: Feldenkrais in 32 Metern Höhe
Die Feldenkrais-Lehrerin Ute Seemann verbindet Übungen zu bewußter Bewegung mit Erklärungen zum Arbeitsschutz. Das interessiert Hafenarbeiter genauso wie Call-Center-Angestellte
„Als Gymnastiklehrerin und als Tänzerin habe ich gelernt, Bewegungen möglichst richtig, groß und schön auszuführen“, sagt Ute Seemann. Mittlerweile hat sie das „richtig, groß und schön“ ad acta gelegt. Die Krankengymnastin hat eine vierjährige Ausbildung zur Feldenkrais-Lehrerin absolviert und arbeitet für das Betriebsarzt-Zentrum Bremen e.V., Schwerpunkt: Prävention in der Arbeitsmedizin.
Ihre Klientel: Vor allem Bildschirmarbeitskräfte und Call-Center-MitarbeiterInnen, aber auch Reinigungskräfte, Müllmänner, Hafenarbeiter und Bühnenhandwerker. Die meisten von ihnen haben Rückenprobleme oder andere körperliche Schwierigkeiten, weil sie sich in der täglichen Routine eigenartig verrenken, ohne es zu merken, sich ungünstig bücken, viel heben oder lange in starrer Haltung verharren.
Aber was kann ein Arbeiter, der in schwindelerregender Höhe von 32 Metern über dem Hafengelände Lampen repariert, mit einem Satz wie „Bewusstheit durch Bewegung“ anfangen? Offensichtlich viel, schließlich absolvieren gerade gleich mehrere der Lampenkletterer freiwillig ein Feldenkrais-Seminar bei Seemann. Morgens um sieben übt sie mit den Männern im Pausenraum sogenannte ATMs. Das steht für „awareness through movement“, also „Bewußtheit durch Bewegung“, der Grundidee von Moshé Feldenkrais’ Methode. In diesem Fall meint die Abkürzung über 3.000 Einzelübungen. Von denen sind nur einige wenige für die Männer im Hafen passend. „’Übung’ ist eigentlich das falsche Wort“, sagt Seeman. „Es geht nicht darum, den linken Arm 20- mal zu heben und dann wird schon was passieren.“ Sie erklärt: „In einer ATM macht man eine alltägliche Bewegung langsam und bewußt, zunächst so, wie man sie immer macht.“ Die Lehrerin beobachte die individuellen Bewegung und gebe Anleitungen dafür, wie die Bewegung einfacher werden könne. Ein Beispiel: Den Kopf könne man besser heben, wenn man dabei gleichzeitig das Becken vorschiebe, sagt sie. „Bei dieser Methode geht es nicht darum, Muskeln zu trainieren, sondern das Hirn.“
Mit den Hafenarbeitern übt sie undogmatisch im Sitzen, was nicht den ursprünglichen Vorstellungen des Methoden-Begründers entspricht. Eigentlich sollen alle Sequenzen auf dem Boden liegend absolviert werden, um einen großen Teil der Schwerkrafteinflüsse auf die Körperhaltung auszuschalten und sich besser auf die Bewegungen konzentrieren zu können. „In dem Pausenraum im Hafen gibt es keine Matten“, sagt die Lehrerin. Da sei es wichtiger, den Menschen die Methode nahe zu bringen. Dafür müsse man sich an die Gegebenheiten anpassen.
Die Männer müssen in ihrem Arbeitsalltag viel überkopf arbeiten und strengen dabei vor allem ihre Arme und Schulterpartie an. Seemanns Überlegungen, wie sie die Bewegungsfähigkeit der Hafenarbeiter im Bereich der Brustwirbelsäule fördern könnte, scheinen zu fruchten: „Die Männer erzählen mir, sie könnten ihre Schultern schon viel besser entspannen, als früher.“
In Büros führt Seemanns Einsatz oft dazu, dass die Angestellten verstehen, welchen Sinn geltende Arbeitsschutzgesetze haben. Die schreiben zwar bestimmte Schreibtischhöhen und sonstige Maße vor. Aber oft sind die Büroangestellten erst vom Sinn solcher Regeln überzeugt, wenn sie unter Anleitung ausprobieren konnten, wie viel entspannter sie arbeiten, wenn ihre Hände im rechten Winkel locker auf der Tastatur ruhen und wie viel weniger Nackenverspannungen sie mit nach Hause nehmen. Ute Seemann sagt: Obwohl Feldenkrais keine Entspannungsmethode ist, wirkt sie sehr entspannend.“ ube