: Jedem sein eigenes Neu-Delhi
Gelungene Performance zum Abschluss des internationalen Jugendfestivals „Play Mas“: Mit Alltagsgeschichten aus Neu-Delhi zogen die Jugendlichen von „Cybermohalla“ das Kampnagel-Publikum in ihren Bann
Bollywood-Musik, 16 Jugendliche marschieren hintereinander auf die Bühne. Plötzlich verstummt der Schrabbelsound, die Szenerie verwandelt sich in ein Gemälde. Die Jungen und Mädchen, in wunderschöne Seidenstoffe gekleidet, gelb, grün, blau, gleiten elegant zu Boden in den Schneidersitz, andere schwingen sich auf Barhocker, wieder andere stehen selbstbewusst im Raum.
Es ist ein bisschen wie bei den Waltons, und auch wieder nicht. Denn jede Stimme erzählt hier ihre eigene Geschichte. Lustig der eine, wie er mal aus Versehen Benzin getrunken hat. Bekümmert und leise die andere, von ihrem alkoholkranken Bruder. Unbekümmert die Dritte, wie sie sich aus Jux im Bus verschleiert, um die Reaktionen der Mitfahrenden zu testen.
Mit einem Kopfnicken in Richtung des neuen Erzählers mündet eine Geschichte in die nächste. Fließend, so wie das Motto der Erzählperformance Cybermohalla: „Was ist das, was zwischen uns fließt?“ Der Klangteppich ihrer Worte verbindet die Erzählenden, während ihre Geschichten inhaltlich so unterschiedlich sind wie die Jugendlichen selbst. Zwar erfinden sie alle ihre Anekdoten in den stadtteilgebundenen Computerlaboratorien des indischen Molochs Neu-Delhi, insofern leben sie in „Mohalla“, also Nachbarschaft. Aber die einen sind schulisch hoch gebildet, die anderen nicht, die einen arm, die anderen reich.
Jeder von ihnen beschreibt deshalb sein eigenes, alltägliches Neu-Delhi. Das gelingt mal spannend, mal etwas langatmig, mal mit scharfem Blick fürs Detail. Etwas schwingt zwischen den Jugendlichen wie eine lautlose Musik im Subtext ihrer Geschichten. Das ergreift auch das Publikum auf Kampnagel, das diesem Kaleidoskop aus Sprachbildern andächtig lauscht. In englischer Simultanüberzetzung dringt das Hindi per Kopfhörer in die Zuschauerohren, vor ihren Augen der deutsche Text zum Mitlesen.
So werden aus einer Geschichte drei, ihnen parallel zu folgen ist anfangs mühsam. Gut so, denn die Sprachbarriere erinnert an kulturelle Unterschiede, macht erfahrbar, dass dieses „Mohalla“, also die Nachbarschaft zwischen Hörenden und Erzählenden, Beziehungsarbeit bedeutet. Eine stimmige Performance beim internationalen Jugendfestival auf Kampnagel. Dessen Motto „Play Mas“ gilt für die jungen ErzählerInnen sicherlich über diesen Auftritt hinaus. Katrin Jäger