: Im Meer der Bücher
In wirtschaftlich ruppigen Zeiten verkaufen sich Abenteuerbücher gut. Neben Eishöllen dominiert ein Thema: Mit dem Segelboot um die Welt
Ein Meer von Büchern. Man benötigt Leuchtfeuer zur Orientierung: „Ich wollte das Unmögliche. Wie ich allein die Welt umsegelte“ (Malik, 2003, 351 Seiten, 22,90 Euro) ist eine gelungene Untertreibung für den äußeren Umstand, dass auf der „Vendée Globe“, der wohl härtesten Regatta der Welt, tatsächlich die Erde umrundet wird. Allerdings ständig am Limit von stahlhartem Kevlar-Tauwerk und federleichten Kohlenstoffbauteilen. Und mit einer Hand voll Stunden Schlaf täglich – verteilt auf zehn Häppchen. Und vollkommen allein. Genau das Richtige für Ellen MacArthur, jüngste Teilnehmerin an diesem Rennen. Ellen MacArthur ist eine segelbegeisterte, talentierte und außergewöhnliche Frau. Wer ihre Atemlosigkeit teilen möchte, sich anstecken lassen will von ständiger Zeitnot, gerne nachts hochschreckt: „Ich muss das große Vorsegel wegnehmen!“, fühlt sich bei ihr gut aufgehoben und versteht womöglich, warum sie ihren zweiten Platz kaum genießen kann. Das Rennen, in dem viele aufgeben, ist so dramatisch, dass der Sieger zweitrangig wird.
Wovon Peter Nichols in „Allein auf hoher See. Das Abenteuer einer Weltumseglung“ (Europa, 2002, 319 Seiten, 19,90 Euro) in vielen zeitgleichen Blenden berichtet. Der Verlag vergleicht mit Jon Krakauers Everestdrama „In eisige Höhen“. Trotz des geglückten Anliegens, maritime Genauigkeit einem breiten Publikum zugänglich zu machen, und anhaltender Spannung wird dessen erzählerisches Niveau nicht ganz erreicht. Messen lassen muss sich Nichols zudem am Werk eines Rennteilnehmers: Bernard Moitessier schlägt – an erster Stelle im Rennen liegend – den sicheren Sieg und das lockende Geld aus. Zugunsten seines Seelenheils als Aussteiger. Er dreht vor Südafrika ab und umrundet – weiterhin nonstop – eineinhalbmal die Erde und geht erst in der Südsee an Land. Sein „Der verschenkte Sieg“ (Ullstein, 1983) gilt als Kultbuch aller Segler und drückt noch heute das Lebensgefühl einer segelverrückten Mehrheit Frankreichs aus.
Bettina Haskamp und Gerhard Ebel kokettieren mit ihrem Dilettantismus, nehmen mit ihrem selbst gebauten Katamaran Kurs auf Südamerika, um zu erkennen: Eine Beziehung ist noch lange keine funktionierende Crew. Das Einzige, was die beiden heute noch eint, ist, gemeinsam durch Talkshows zu tingeln. Ihr Titel „Untergehen werden wir nicht“ (Hoffmann &Campe, 2002, 302 Seiten, 21,90 Euro) gehört im Buchhandel unter die Rubrik „Psychologie – Partnerberatung“. Außerdem ist dieses immer wieder beschriebene Abenteuer über den Atlantik zu segeln kaum noch vergleichbar, seitdem die US-Navy 24 Satelliten auf Umlaufbahnen in gut 20.000 Kilometer Höhe schoss, um mit GPS, dem Global Positioning System, die etwa dreihundert Jahre alte Kunst entzauberte, mit Uhrzeit und Winkelmesser die Position auf See zu bestimmen. Heute im Grunde: Ablesen, Bleistiftkreuzchen in der Seekarte, Sherry.
Dies war noch ganz anders bei „Tagedieb und Taugenichts“ von Hugo Wehner (Delius Klasing, 1986): segelnde Hippies, die ihren Schiffsort tatsächlich mit dem Sextanten ermitteln mussten. Hugo Wehner, ein liebenswerter Lebenskünstler, stellt mit seiner Selbstkritik die bessere Wahl der Selbstverwirklichungs-Titel dar.
Ansonsten lieber bei den Berufsabenteurern vorbeilesen: Arved Fuchs („Kälter als Eis“, Delius Klasing, 2003, 224 Seiten, 26 Euro) umrundete zuletzt nicht den Süd-, sondern den Nordpol auf eigenem Kiel. Ob als Erster mit dem Segelboot, ist zweitrangig, eine anstrengende Reise ist es allemal: Arved Fuchs segelt mit dem Haikutter „Dagmar Aaen“, einem Traditionsschiff ohne Kraft sparende Winschen, Autopilot oder Deckshaus. Jede einzige Seemeile wurde am vollkommen frei stehenden, 72 Jahre alten Holzrad gesteuert. Beste Fotos, eingehende Recherche über das Leben an den Küsten Sibiriens.
Eine ebenso sichere Bank ist Einhandsegler Wilfried Erdmann: „Allein gegen den Wind. Nonstop in 343 Tagen um die Welt“ (Delius Klasing, 2002, 311 Seiten, 22,90 Euro). Es existieren verschiedene Sportdefinitionen. Eine lautet: „ein selbst gesetztes Ziel mit überwiegend körperlichen Mitteln [zu] überwinden“. Nach dieser Anschauung ist Wilfried Erdmann ein wahrer Sportler: Setzte Segel in Cuxhaven und umrundete die Erde mit seiner etwas mehr als zehn Meter langen Kathena Nui aus Aluminium, um nach einem knappen Jahr und etwa 32.000 Seemeilen wieder in Cuxhaven anzulegen. Auferlegte Spielregeln: Allein („einhand“), keinen Hafen anlaufen (nonstop) und – vom Südpol aus gesehen – gegen den Uhrzeigersinn um die berüchtigten Kap Hoorn, Snares Island (Neuseeland) und Kap der Guten Hoffnung. Denn Vorgaben eins und zwei hatte er bei einem erfolgreichen Törn 1984/85 schon einmal erfüllt. Bei aller Begeisterung für die seglerische Herausforderung: Lesbar ist das Buch vor allem durch seinen unspektakulären Stil.
Eigentlich wollten Martin und Doris Padberg mit ihrem 7,25 Meter langen Sperrholzboot vom Typ „Waarship“ auf große Fahrt gehen. Aus Geldmangel wurde aus Kap Hoorn Stockholm. Darüber hat Doris Padberg geschrieben: „Durch den Wind. Lebenstraum mit Handicap. Ein Segelsommer“ (Delius Klasing, 2003, 227 Seiten, 22,90 Euro). Segeln pur. Dass der Hausarzt riet, mit dem schweren Diabetes von Doris solchen Firlefanz besser bleiben zu lassen, stachelte die sympathische Begeisterung der tapferen Crew eher an. Ein Segelsommer durch die schwedischen Schären – so leicht und bekömmlich wie Tucholskys Schloss Gripsholm. Wärmste Empfehlung. NILS THEURER