: Thomas Manns Wahlheimat in der Sahara
Das Baltikum wird wiederentdeckt. Vor allem die Kurische Nehrung mit ihren gigantischen Sanddünen in Litauen zieht viele Touristen aus Deutschland an. Die einzigartige Natur fand aber auch schon früher viele schöngeistige Liebhaber
Ein Geheimtipp ist das Baltikum mittlerweile eigentlich nicht mehr. Im falschen Reisebüro kann die Bitte um Infos über Reisemöglichkeiten dorthin allerdings auf erstaunliche Gegenfragen stoßen: „Ist das auf dem Balkan?“ Trotz solcher Orientierungsprobleme finden in den vergangenen Jahren auch immer mehr deutsche Touristen den Weg nach Litauen, Lettland und Estland.
Vor allem die Kurische Nehrung lockt viele Reisende ins Baltikum. Der schmale Landstreifen vor der Küste Litauens ist von Fichten- und Kiefernwäldern bewachsen, zwischen denen sich die „litauische Sahara“ erstreckt: gigantische Dünen, die eine Höhe von bis zu 60 Metern erreichen. Von ihnen herab geht der Blick von der zum Teil nur mehrere hundert Meter breiten Halbinsel nach beiden Seiten ins Wasser. Auf der westlichen Seite liegt die Ostsee. Östlich erstreckt sich das Kurische Haff, das die Nehrung vom Festland trennt. Von Klaipeda aus setzt eine Autofähre zur Nehrung über; genau an der Stelle, wo Haff und Ostsee ineinander übergehen.
Das ökologische Gleichgewicht der Halbinsel ist empfindlich, die Dünen schwinden unmerklich dahin. Einen Teil der Nehrung haben die litauischen Behörden daher unter Naturschutz gestellt und zum Nationalpark erklärt. Wer weiter reisen möchte als bis Smiltyne, wird an einem Kontrollpunkt für jede Person und mitgeführte Fahrzeuge zur Kasse gebeten. Geparkt werden darf nur auf dafür vorgesehenen Parkplätzen, markierte Wege dürfen von den Wanderern nicht verlassen werden. Feuer machen und wildes Campen sind zum Schutz der Nehrung nicht gestattet.
Touristisch erschlossen ist der litauische Teil der Halbinsel jedoch zu Genüge. In den Sommermonaten wird die Nehrung von Touristen und Ausflüglern stark frequentiert. Mit 54 Fischerkaten beschaulicher als die anderen Siedlungen anmutend, ist der Ort Nida ein beliebter Ausflugsort. Vor vielen der denkmalgeschützten Häuschen blühen kleine Rosengärten, eingefasst mit niedrigen bunten Holzzäunen. Doch auch hier finden sich neu errichtete Feriendomizile, die sich in die ursprüngliche Idylle nicht recht einpassen wollen.
Nidas Anziehung verdankt sich auch den Malern und Schriftstellern, die dem Ort den Ruf der Künstlerkolonie verliehen. Der prominenteste aus dieser Reihe war Thomas Mann, der dort ein Ferienhaus hatte. 1930 bis 1932 verbrachte er die Sommerzeit mit seiner Familie dort. Für sein Domizil hatte Mann sich eine exklusive Lage ausgesucht: Auf einem Hügel, umgeben von Kiefern, genoss er die traumhafte Aussicht aufs Wasser, den er schlichtweg „Italienblick“ nannte. Das kleine Thomas-Mann-Museum wird Mann-Kennern allerdings nicht viel Neues bieten außer einem Blick in sein Feriendomizil.
Wer mehr möchte als Natur, ist in Klaipeda gut aufgehoben: Mit rund 200.000 Einwohner ist sie die drittgrößte Stadt Litauens. Hier befindet sich auch der einzige Seehafen des Landes. Viele Fähren aus Deutschland steuern ihn an. Der deutsche Name der Stadt – Memel – geht auf einen geografischen Irrtum zurück. Als der livländische Ritterorden im Jahr 1252 eine hölzerne Ordensburg errichtete, wähnten sich die Eroberer an den Ufern des Flusses Memel. Doch der mündet weiter südlich in das Kurische Haff.
Wer sich mit den Berliner Kneipenmeilen auskennt, trifft in Klaipeda auf einen alten Bekannten: Simon Dach. Der Dichter stammt aus dem Memelland. Früher war er ein Symbol der deutschen Tradition in Memel, später errichteten die Litauer ihm zur Aussöhnung ein Denkmal. LARS KLAASSEN