: „Ein einziger Larifarischeiß“
Befürworter und Gegner der Kulturhauptstadtbewerbung beklagen auf einer Podiumsveranstaltung der taz und der Mayerschen Buchhandlung die Ausgrenzung der Kölner Bürgerinnen und Bürger
Von Henk Raijer
Viktor Böll ist der Watschenmann an diesem Abend. Der Leiter des Heinrich-Böll-Archivs, der maßgeblich an Kölns Bewerbungsschrift zur Kulturhauptstadt Europas 2010 mitgestrickt hat, kriegt den ganzen Frust interessierter Bürger und Kulturschaffender ab. Knapp 80 Kölner haben sich am Donnerstag nach Ladenschluss auf Einladung der taz in der Mayerschen Buchhandlung am Neumarkt eingefunden, um mit Kulturexperten über das bürgerferne Prozedere der Bewerbung zu diskutieren. Motto der Podiumsveranstaltung: „Leben wir das? Köln als Kulturhauptstadt“.
„Feuer unterm Arsch“
Und Böll hat sich die Watschen redlich verdient. Sätze wie „Das Historische an Köln ist doch ein Geschenk, das Fundament unserer Kultur“ oder „Es geht doch um bewerben oder nicht bewerben, da müssen wir pragmatisch vorgehen“ fordern Podiumsteilnehmer und Auditorium gleichermaßen heraus. „Die Bewerbung ist jämmerlich abgehandelt worden“, moniert der Publizist Martin Stankowski, der zu Beginn der Diskussion die halbe Redezeit einforderte, „weil ich hier schließlich als einziger gegen Köln als Kulturhauptstadt bin“. Er unterstütze gemeinsam mit einer Reihe weiterer Anwesender die Bewerbung Münsters, gibt Stankowski mit einem Schmunzeln bekannt. „Wenn Leute wie Schramma oder Ohnesorg (der Chefkoordinator für Kölns Bewerbung; d. Red.) mir vorgeben, wie ich kulturelles Leben aufzufassen habe, danke ich bestens!“
Auch die als Kulturhauptstadt-Befürworterin bekannte grüne Bürgermeisterin Angela Spizig kritisiert den altbackenen Duktus der Bewerbungsschrift, vor allem aber die mangelnde Einbeziehung der Kölner in das Prozedere, das mit der Abgabe der Bewerbung am 31. März und der Entscheidung auf NRW-Ebene am 20. Mai diesen Jahres beendet sein wird. „Die Bewerbung müsste jünger klingen“, räumt Angela Spizig ein, die betont, dass sie sich als Grüne für die Bewerbung einsetzt und nicht für die Stadtverwaltung spricht. „Die Generation 2010 fühlt sich vom konservativen Grundton dieser Bewerbung nicht angesprochen.“
Allerdings setzt Angela Spizig wie Viktor Böll darauf, dass nach erfolgreicher Bewerbung der dann folgende Prozess in Köln „schon Energien freisetzen“ werde. Sie fordert daher die Kölner Bürger und die freie Künstlerszene zum Mitmachen auf: „Wir brauchen Leute aus Köln, die die Kultur präsentieren.“ Lit.Cologne-Veranstalter Werner Köhler ist da skeptisch. „Wenn das kommt, was drin steht, ist nicht viel zu erwarten. Wir haben nun mal eine kulturfeindliche Stadtregierung“, meint Köhler. „Allerdings hätten wir, sollte es mit der Bewerbung klappen, die Chance, den Burschen ordentlich Feuer unterm Arsch zu machen.“
Der Ärger engagierter Kölner über mangelnde Partizipation und die Frage: „Was ist Kultur“ dominieren die anderthalbstündige Veranstaltung der taz köln, die in den vergangenen vier Wochen einer Reihe von Kölnern aus Politik und Kultur die Gelegenheit geboten hat, sich hinsichtlich der Bewerbung zu positionieren (siehe taz vom 12.2, 18.2, 26.2, 4.3 und 11.3). „Köln hat eine solche Auszeichnung gar nicht verdient, wenn es immer nur das Museale in den Vordergrund stellt und gleichzeitig die Freie Szene abtreibt“, empört sich ein Diskutant aus dem Publikum, der sich als Künstler von der KunstEtage Deutz vorstellt, die ums Überleben kämpft.
Ringfesterfinder Karl-Heinz Pütz, der sich schon vor Wochen als Mitglied der Gruppe „Köln für Münster“ outete, moniert, dass „der ganze Murks“, der in Köln seit Jahren sozial, stadtplanerisch und kulturell gemacht werde, „durch diese Kulturhauptstadtveranstaltung übertüncht“ werden solle. „Es steckt eine Menge Zynismus in dieser Bewerbung.“
Vorschläge gedeckelt
Ein Zuhörer hält Viktor Böll vor, die 60-seitige Bewerbungsschrift Kölns sei ein einziger „Larifarischeiß ohne Ecken und Kanten“. Sie sei „die Bewerbung einer langweiligen Stadt“. Tatsächlich haben engagierte Kölner im Vorfeld versucht, ihre Vorstellungen einfließen zu lassen. Deren Konzept jedoch, das auch bei der Agentur, die die Kulturhauptstadtbewerbung Kölns vermarktet, Anerkennung erntete, wurde gedeckelt. „Warum hat man den Prozess nicht partnerschaftlich angelegt“, klagt Gregor Leschig, einer der Initiatoren des alternativen Entwurfs. „Wer sind denn die Kulturträger der Stadt, wenn nicht wir?“