ist Luxus, was bedeutet der Begriff? Die zahlreichen Definitionen zwischen hemmungsloser Konsumsucht und anthropophiler Umdeutung kennzeichnen ebenfalls die Bipolarität des neuen Luxustrends. Laut Werner Sombart ist Luxus „jeder Aufwand, der über das Notwendige hinausgeht“. Hans Magnus Enzensberger sieht im Luxus der Zukunft gerade das Gegenteil: den Aufwand fürs Notwendige. „Knapp, selten, teuer und begehrenswert sind im Zeichen des wuchernden Konsums nicht schnelle Automobile und goldene Armbanduhren, Champagnerkisten und Parfüms, Dinge, die an jeder Straßenecke zu haben sind“, schrieb er 1996 in einem Spiegel-Essay, „sondern elementare Lebensvoraussetzungen wie Ruhe, gutes Wasser und genügend Platz.“

Rolf Jensen, Direktor des Copenhagen Institute for Future Studies, prognostiziert eine kommende „Dream Society“, basierend auf Träumen, Abenteuer, Spiritualität und Gefühlen. Wird in Zukunft Luxus nicht mehr das Begehren nur nach Dingen, sondern auch nach Immateriellem wecken? Und wird dann nicht das Immaterielle verdingt? So wünschenswert die anthropophile Umdeutung von Luxus sein mag: Luxus ist an Dinge gebunden, die durch Verschwendung zu Waren werden wie die tote Großmutter des kleinen Klaus.

Luxus ist, was längeren Bestand hat als Sie.

Jean-Louis Dumas, Hermès-Gründer

Branding im Luxussegment, das ist derzeit ein Eisen mit zwei heißen Enden. Auf der einen Seite müssen die klassischen Luxusmarken ihre Dignität behalten und eine klare Linie bewahren. Auf der anderen Seite müssen sie auf eine „Demokratisierung“ reagieren, die ebenso viel Gewinn verspricht, wie sie mit dem Abrutschen in den „De luxe“-Bereich droht. Der große Unterschied zu Andersens Märchen liegt heute in der Globalisierung. Alle Firmen legen ihre größte Hoffnung in den Weltmarkt, den Auftritt in möglichst allen Metropolen gleichzeitig. Dem großen und dem kleinen Klaus reichte das Dorf, um ihre Wirtschaft anzukurbeln. Aber vielleicht lehrt ja der neue Luxus, dass Globalisierung eine Verdörflichung der Wirtschaftsstrukturen ist – letztlich finden wir bei Gucci in Mailand dasselbe wie bei Gucci in New York und sind damit in derselben Situation wie bei H&M oder Ikea.

Luxus macht nicht mehr Hoffnung auf mehr, sondern auf Differenz. Das gilt auch für immaterielle Werte wie gute Luft oder mehr Raum. „Unterschiedenes ist gut“, schrieb einst der Dichter Friedrich Hölderlin. Differenz wurde mit ihrer Materialisierung zum Luxusgut Wirtschaftsmotor. Wenn sie sich nun „demokratisiert“, bleibt die Frage, die man sich zweifellos nicht nur bei Volkswagen stellt: Wie macht Gleichheit reich?

JENS E. SENNEWALD, 34, arbeitet als freier Publizist in Paris