: Mehr Ausweisungen sind kein Patentrezept
Das deutsche Ausländerrecht hat keinen Mangel an Ausweisungsgründen. Auch neue Spielräume würden nicht unbedingt zu mehr Abschiebungen führen
FREIBURG taz ■ Der Anschlag von Madrid gibt eigentlich keinen zwingenden Anlass, über die verschärfte Ausweisung von Ausländern nachzudenken. Aber da Regierung und Opposition gerade über das Zuwanderungsgesetz verhandeln, gewinnen ausländerrechtliche Fragen besondere Brisanz. „Es macht keinen Sinn, Ausländer erst nach einem Sprengstoffanschlag auszuweisen“, kritisiert Bayerns Innenminister Günther Beckstein (CSU). „Die Ausweisung muss schon möglich sein, wenn der Anschlag erst vorbereitet wird.“
Von einer Ausweisung spricht man, wenn einem Ausländer, der rechtmäßig in Deutschland lebt, das Aufenthaltsrecht entzogen wird. Die Durchsetzung der Ausreisepflicht bezeichnet man dann als Abschiebung. Wie sieht aber die bisherige Rechtslage aus? Eine Ausweisung ist möglich, wenn der Aufenthalt des Ausländers „die öffentliche Sicherheit und Ordnung oder erhebliche Interessen der Bundesrepublik beeinträchtigt“. Es genügt insbesondere, wenn der Ausländer einen „nicht nur vereinzelten oder geringfügigen Verstoß gegen Rechtsvorschriften“ begangen hat. Hierbei genügt seit 2003 zum Beispiel die Mitgliedschaft oder Unterstützung einer ausländischen Terrororganisation, auch wenn diese in Deutschland (noch nicht) aktiv ist. Wer sich heute in einem Trainingslager der al-Qaida ausbilden lässt, dürfte sich damit wohl auch strafbar machen. Auf einen Sprengstoffanschlag müssen die Ausländerbehörden also nicht warten.
Ein Ausländer ist „in der Regel“ auszuweisen, wenn er zu einer Freiheitsstrafe ohne Bewährung verurteilt wurde. Beträgt die Haftstrafe mehr als drei Jahre, ist ein nicht besonders geschützter Ausländer zwingend auszuweisen.
Seit Otto Schilys Antiterrorpaket vom Januar 2002 ist für die Ausweisung gar kein Rechtsverstoß mehr nötig. Jetzt ist ein Ausländer „in der Regel“ auch auszuweisen, „wenn Tatsachen belegen, dass er einer Vereinigung angehört, die den internationalen Terrorismus unterstützt, oder er eine solche Vereinigung unterstützt.“
Eigentlich wollte Schily schon beim Verdacht auf eine Unterstützung die Ausweisung zulassen. Doch hier hatten die Grünen und die damalige Justizministerin Herta Däubler-Gmelin verfassungsrechtliche Bedenken. Doch auch die seitdem geltende Regelung hielten viele für zu weitgehend, weil die „Unterstützung von Unterstützern“ des Terrors doch eine sehr unbestimmte Voraussetzung sei.
Tatsächlich ist seitdem kein einziger Islamist aufgrund dieser Bestimmung ausgewiesen worden. Die Union fordert nun erneut, es müsse ein konkreter Verdacht genügen. Vermutlich würde sich aber auch damit wenig ändern, denn wohl keine in Deutschland aktive Organisation unterstützt offen den Terrorismus. Die Union will deshalb auch die Führungspersönlichkeiten „extremistischer“ Vereinigungen erfassen. So könnte man zwar die Ausweisungszahlen erhöhen, würde jedoch das Ziel der Terrorismusbekämpfung aus den Augen verlieren. Der von Schily verbotene Kalifatstaat strebt zwar an, die Türkei in einen islamischen Gottesstaat zu verwandeln, hatte aber nach bisherigen Erkenntnissen keine Verbindung zu al-Qaida.
So steht einer Ausweisung zum Beispiel oft entgegen, dass der Ausländer einen deutschen Ehepartner hat. In diesen Fällen gilt erhöhter Ausweisungsschutz. Auch hierüber will die Union – sonst vehemente Hüterin der Ehe – nachdenken. Ein verstärkter Ausweisungsschutz gilt außerdem für anerkannte Flüchtlinge. Sie können bisher nur ausgewiesen werden, wenn sie wegen einer Straftat zu mehr als drei Jahren Haft verurteilt wurden.
Und selbst wenn die Ausweisung vor Gericht akzeptiert wird, kann ihr Vollzug gegen internationales Recht verstoßen. An der Geltung der Europäischen Menschenrechtskonvention, die die Abschiebung bei Foltergefahr oder drohender Todesstrafe verbietet, kann selbst der Bundestag nichts ändern. Das weiß auch die CDU/CSU.
CHRISTIAN RATH