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Archiv-Artikel

„We break it, you pay for it“

US-Außenminister Powell will auch die Deutschen auf die völkerrechtswidrige Politik der Amerikaner einschwören. Darauf sollten sie sich nicht einlassen, fordert ein Ami im Exil

Wir Amerikaner sind Kinder der Aufklärung. Wir wollen gute Argumente hörenund keine Lügen

Auf seiner politischen Erkundungsfahrt durch die Vereinigten Staaten vor 150 Jahren bemerkte der junge Tocqueville, dass es nicht der Mangel an Macht, sondern ihr Missbrauch sei, der den demokratisch verfassten Staat gefährde. Denn die Anarchie entstehe fast immer aus der Tyrannei der Mehrheit oder ihrer Ungeschicklichkeit, nicht aber aufgrund ihrer Machtlosigkeit. Dass demokratisch legitimierte Macht nicht immer die Stabilität der Demokratie bewahrt, ließe sich wohl an manchem demokratisch gewählten Tyrann belegen.

Im Grunde jedoch sind Demokratien darauf angelegt, interne Destabilisierung durch Konsensmechanismen abzuwehren oder durch checks and balances. Beide Verfahren entspringen der Erkenntnis, dass demokratische Legitimität nicht immer das politisch Legitime mit sich bringt, das die Demokratie bewahrt. Doch: Welches Kriterium der Legitimität gibt es für eine Außenpolitik, die das Ziel vorgibt, andere Staaten zu demokratisieren? Und hat ein mächtiger demokratischer Staat für solche eine Außenpolitik auf checks und balances zu achten?

Noch wichtiger ist es zu bestimmen, was außenpolitisch legitim sein soll, um der Freiheit zur politischen Selbstbestimmung zu verhelfen. Dieser Gedanke lag dem Ordnungskonzept des Völkerbundes und der Vereinten Nationen zugrunde. In der Außenpolitik der jetzigen US-Regierung dagegen spielt er kaum mehr eine Rolle. Das neue Sicherheitskonzept wurde schon vor dem 11. September 2001 erdacht, trat aber erst nach den Anschlägen auf World Trade Center und Pentagon an die Stelle eines Konzepts der internationalen Ordnung. Galt es zuvor die globalen wirtschaftlichen und politischen Interessen der USA zu verteidigen, so akzeptierten die meisten Amerikaner nach dem 11. September den Präventivkrieg als integralen Bestandteil der US-Sicherheitspolitik. Das gilt auch für den einzigen ehedem überzeugten Multilateralisten Colin Powell, der morgen in Berlin Unterstützung für die US-Position einfordern wird.

Für eine Außenpolitik, die den Krieg als legitimes politisches Mittel schon vorher in Anspruch nahm, ist der „Krieg gegen den Terrorismus“ geradezu sinnstiftend: Nach außen lieferte es einen starken Grund für die bereits entwickelte Interventionspolitik, nach innen einen verständlichen Grund für die Kürzung fast aller öffentlichen Bereiche zugunsten der Militärausgaben, dank deren sich die Vereinigten Staaten langfristig verschulden werden.

Die wichtigste Maxime seiner Außenpolitik erbte Bush von seinem Vorgänger, Bill Clinton, und von seinem Vater: Verdächtige immer ein Land, es besitze Massenvernichtungswaffen. Das berechtigt schließlich zu Wirtschaftssanktionen und macht langfristig einen Regimewechsel möglich – siehe Irak. Von dem langjährigen Chefwaffeninspekteur und ehemaligen US-Marine Scott Ritter wird berichtet, dass die Waffeninspektionen 1998 mehr von der US-Regierung behindert wurden als von Saddam. Kein Wunder: Hätten die Waffeninspekteure ihre Arbeit erfolgreich beendet, wäre es zur Aufhebung der Sanktionen gekommen und das strategische Ziel des Regimewechsels gefährdet gewesen.

Nützlich waren zudem die sensiblen Informationen über den inneren Kreis um Saddam Hussein, die von einigen Inspektoren an den Sicherheitsrat weitergegeben wurden. Dass es im Irak keine Massenvernichtungswaffen gibt und somit der vorgegebene Grund zur Intervention eigentlich erdichtet war, will man nun schleunigst vergessen machen. Es wäre für die USA und die europäischen Verbündeten zu peinlich, mitverantwortlich am Mord von jenen 1,5 Millionen Menschen zu sein, die infolge der Sanktionen und militärischen Interventionen gegen Irak gestorben sind. Letztlich ändert das nichts am Zusammenhalt des transatlantischen Bündnisses, und sogar die Vereinten Nationen werden den strategischen Zielen der USA wohlgesinnt bleiben und bereitwillig Opfer für sie in Kauf nehmen. Sie haben eh keine andere Wahl.

Jene in den USA hoch im Kurs stehenden Realpolitiker (sie sind leider nicht nur „neokonservativ“ noch auf die Republican Party beschränkt) mögen einwenden, dass sich alles doch noch zum Besten wendet. Schließlich seien wir Amerikaner aufgrund unserer neuen strategischen Überlegenheit im Nahen Osten in der Lage, die arabische Welt wirtschaftlich zu fördern und so US-freundlich zu stimmen. Nur – so einfach wird es nicht sein, aus dem angerichteten Chaos eine legitime Ordnung zu errichten; und nach einer weiteren Intervention in der Region würde es sogar noch viel schwieriger.

Es kommt hinzu: Da wir die Macht besaßen, um die bestehende Ordnung zu vernichten, sind wir nun auch zum Wiederaufbau verpflichtet. Da gibt es kein Vertun. Hier gilt ein Verantwortungsprinzip, das jeder amerikanische Kleinunternehmer kennt: „You break it, you pay for it.“ Beim amerikanischen Entwurf zu einer neuen Irakresolution des Sicherheitsrats für die Übergangsverwaltung scheint nun hingegen zu gelten: „We break it, you pay for it.“ So sieht der Entwurf etwa vor, dass ein irakischer Hilfefonds eingerichtet wird, in den alle Erträge der Ölwirtschaft sowie sonstige Vermögen des ehemaligen irakischen Staates fließen sollen. Der Fonds würde bis auf unbestimmte Zeit von den USA kontrolliert. Ein besonderer Paragraf des Entwurfs schließt jeden anderen Anspruch auf das Vermögen des irakischen Staates aus. Für den Wiederaufbau des Landes sind zudem bereits mehrjährige Verträge mit Firmen wie Halliburton geschlossen, die der Bush-Regierung (insbesondere dem Vizepräsident Dick Cheney) nahe stehen.

Bushs Maxime ist: Verdächtige immer ein Land, es besitze Massen-vernichtungswaffen

Eines kann man jedoch der Bush-Regierung zugute halten: Sie sind darum bemüht, ihre Politik mit Prinzipien zu begründen. Auch wenn das meist Scheinbegründungen sind, versuchen sie doch auf ihre besondere, wenn auch sehr verlogene Weise an die zum Teil gut erhaltenen moralischen Institutionen von Gerechtigkeit und Fairness in der amerikanischen Bevölkerung Anschluss zu finden. Doch wir Amerikaner sind Kinder der Aufklärung, die meisten von uns denken, dass wir denken können sollen. Wir wollen daher gute Argumente hören und keine Lügen. Wer sich jetzt mit manipulierten Informationen und schlechten Argumenten zufrieden gibt oder dem medialen Fluss des Voreingenommenen und Belanglosen Glauben schenkt, gibt seine beste Bürgertugend preis.

Auch diejenigen Amerikaner, die sich für diese destruktive und prinzipienlose Außenpolitik nicht verantwortlich fühlen, werden zur Rechenschaft gezogen – durch erhöhte Militärausgaben sowie durch die weitere Militarisierung unserer Wirtschaft und schließlich auch unserer Kultur. Und wenn es wirklich zu einem zweiten Angriff von dem wie auch immer konstruierten Feind im „Krieg gegen Terrorismus“ kommen sollte, werden wohl weitere Ermächtigungen der kriegsführenden Exekutivgewalt für notwendig erklärt. COLIN GUTHRIE KING