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Archiv-Artikel

Picknick für Kurzentschlossene

Wer mal Würstchen grillen will, aber keinen Rost hat und die dazu passende Kühltasche, dem wird geholfen: Ein Kunstprojekt verleiht Accessoires für den gemütlichen Sommernachmittag im Freien, und Tipps gegen Stechmücken gibt es obendrein dazu

Schnür dir dein individuelles Survival-Paket für ’ne schöne Berliner Nacht

von SIMONE ROSSKAMP

Eigentlich könnte man gleich hier vom Boden essen. Über dem braun-beige marmorierten Laminat mehrere Quadratmeter saftig-grüner Kunstrasen. Darauf, liebevoll drapiert, karierte Decken und eine himmelblaue Kühlbox, Thermosbecher mit dampfendem Inhalt. Schatten spenden zwei Bastmatten vor den riesigen Frontscheiben: Innenraum-Idyll im Retro-Look.

Fürs richtige Picknickfeeling allerdings fehlen Ameisen und Gras zwischen den Zehen. Das wissen auch Tanja Kreisz und Björn Ney, die ihre Kunden seit Anfang Mai zwar in ihrer auf Freiraum-Feeling designten Lounge begrüßen, sie dann aber rausschicken, in den Schoß der richtigen Mutter Natur. Das nicht, ohne sie entsprechend auszustatten.

Du willst dich spontan als Grillmaster im Park erproben, hast aber keine Lust, durch den überfüllten Supermarkt zu hetzen? Auf der Brunnenstraße 174 schnüren die Projektleiter dir ein individuelles Survival-Paket: Mehrere Sets sind im Angebot – vom einfachen Sandwich bis zur All-Inclusive-Variante. Im Sonderangebot und besonders beliebt: Das Set „Grillvergnügen“. Tragbarer Fleischbrutzler mit abgezählter Holzkohle, vier eingeschweißte Koteletts, Decke, zwei Getränke, Mülltüte. Den Spritzer Grillanzünder gibt es gratis dazu. Für zwei Stunden kostet der Picknick-Spaß 12, den ganzen Tag 15 Euro. Alle Accessoires können auch einzeln gebucht werden. Tupperware, Thermobecher, Kühlbox: Gepflegtes Outdoor-Speisen für Kurzentschlossene.

„Kommerziell wird das natürlich nicht unbedingt ein Erfolg“, weiß Kreisz. Zumal die beiden bisher mit absoluter Minimalausstattung arbeiten: Zehn Kühlboxen, genauso viele Decken und Taschen mit dem eigenen Logo gibt es, zwei Kohlesäcke, drei Grills, Geschirr und Besteck aus Eigenbestand. Das Projekt „Picknick“ hat einen seit Jahren leer stehenden Laden wiederbelebt. „Die Frontscheibe war schon völlig mit Plakaten zugekleistert“, erinnert sich Ney. Nach nur einer Woche war der Laden picknickbereit, die Hausverwaltung hatte das Projekt sofort begeistert abgenickt. Früher gab es hier Mode, jetzt Design-Avantgarde: An der Ecke Brunnen-/Invalidenstraße haben Kreisz und Ney eine kreative Zelle in Sachen Lifestyle-Kultur eingerichtet. Ihre Erfahrungen, sie als Pädagogin, er als Diplom-Designer, würfeln sie dabei zu einem kompromisslosen Ideenmix zusammen. „Produkte für Städte“ lautet das Thema, das inhaltlich an Neys Diplomarbeit anschließt, die er auch auf dem aktuellen DesignMai präsentiert. Ergänzt wird der charmante Accessoire-Verleih durch eine Fotoserie, die Picknick-Geschichten aus ganz Berlin erzählt: Appetitliche Frikadellen in Plexiglas, abgeknabberte Knochen, der Samowar köchelt auf dem Holzkohlegrill.

Und auch abends, wenn die Parks längst menschenleer sind, können sich Picknickfans in der Lounge zum Fachsimpeln über die neuesten Fleischsorten und Anti-Insekten-Tricks treffen. Noch bis Sonntag verwandelt sich der Ausleihservice abends in einen Club. Geöffnet ist er dann aber ab Montag nur noch tagsüber, immer ab 12 Uhr. „Und das“, so Ney, „hoffentlich den ganzen Sommer lang.“ Picknicken als Lebensgefühl?

Der postmoderne Berliner Flaneur will auch einmal verweilen: „Essen und trinken wie im Café, das aber an einem selbst gewählten Ort“, umreißt der Designer die Motivation. „Du kannst dich ausstrecken, sogar einschlafen – keinen interessiert das da draußen.“ Diese Zwanglosigkeit möchten die beiden weitergeben. Ob in Form eines Vereins oder als Club, das steht noch nicht fest. Geplant ist zunächst die eigene Kollektion und eine Interview-Reihe mit Berliner Freiluftspezialisten. Dann picknickt man weiter.