: Nachsicht! Friedman
Ab Montag ist er wieder auf Sendung, wenn auch vorerst nur im Pay-TV. Ein Dreivierteljahr ist es her, da trat Michel Friedman nach einem Skandal um Kokain und Sex mit Zwangsprostituierten von seinen Ämtern zurück und gab seine Talkshow auf. Er habe alles zu seinem Fall gesagt, findet er. Doch das Entscheidende fehlt
von SILKE BURMESTER
Michel Friedman hat sich fein gemacht. Er ist gekommen, ein neues Spiel zu eröffnen. Am Pariser Platz inmitten Berlins liegt das kleine Fernsehstudio von Universal, in dem einige Folgen seiner neuen Sendung „Im Zweifel für…“ bereits aufgezeichnet wurden, die nun vorgestellt werden sollen. Der Gastgeber versucht, nett zu sein, doch schon nach zwei Minuten bürstet er die Fotografen ab wie lästige Fliegen vom Ärmel seines Anzugs. Er kann nicht anders, er muss die Ebenen klären.
Michel Friedman will wieder mitspielen. Im Sommer 2003 flog im Zuge der Ermittlungen gegen einen osteuropäischen Menschenhändlerring auf, dass Friedman kokste und zum Kundenkreis der Zuhälter gehörte. Er tat alles, was ein Mann in seiner Situation tun kann: Paolo Pinkel, wie er in der Prostitutionsszene hieß, hat geweint und seine Ämter aufgegeben. Das ist ein Dreivierteljahr her, und jetzt ist er wieder da. Er steht in der Arena und wartet auf Applaus.
Die Zeichen stehen gut. Der Fernsehzuschauer gilt als vergessliche Spezies, die Medienmacher sind berauscht, und für die meisten Herren ist das Thema abgehakt. 17.400 Euro Strafe hat Friedman wegen „Kokainbesitzes zum Eigenverbrauch“ zahlen müssen und ist nun vorbestraft. Auch wenn ihm seine selbstgerechte Art wenig Männersympathien brachte, so wird ihm doch jetzt zugute gehalten, dass er die attraktiven Ämter und seine Sendungen aufgegeben hat. Das ist für jemanden, für den die Öffentlichkeit „seine zweite Haut“ ist, wie die ehemalige Intendantin des Hessischen Rundfunks Luc Jochimsen, seine einstige Chefin, es sagte, eine harte Konsequenz.
Scheinbar nicht hart genug. Denn der Medienjunkie Dr. Michel Friedman glaubt, dass es jetzt da weitergeht, wo es im Sommer aufgehört hat. Mit einer Fernsehsendung und einer Öffentlichkeit, in deren Mittelpunkt er als streitbare Sonne strahlt. „Im Zweifel für … Friedmans Talk“ soll eine Rechtsshow sein.
Doch der Sommer ist nicht vorbei. Jedenfalls so lange nicht, bis der elementare Teil, der wirklich skandalöse Teil, eingestanden und mit Konsequenzen bedacht ist: das Ordern von Zwangsprostituierten. Bislang ist nur ein Ausschnitt seiner „Verfehlungen“, wie Friedman sein Handeln nennt, zur Sprache gekommen. Der Part nämlich, der den Ruf hat, nicht ganz schön zu sein, aber in den Bereich menschlicher beziehungsweise männlicher Schwächen zu fallen. Und da ist das Verständnis unter Männern groß. Schließlich hat jeder schon mal über die Stränge geschlagen, und mit ein paar richtig scharfen Weibern erwischt zu werden, das macht letztlich einen Kerl erst aus.
Friedman hatte Glück. Kaum war die Zeitung mit der Skandalmeldung auf dem Titel im Altpapier gelandet, verschwanden auch die Zwangsprostituierten aus der Berichterstattung. Das hält bis heute an. Häufig genug ist allein vom Koks die Rede, allenfalls noch von „Prostituierten“. Noch letzte Woche hat Henryk M. Broder in Spiegel Online seine Einschätzung der Situation stellvertretend für das Gros seiner Geschlechtsgenossen kundgetan: Friedman, so beschreibt er die Misere, sei „beim geselligen Koksen vom Pferd gefallen“, und reduziert das Geschehen auf „Friedman und die Nutten“.
Systematisch wird unter den Tisch gekehrt, dass Friedman sich wiederholt organisierter, krimineller Strukturen bediente, um seiner Sexualität mittels Zwangsprostituierter zu frönen. Dass er, der als Lebensmaxime seine Selbstbestimmung nennt, seine Gespielinnen bei einem Menschen bestellte, der professionell Frauen ins Land schleust und diese durch Vergewaltigung, Misshandlung und Drohungen gegen deren Familie „gefügig“ macht.
Der Mann, der sich laut einer 3.875 abgehörte Anrufe umfassenden Liste der Berliner Staatsanwaltschaft „ukrainische Nymphen“ orderte (eine in BZ-Annoncen benutzte Codierung für junge, unerfahrene Neuzugänge), ist kein Schnürsenkelverkäufer. Michel Friedman ist Dr. jur.
Der Christdemokrat wird auch auf der Berliner Pressekonferenz nicht müde zu wiederholen, dass zu diesem Thema alles gesagt sei. Dabei bezieht er sich auf seinen Gang vor die Kameras und Mikrofone im Juli 2003, die er, nicht ganz so selbstgefällig wie bei ihm sonst üblich, für eine Entschuldigung nutzte. Tatsächlich hat er viel geredet. Über die Schwere der Stunde, die der Last und darüber, dass Drogen keine Lösung seien. Mit keinem Wort aber erwähnte er, der so gern von Menschenwürde spricht, sein Vergehen gegen die Menschlichkeit. Mit keinem Wort hat er den größten oder vielleicht sogar einzigen Fehler eingestanden: abhängige, sich in Not befindliche Frauen be- und ausgenutzt und mit Sklavenhaltern geschäftlich verkehrt zu haben.
Die Vehemenz, mit der Friedman sich weigert, sich auch bei den betroffenen Frauen zu entschuldigen („Ich habe mich mit denen ausgesprochen, die einen Anspruch haben“, „Damit hat sich das!“), die Beharrlichkeit, mit der er sich weigert, zu sagen, warum er nicht auch zu diesem Thema Stellung nimmt („Wenn es Ihnen nicht reicht, muss ich damit leben“), bleibt unverständlich. Es gibt nicht einmal einen Anhaltspunkt für diese kategorische Abwehr, außer wilden Gerüchten um seine Verstrickung in den Menschenhandel.
Friedman hätte durchaus die Chance gehabt, auch die Sympathien derjenigen zu gewinnen, die es jetzt so empörend finden, ihn wieder auf dem Schirm zu sehen. Zumal mit einer Sendung zum Thema Recht. Die Frauenrechtsorganisation Terre des femmes hatte Friedman in einem in der Frankfurter Rundschau abgedruckten offenen Brief aufgefordert, auch zu diesem Teil seines Gebarens zu stehen und aus der Verfehlung ein Lehrstück zu machen: Er solle ihre Initiative gegen Zwangsprostitution und Menschenhandel unterstützen. „Nutzen Sie den Presserummel! Helfen Sie bei der Aufklärung über die Hintergründe des Frauenhandels. … Sie wollen bestimmt auch, dass Frauen und Mädchen selbstbestimmt und frei überall auf der Welt leben können. Wir können gemeinsam etwas dafür tun.“
Friedman, Moralist, wenn es um die Verfehlungen anderer geht, rührte sich nicht. Keine Entschuldigung, keine Zustimmung, auch keine empörte Absage des provokanten Angebots. „Ich reagiere auf offene Briefe nie“, sagt er beim Berliner Pressetermin auf Nachfrage. „Wenn jemand mit mir Kontakt haben will, dann kann er das machen, indem er mir einen Brief schreibt.“ Konfrontiert mit der Tatsache, dass die Organisatorinnen einen zweiten, geschlossenen Brief schrieben, bellt er erneut: „Ich habe alles, was ich zu dem Thema zu sagen habe, gesagt.“
Die Aufforderung, die Kampagne – deren Ziel es ist, Männer in ihrer Position als Freier stärker in die Verantwortung zu nehmen – wenn schon nicht durch direktes Engagement, dann wenigstens durch eine großzügige Spende zu unterstützen, kommt dem Angebot gleich, sich reinzuwaschen. Trotzdem wäre es für den Gebeutelten die Möglichkeit gewesen, seinem defensiven Gefasel von „Sühne“ eine offensive Tat folgen zu lassen, die vor allem Frauen versöhnlich gestimmt hätte. Engagement wäre ein Zeichen gewesen, dass es dem Sünder mit der Reue ernst ist.
Doch Friedman bewegt sich in einer Welt anderer Regeln. Während sich die naive Frau fragt, warum dieser Mann sich nicht distanzieren will oder kann, haben Berlins mediale Powerfrauen Friedmans Stühlchen schon wieder neben sich aufs Podest gehoben. Die Männerfreundinnen Regina Ziegler und Sabine Christiansen, die sich in der rauen Berliner Medien- und Politwelt eine bemerkenswerte Position erarbeitet haben. Filmproduzentin Ziegler, eine einflussreiche Frau im Hintergrund, war es, die den Deal mit Universal einfädelte und die mittels eines großes Abendessens, für das sie neben anderen auch Angela Merkel und den Bild-Chefredakteur Kai Diekmann einlud, den verlorenen Sohn in die Berliner Society zurückholte.
Die Bedeutendste im Vordergrund: Sabine Christiansen. Sie ermöglichte Friedman sein Comeback ins Fernsehen, indem sie ihn im November wie selbstverständlich als Gast in ihre Sendung setzte. Jetzt produziert ihre Firma seine Rechtsshow. Wie im Western, so in Berlin: Die zentrale soziale Funktion innerhalb der Männerwelt liegt bei der Saloonchefin.
Universals zwergwüchsigem Pay-TV-Kanal 13th Street („The Action & Suspense Channel“) wäre mit kaum einem anderen Moderator so viel Medienaufmerksamkeit zuteil geworden. Zunächst ein intimes Pressetreffen mit erwählten Medien wie Süddeutsche und Bunte, eine Woche später Fototermin und Pressekonferenz für den Rest der Journaille. Am Tage darauf: Artikel in den wichtigsten Gazetten des Landes. Fast könnte man meinen, alles liefe für Friedman nach Plan.
Doch so recht wollen die Journalisten noch nicht. Fast überall hält man den Zeitpunkt eines TV-Comebacks für zu früh, und einmal mehr muss die als extrem geltende Eitelkeit des 48-Jährigen herhalten, um den Drang vor die Kameras zu erklären. Selbst das Hofberichterstattermagazin Bunte ist auf Abstand gegangen und moniert deutlich die neue Praxis Friedmans, bei der Autorisierung des Interviews so viel vom Gespräch zu streichen, dass man keines mehr zu führen bräuchte.
Moral, Ethik, Opfer sind offenbar keine Prämissen, die beim Fernsehen Gültigkeit haben. Der Intendant eines öffentlich-rechtlichen Senders, so ist aus verschiedenen Quellen zu vernehmen, gratulierte dem Senderchef Wolfram Winter zu dem großartigen „Coup“, die Sendung mit dem Aufmerksamkeitsmagneten zu besetzen.
Der Düsseldorfer Medienwissenschaftler Prof. Dr. Jo Gröbel beurteilt die Situation kritisch. Dass jemand, „der skandalisiert hat oder skandalisiert wurde, in dem Marktsystem Öffentlichkeit funktioniert“, sei ein Problem. „Wir laden dazu ein, Normen zu durchbrechen. Mal sind es gesetzliche Normen, mal Anstandsnormen.“ Die Belohnung ist die Aufmerksamkeit oder, ganz extrem, ein Sendeformat.
Oder Verschonung. Der Freier Friedman wurde nicht als Zeuge in dem noch laufenden Prozess gegen die Frauenhändler geladen. Und für den Anwalt Friedman hat sein Verhalten keine berufsrechtlichen Konsequenzen. Gekokst habe er als Privatperson, so die Haltung der Frankfurter Anwaltskammer und der Bundesanwaltskammer. Zwangsprostituierte Frauen zu vögeln, ist nicht strafbar. Entsprechend fehle der „berufsrechtliche Überhang“ und damit der Anlass, das für einen Juristen recht unehrenhafte Verhalten durch eine Rüge oder Geldstrafe zu ahnden.
Das Signal, das durch Friedmans Fernsehpräsenz gesetzt wird, durch Dinners mit Angela Merkel, die Einengung der Thematik auf den Ausschnitt „Koks“ oder die Verdrehung der Tatsachen durch die Bezeichnung Prostituierte, wo es sich um Zwangsprostituierte handelt, ist fatal: Es ist egal, was du tust, es hat keine Folgen für dich. Du musst vielleicht ein paar Ämter abgeben, aber selbst wenn du zum Folterknecht für Frauen wirst, die zum Sex mit dir gezwungen werden, bist du doch immer einer Öffentlichkeit würdig.
Es gibt Momente in Sabine Christiansens Sendung, da hätte sie so gern, dass ihr Programm der Ort ist, von dem aus Taten starten. Regina Ziegler produziert viele Filme, in denen die Welt in Ordnung ist. Und Angela Merkel erlebt in ihrem Parteienbündnis regelmäßig, wie männliches Dominanzgebaren Luft abschnürt. Vielleicht sollten diese einflussreichen Frauen sich mal Gedanken um die Opfer von ihrem Freund Michel machen statt um seine Karriere.
„Im Zweifel für … Friedmans Talk“ startet Montag, 15. März, um 20.15 Uhr auf einem Kanal des Pay-TV-Senders PremiereSILKE BURMESTER, 38, ist freie Autorin und Kolumnistin auf der Medienseite der taz. Sie lebt in Hamburg