: Vom Keller in‘s Museum: Art Australia
Down Under in Delmenhorst: Die Städtische Galerie zeigt neun Positionen zeitgenössischer Kunst aus einem bisher eher epigonalen Kontinent
Australien begeistert die Fantasie. Ein Traumland, das so unvorstellbar weit weg heruminselt, dass selbst im Zeitalter der Billigfliegerei nur wenige einmal in die delirierende Outback-Weite, den tirilierenden Regenwald oder das sterbende Barrier Reef eintauchen. Und man sich die Aussies weiterhin gern als eine Nation aus Surfern und Grillparty-Menschen, Eukalyptus mampfenden Koalas und hüpfenden Kängurus vorstellt.
Davon will die „Art Australia“-Schau auf ihrer Deutschlandtour-Station in der Städtischen Galerie Delmenhorst nichts wissen. Gegen die Klischees möchte man australische Kunst setzen. Und muss sich sagen lassen, dass es bisher eigentlich nur epigonale Kunst aus Australien gab.
Seit Kapitän James Cook 1770 den Kontinent für die Britische Krone in Besitz nahm, waren die künstlerischen Äußerungen der weißen Kolonialherren- und -damen geprägt von der romantischen Malerei Europas. Später reisten die Söhne und Töchter aus gutem Hause nach London, Florenz, Paris, New York – und versuchten ihre Eindrücke nach der Rückkehr ehrfürchtig zu reproduzieren, was in Australien endlose Museumswände füllt.
Am Ende des 19. Jahrhunderts hatten sich Künstler der so genannten Heidelberger Schule die Malweise des französischen Impressionismus angeeignet. Eine expressionistische Bewegung entstand in den 40er Jahren. Bis in die Sixtys hielt ein Trend zu abstrakter expressionistischer Malerei. Während sich im anderen Einwandererland, in dem die Ureinwohner nur noch ein gutes Prozentpünktchen der Gesamtbevölkerung ausmachen, diverse eigenständige Kunstformen entwickelten wie etwa Farbfeldmalerei, Pop- und Land-art, Künstler wie Calder, Pollock, Kienholz, Hopper (und, und, und) Weltruhm erlangten, ist in Australien nichts dergleichen auszumachen.
Der einzig originäre künstlerische Ausdruck kam und kommt von den Aborigines. Die Kunst der Ureinwohner ist mit 20.000 Jahren die älteste ungebrochene Kulturtradition der Welt, deren Lebensäußerungen mit Begriffen der Ethnologie, aber nicht mit denen unserer westlichen Kulturindustrie einzuschätzen, mit deren Mitteln aber durchaus zu vereinnahmen sind. Während die Kunst der Ureinwohner in den meisten australischen Museen nur in den Kellern hängt, wird mit ihr weltweit ein Umsatz von jährlich mehreren hundert Millionen Euro gemacht.
Im Spannungsverhältnis von apartheidsähnlicher Benachteiligung im Alltag und kulturellem Exportschlager siedelt Julie Dowling ihre Malerei an. „Ecologically harmless“ (2003) erstrahlt im roten Ocker des Outbacks und zitiert den Aboriginal-Style: Eine Landschaft aus der Vogelperspektive, durchzogen von Linien und Punkten, die sich auf abstrakter Ebene zu ornamentalen Flächen formen.
Was ganz real als geschwungener Lauf von Hügelketten, die Lage von Wasserlöchern und ähnlicher topografischer Merkmale gelesen werden kann, lässt sich auf mythologischer Ebene mit Episoden aus der Ahnengeschichte verknüpfen. Dowling zitiert solch spirituelle Landkarten mit Plastiktand aus dem Trödelladen, wohl um die touristische Vermarktung dieser Kunst zu thematisieren. Aus dieser bunten Bildfläche tritt ein Ureinwohner traurig-energisch heraus – geschmückt mit dem Sticker der Land Rights-Bewegung. Hinter ihm eröffnet sich (als Zitat des Magritte’schen Surrealismus) ein landschaftsmalerischer Blick auf den heiligen Mount Gibson, ein Monument für das überlieferte Wissen, die Riten, Gebräuche und das Glaubenssystem.
Bestechend simpel wird verdeutlicht, wie die Ausstellungsmacher „Art Australia“ definieren: „Sie steht in der Spannung zur Kunst der Aborigines, und sie führt als Dialogpartner selbstverständlich den weltweiten Diskurs der westlichen Kunst“, so Barbara Alms, die Leiterin der Galerie.
Australiens Kunst ist international angedockt, mit lokalen Einsprengseln versehen, hat aber in der pazifischen Ferne nur sehr wenig britischen Humor entwickelt. Aber nicht nur die Landschaft inspiriert die Werke der ausgestellten Künstler. Daneben ist Kunst für sie immer auch ein Ausdruck der Identitätssuche. In Destiny Deacons großformatigen Fotoinszenierungen hocken zwei wollüstig perückte, aboriginal stereotypisierte Puppen in einer elendigen Schmuddelecke, zündeln mit Streichhölzern und grinsen provozierend.
Bei der Suche nach einer „Art Australia“ konfrontiert man auch gern die europäische Vergangenheit mit der australischen Gegenwart. Auf eine original kratzige Lammwoll-Decke „made in australia“, unter denen obdachlose Aborigines ihre nächtliche Zuflucht in den Städten suchen, druckt Fiona Foley die Worte „Ignorant men don’t know what good they hold in their hands until the’ve flung it away – Sophocles“.
Und dann gibt es noch die Werke, die eher als Art Globalia denn Art Australia zu beschreiben sind. Hyperrealistisch, mit all dem Spiegelungsschnickschnack polierter Oberflächen, malt Anne Wallace gelangweilte Studenten mit genervtem Dozenten in einer Seminarsituation. Rührend, wie Louise Weaver Kunststoffschaumtieren ein Fell häkelt. Bereits in Köln beheimatet ist Video-Artistin Melita Dahl. Sie fotografiert Menschen, die verschiedene Gemütslagen darstellen, und kombiniert diese Aufnahmen digital so, dass ein langsam bewegter DVD-Film den konzentrierten Blick auf die Veränderungen von Ausdruck und Stimmung ermöglicht. Die statische Natur der Fotos wird lebendig – wie beim Daumenkino. Australien aber ist anderswo. Und die „Art Australia“ sucht weiter nach Eigenständigkeit.
Jens Fischer
bis 18. April 2004, dienstags bis sonntags 10 - 17 Uhr, donnerstags bis 20 Uhr