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Archiv-Artikel

Kongos Milizen führen die UNO vor

Die UN-Mission bleibt untätig, während Milizen in der Stadt Bunia Massaker verüben. Alle Hilfsorganisationen sind evakuiert. Heute berät der UN-Sicherheitsrat über die Zukunft der Blauhelme im Kongo. Südafrika droht mit eigenem Eingreifen

von DOMINIC JOHNSON

Pater Aimé Ndjabu lag in seinem Schlafzimmer, mit aufgeschnittener Kehle. Im Garten lag Pater François Mateso, erschossen. Milizionäre des Lendu-Volkes, die in der Stadt Bunia Angehörige des Hema-Volkes jagen, hatten die beiden Hema-Priester am Samstag getötet, als sie die katholische Pfarrei Nyagasanza nahe dem Stadtzentrum angriffen. „Sie waren noch da, unter Drogen und entschlossen“, berichtete ein kongolesischer UN-Mitarbeiter der Nachrichtenagentur AFP am Samstagabend nach einem Besuch am Tatort. Kirchenkreise sprachen gestern von 48 weiteren Toten in Nyagasanza – Zivilisten, die auf dem Kirchengelände Schutz gesucht hatten.

Wenige Stunden zuvor hatte Patricia Tomé, UN-Sprecherin im umkämpften Bunia, die Lage in der Stadt „ruhig“ genannt. „Wir können nicht auf die Straße“, erklärte sie, „aber das Militär (der UNO) patrouilliert.“ Wie Milizen kurz darauf ein Massaker mitten in Bunia anrichten konnten, erklärte sie später nicht, sondern behauptete: „Wir wissen nicht, wer auf wen schießt.“

Die Bewohner von Bunia, eine einst 300.000 Einwohner zählende Stadt im Nordosten der Demokratischen Republik Kongo, wissen es. Bis Anfang März regierte hier die Hema-Rebellenbewegung UPC (Union kongolesischer Patrioten). Am 6. März marschierte Ugandas Armee in Bunia ein und vertrieb die UPC. Am 24. April begann Uganda, sich zurückzuziehen. Parallel dazu wurden UN-Blauhelme zusammen mit Polizisten der kongolesischen Regierung aus Kinshasa stationiert. Gleichzeitig rückten Milizen des mit den Hema verfeindeten Lendu-Volkes in Bunia ein, und letzte Woche begannen sie mit der Jagd auf Hema. Die UPC startete daraufhin eine Offensive Richtung Bunia. Am Wochenende kontrollierten die beiden verfeindeten Armeen je etwa die Hälfte der Stadt. 60.000 Menschen, zumeist Hema, sind in den letzten zwei Wochen aus Bunia nach Uganda geflohen.

Von verschiedenen Quellen wird berichtet, die Polizei aus Kinshasa unterstütze die Lendu-Milizen. Die Truppen der UN-Mission (Monuc) blieben auf Bunias Flughafen beschränkt und auf ihr eigenes Gelände, wohin tausende Zivilisten flüchteten. Alle internationalen Hilfswerke wurden am Wochenende aus Bunia evakuiert, nachdem ihre Mitarbeiter sich auf dem Gelände der Deutschen Welthungerhilfe (DWHH) versammelt hatten. „Die Monuc machte Druck, dass wir gehen, weil sie die Sicherheit nicht mehr garantieren könne“, sagte eine DWHH-Mitarbeiterin zur taz.

Gestern verkündete die UNO in Bunia, sie werde die zurückgelassenen Lebensmittelvorräte an die Bevölkerung verteilen. Aber gegen die Kämpfe und Massaker waren die 635 Blauhelmsoldaten aus Uruguay zuvor nicht eingeschritten. Die UN-Soldaten eröffneten das Feuer erst, als am Freitag eine wütende Menschenmenge versuchte, das UN-Quartier zu stürmen.

Ein Sprecher der UPC richtete gestern gegenüber der taz schwere Vorwürfe gegen die Monuc: Lendu-Milizionäre seien am Samstag in das Haus eines Hema-Geschäftsmannes eingedrungen, der zwischen zwei UN-Gebäuden lebe, und hätten dort 12 Menschen umgebracht, ohne dass die UN-Soldaten einschritten. UN-Sprecherin Tomé bestätigte das Massaker gestern und präzisierte, unter den Toten seien drei Babys, denen „die Kehlen durchgeschnitten und die Köpfe zerschmettert“ wurden. Ein UN-Vertreter erklärte gegenüber Reuters die Machtlosigkeit der Monuc: „Wir können uns nicht frei bewegen; die Straßen sind voller Milizionäre mit Raketenwerfern, Granaten, Kalaschnikoffs, Speeren und Pfeil und Bogen“. Die katholische Kirche erklärte: „Niemand scheint für Ordnung sorgen zu können – weder die Monuc noch die Vertreter der Regierung aus Kinshasa“, und fragte: „Wird die internationale Gemeinschaft zusehen wie einst in Ruanda?“

Heute will der UN-Sicherheitsrat über die Lage beraten. Südafrikas Präsident Thabo Mbeki sagte gestern, er verlange eine Stärkung des Monuc-Mandats, damit die Blauhelme nicht mehr nur in Selbstverteidigung schießen dürfen. Sonst müssten afrikanische Eingreiftruppen auf eigene Faust für Ordnung sorgen.

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