Das Herbeimalen von Stille

„Standort für Kritik“ – eine Ausstellung im Museum Ludwig in Köln zeigt alten Agitprop und neue Privatmythologien des umstrittenen deutschen „Malerfürsten“ Jörg Immendorff. Lenkt sie damit auch die Aufmerksamkeit wieder auf seine Kunst?

VON MAGDALENA KRÖNER

Im ehemaligen Heldensaal des Museum Ludwig ist es an diesem Wochentag erstaunlich still. Die obligatorische Schulgruppe sitzt nebenan und bekommt die Schätze der Pop-Art erklärt. Fast sakral mutet die Präsentation von 21 Werken aus 30 Jahren an, die Kasper König gegenwärtig für Jörg Immendorff eingerichtet hat – geplant, lange bevor es einen „Skandal“ gab und nur gedämpftes Raunen um eine mögliche Krankheit. Die Wände hinauf bis in luftige Höhen, so als sollte man sie gar nicht genau betrachten können, hängen seine Werke aus allen Jahrzehnten, darunter auch eine Arbeit der berühmten „Café Deutschland“–Serie: dichte, erzählerische, auch naiv-entschlossene Visionen zur Lage der Nation, die für eine Auseinandersetzung mit dem Malerischen kaum je Raum ließ. Und in der Mitte des Raumes thront der titelgebende „Standort für Kritik“ – ein großes rotes Podest aus Holz, dass Immendorff bereits in den Siebzigerjahren skizzierte.

Einmal nur eine Idee, eine Vision, findet es sich hier nun gebaut vor, zu einem denkbar denkwürdigen Zeitpunkt. Nun soll das Publikum Kritiker spielen; dafür liegen extra Kladden aus. Die Bücher sind voll – plötzlich glaubt jeder, eine Meinung zu haben zu Immendorff, um den es, außerhalb der von ihm geführten, auffällig guten Klasse an der Düsseldorfer Akademie, in den letzten Jahren auf dem Markt ruhiger geworden war.

Doch seit der 58-jährige Künstler im vergangenen Sommer bei einer Drogenparty mit ein paar Prostituierten in einem Düsseldorfer Nobelhotel erwischt wurde, läuft der „Malerfürst“ wieder unter höchster Priorität über die Nachrichtenticker und wird hoch gehandelt bei denen, die seine Kunst verkaufen. Zuletzt in seiner Ausstellung bei Contemporary Fine Arts in Berlin, wo der Künstler der versammelten und an seiner Kunst eher geringfügig interessierten Pressemeute „Respekt, meine Herren, Respekt!“ zurief.

Zum Stand der gegen ihn geführten Ermittlungen äußert sich Immendorff gegenwärtig nicht; immerhin steht sein Ausschluss aus der Akademie auf dem Spiel. Schlagzeilen produzierte Immendorff bereits genug, am wenigsten jedoch um seine aktuelle Kunst. In diesem Jahr saß der Künstler höchstselbst bei einer Fernsehtalkerin zu Gast und sprach über seine Krankheit, von der mancher Kritiker sein spätes Werk bereits zerstört sieht.

Betrachtet man nun die jüngsten Arbeiten und versucht, das sie umgebende mediale Rauschen außen vor zu lassen, wird große Stille hörbar und fasslich. Immendorff scheint sich die Stille herbeizumalen, die um ihn als öffentliche Person gründlich verscheucht wurde – nicht zuletzt von ihm selbst. In seine jüngsten Bildern erscheint Immendorff als Maler, der noch einmal eine Kehrtwende versucht, eine malerische Bewegung in eine neue Richtung. Nach Jahrzehnten, die er seinem malerischen Monumentalprojekt namens „Deutschland“ widmete, hat er dieses nun endgültig hinter sich gelassen, ebenso wie er zuvor den heiter-anarchischen Lidl-Aktionismus hinter sich ließ. Nach all dem voll gestellten Agitprop, der kritischen Analyse und den deutsch-deutschen Utopien der frühen Jahre erforscht er nun – mit drastisch reduziertem Bildinventar, aber auf hohem malerischem Niveau – einen mythologisch verbrämten Privatkosmos voller verschlüsselter Kodizes.

Gleichzeitig reiht sich er sich damit in die Kunstgeschichte ein und malt sich eine eigene, wacklig auf zwei Kugeln balancierende „Fortuna“, es grüßen Bosch, Dürer, Baldung. Doch verweigert Immendorff sich im sentimentalen Zitat eindeutigen Auslegungen, auch, wenn dazu zu lesen ist: „Wer reitet zu spät … Schwarzes Schaf.“

Charakteristisch für diese Kehrtwende erscheint dabei ein Selbstbildnis aus dem Jahr 1994. Des Künstlers Alter Ego kniet, nackt bis auf sein maskenhaft geschminktes Gesicht, vor einer mit seinen persönlichen Instanzen – wohl einem Richter und einem Pfarrer – verzierten Wand, beleuchtet von einer Kerze. Am Boden liegt ein zerknüllter Zettel mit den Inschriften „Umgestaltung, Kritik, Kampf“, den Themen der frühen Jahre. Kasper König tat gut daran, sich dieses Gemälde, das die Zäsur zu Immendorffs jüngsten Arbeiten markiert, als Geschenk für sein Haus zu sichern, von einem Kreis von sieben Sammlern um den Kunsthändler Helge Achenbach, die sich selbst „Rheingold“ nennen und mit den Werken aus ihrem Besitz die Ausstellung erst ermöglichten.

Das Spätwerk mag nun vieles vermissen lassen, was man von Immendorff gewohnt war, aber es bedeutet einen Aufbruch, zu einem neuen, noch nicht gesicherten, vielleicht nicht lange haltbaren Standort. Es macht sich angreifbar, indem es sich der Kritik stellt, und eröffnet damit einen neuen Raum fürs Malersein.

Bis 30. Mai, Katalog 15 €