: Eine Geburt nach Terminkalender
Der Kaiserschnitt als Alternative zur natürlichen Geburt wird zunehmend nachgefragt – und praktiziert. Ein schmerzfreies Geburtserlebnis garantiert er nicht, sondern ganz im Gegenteil: Die Risiken dieser Operation sollte niemand unterschätzen
VON KATHARINA JABRANE
Der schönste Tag im Leben? Das ist für viele der, an welchem die letzte Prüfung bestanden, der erste Job angetreten, die große Liebe gefunden wurde. Oder der Geburtstag des eigenen Kindes. Blut, Schweiß, Tränen, und Wehen sollen schön sein? Ja. Denn die Geburt eines Kindes sei eben trotz aller Schmerzen und Ängste auch unbeschreiblich schön. Sagen die einen.
Die anderen hingegen wünschen sich, dieses Erlebnis lieber heute als morgen hinter sich zu haben. Und nicht wenige haben so große Angst vor einer natürlichen Geburt, dass sie eine operative Entbindung bevorzugen. In Deutschland kommt heute bereits jedes fünfte Kind per Kaiserschnitt zur Welt, Tendenz steigend. „Die Angst vor den Schmerzen und der erniedrigenden Situation, die Aussicht, stundenlang in heftigen Wehen zu liegen, ohne zu wissen, wie die Mediziner und der eigene Mann reagieren, bringt Frauen dazu, sich einen Kaiserschnitt zu wünschen“, weiß die Vorsitzende des Berliner Hebammenverbandes, Marion Brüssel.
Viele Ärzte unterstützen dies: Ein geplanter Kaiserschnitt lässt sich besser terminieren. Es ist von Vorteil zu wissen, wann eine Geburt stattfindet und wie lange sie voraussichtlich dauern wird. Nicht zu vernachlässigen ist aus Sicht einer Klinik der Kostenfaktor. Die Betreuungszeit durch medizinisches Personal, die bei spontanen Geburten ja sehr umfassend sein kann, schlägt nicht so zu Buche wie ein ärztlicher Eingriff. Derzeit zahlen Krankenkassen zirka 3.000 Euro für einen Kaiserschnitt, für eine vaginale Entbindung lediglich die Hälfte – ein hübscher finanzieller Gewinn.
Die Bereitschaft der Eltern vor Gericht zu klagen, wenn es unter der Geburt zu Komplikationen komme, sei heute sehr viel höher als noch vor 20 Jahren, heißt es in einer offiziellen Stellungnahme des Bundes Deutscher Hebammen. Insofern komme der Kaiserschnitt ohne medizinische Indikation auch dem ärztlichen Wunsch nach juristischer Absicherung entgegen.
Es gibt viele Gründe für Frauen, sich einen Kaiserschnitt zu wünschen, wenngleich die Angst – auch die ums Kind – immer eine tragende Rolle spielt. Das meist genannte Argument sei, so Marion Brüssel, die „Rettung des Beckenbodens“. Oft haben Frauen nach der Geburt Probleme wie Blasenschwäche und sexuelle Empfindungsstörungen. Die enorme Belastung, welcher der Beckenboden während der natürlichen Geburt ausgesetzt ist, lässt sich nicht wegreden. Doch auch ein Kaiserschnitt garantiert nicht einen unversehrten Beckenboden, da dieser oft schon in der Schwangerschaft starken Belastungen ausgesetzt wurde.
Darüber hinaus stelle sich für jede Frau natürlich immer die Frage: „Will ich mich an meine Grenzen begeben oder die Kontrolle behalten?“, erklärt Marion Brüssel, wobei fraglich sei, inwieweit eine Frau auf dem OP-Tisch noch die Kontrolle behalte.
Bereits in der Schwangerenvorsorge werde heute eine massive Verunsicherung betrieben. Es gebe aufgrund der weit gefassten Kriterien etwa 70 Prozent Risikoschwangerschaften, die eine regelmäßige Kontrolle erforderlich machten, so Marion Brüssel. Stets müsse die Schwangere sich durch diverse Untersuchungen bestätigen lassen, dass auch wirklich „alles in Ordnung“ sei. Das Vertrauen der Frau in ihre eigenen Fähigkeiten – auch die zu gebären – werde so nicht gestärkt. Der Wunsch nach einem Kaiserschnitt ist dann oft nur konsequent. Schließlich bringt die Angst, zu versagen und die Geburt nicht aus eigener Kraft zu Ende zu bringen, oft Frauen, die bereits eine schwierige erste Geburt hinter sich haben, dazu, eine Schnittentbindung zu bevorzugen.
Obwohl selber alles andere als eine Befürworterin des so genannten „Wunschkaiserschnitts“, hat Marion Brüssel „tiefes Verständnis für Frauen, die einen Kaiserschnitt möchten, solange die Geburtshilfe so ist, wie sie ist“, und verweist auf Geburten in Rückenlage, enorm forcierte Geburten und die ungenügende Betreuung der Gebärenden in vielen Krankenhäusern. Allerdings müsse die Frau stets über alle möglichen Risiken und Folgen eines Kaiserschnitts aufgeklärt werden, damit sie sich frei entscheiden könne. Es dürfe nicht so getan werden, als handle es sich um einen harmlosen und ungefährlichen Eingriff.
„Ein Kaiserschnitt ist eine Operation mit allen Risiken, die bei Operationen auftreten“, erklärt Joachim Dudenhausen, der Leiter der Klinik für Geburtsmedizin der Charité im Virchow-Klinikum. Dazu gehören Infektionen, Embolien und Thrombosen. Gravierend seien auch die möglichen Folgen für die nächsten Schwangerschaften. Und darüber, so Dudenhausen, müsse unbedingt aufgeklärt werden. Das Risiko einer Uterusruptur oder Narbeneröffnung liege bei einem halben bis einem Prozent. Darüber hinaus kann es Einnistungsstörungen geben, die Plazenta kann tiefer im Uterus sitzen oder ungünstig liegen. Starke Blutungen können auftreten.
Marion Brüssel verweist in diesem Zusammenhang auch auf die Sterilitätsproblematik: Es gebe „eine unerklärliche Zahl von Frauen, die nach einer Schnittentbindung nicht mehr schwanger werden“. Und schließlich steigt nach einer Kaiserschnitt-Entbindung auch die Wahrscheinlichkeit, das nächste Kind erneut per Kaiserschnitt entbinden zu müssen.
Zwar erlauben schonendere Operations- und Narkosemethoden es heute schon, dass die Mutter wach ist und das Kind noch auf dem OP-Tisch zum Trinken anlegen kann. Die postoperativen Schmerzen können sie der Frau aber nicht nehmen. Die damit einhergehende eingeschränkte Bewegungsfreiheit der Mutter – viele Frauen können nach einem Kaiserschnitt vor Schmerzen kaum gehen – erschwert die Versorgung des Kindes, das Stillen und stört die so wichtige Bindungsphase in den ersten Stunden und Tagen nach der Geburt.
Die meisten Kinder, die mit geplanten Kaiserschnitten entbunden werden, sind Frühgeburten, da der Schnitt in der Regel vor dem geplanten Geburtstermin erfolgt. „Sie haben größere Adaptationsprobleme und sind schlecht vorbereitet auf das Leben außerhalb der Gebärmutter“, weiß Marion Brüssel. Die Lungen der Kinder werden nicht automatisch vom Fruchtwasser befreit, wie das beim Durchtritt durch den engen Geburtskanal und durch die Wehen bei normalen Geburten der Fall ist. Das Fruchtwasser muss abgesaugt werden. „Die Sectio-Kinder spucken viel länger, haben oft Atemprobleme und keine Lust zu saugen.“ Sehr pragmatisch näherte sich eine besonders ängstliche Schwangere dem Thema. „Es haben schon so viele Frauen geschafft – warum sollte also gerade ich das nicht können?“ Sprach’s und zählte fortan die Geburt ihres Kindes zu den schönsten Augenblicken ihres Lebens.