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Übung und Geschick

Ein beeindruckendes Spiel zwischen Mensch und Puppe: Colette Sadlers im Rahmen der Tanznacht aufgeführte Choreografie „The Making of Doubt“ lässt die Tänzer mit den Gegenständen verwachsen

Für die Tänzer heißt das, sich selbst in ein Puppenstadium zu begeben

Auf den ersten Blick sehen alle gleich aus. Sechs Personen sitzen oder stehen reglos in einer der gewaltigen Uferhallen. Sie tragen Kapuzensweatshirts, bequeme Hosen und wenden dem Publikum den Rücken zu. Zwei von ihnen sind Puppen. Wer ist echt und wer nur gefakt?

Colette Sadlers im Rahmen der Tanznacht aufgeführte Choreografie „The Making of Doubt“ zeichnet den Prozess von der leb- und kraftlosen zur gefühlvoll animierten Puppe mit menschlichen Zügen nach. Der magische Moment der Erweckung zum Leben hat seit jeher fasziniert und verführt hier, Puppen ein eigenes Gefühlsleben zuzugestehen.

Sadlers Stück kreist um den Punkt, an dem sich Individuen und Puppen treffen, für einen Moment verwechselbar werden, uns glauben lassen, sie könnten sich verständigen, miteinander flüstern und wie Verliebte engumschlungen Tango tanzen.

Das, was in der innigen Formation des Paartanzes leicht und fließend anmutet, ist das Ergebnis eines intensiven Verfahrens, das an diesem Abend selbst immer wieder zutage tritt. Einen Blick hinter die Kulissen zu werfen, auf die Herstellung und Dekonstruktion von Bewegungsabläufen und Beziehungsmustern, ist schließlich das Thema von Sadlers „Making of“.

Wie müssen Puppen animiert werden, um als menschliche Wesen durchzugehen? „The Making of Doubt“ zeigt, dass es vor allem auf das Engagement der Tänzer – Eva Baumann, Maxwell McCarthy, Sybille Müller und Jara Serrano Gonzalez – ankommt: Sie sind es, die aktiv werden müssen, um die beiden Puppen in ihren Kreis zu integrieren, ihnen ein Eigenleben zu verleihen und sich auf ihre Handikaps einzulassen.

Dass der liebevolle Umgang mit ihren Schützlingen durch Gewaltausbrüche konterkariert wird, erinnert nur daran, dass es sich hier nach wie vor um robustes Spielzeug handelt, das wie Crashtest-Dummys prinzipiell alles mit sich machen lässt. Wenn sie wie Bälle einander zugespielt werden, bekommt man eine Ahnung vom nicht zu unterschätzenden Eigengewicht. Ihre Wucht droht die Tänzer jedes Mal umzuwerfen. Die schweren, schlackernden und trägen Objekte natürlich laufen oder gar tanzen zu lassen, erfordert Übung und Geschick. Welche Muskeln sind für eine bestimmte Position, einen Bewegungsablauf verantwortlich, wie werden Gesten produziert? Sich behutsam auf die abhängigen Puppen einzustellen, ist nicht nur eine mitfühlende Geste, sondern bedeutet die Zergliederung und Rückführung des eigenen Körperausdrucks auf seine elementaren Bedingungen und Automatismen.

Für Sadler und ihre Tänzer heißt das, sich versuchsweise selbst in ein Puppenstadium hineinzubegeben, um Stück für Stück die Kopie einer Puppe zu werden. So weit das eben geht. Schon einmal hat sich die zwischen Berlin und Glasgow pendelnde Choreografin mit dem Gedanken der Selbstkopie befasst: In ihrer Soloperformance „dDumy, another myself“ ging es um die Vereinigung des menschlichen Körpers mit einem Stuhl, um seine Verdopplung und die Erfahrung der Separation von jenem Objekt. Sich selbst als etwas Fremdes wahrzunehmen, führt Sadler in „The Making of Doubt“ nun von einer abstrakteren Ebene auf die konkrete der Repräsentation zurück. Aber sie geht auch darüber hinaus, wenn im zweiten Teil ihrer neuen Produktion Tänzer und Puppen ansatzweise zusammenwachsen: Mit einem dritten, täuschend echt wirkenden Arm oder Bein ausgestattet, erfahren die vier Künstlichkeit und Deformation am eigenen Leib und sind gefragt, spielerisch und schöpferisch auf ihre neuen Möglichkeiten und Einschränkungen zu reagieren.

ASTRID HACKEL

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