: Gericht traut nur dem Kronzeugen
Lange Haftstrafen im Prozess um die „Revolutionären Zellen“ gehen teils gar über Forderungen der Staatsanwalt hinaus. Angeklagte dennoch vorerst auf freiem Fuß. Anwälte kündigen Revision an
von MARTIN BECK
Völlig überraschend endete gestern der Prozess in Sachen Berliner Revolutionäre Zellen. Das Kammergericht sah nach 174 Verhandlungstagen die Anklage des Bundesanwaltschaft in allen Punkten bestätigt und verurteilte die fünf Angeklagten zu mehrjährigen Haftstrafen.
Die Verhandlung unter Vorsitz von Gisela Hennig hatte fast drei Jahre gedauert. Nach immer neuen Verzögerungen hatte nicht einmal die Unterstützerszene der Angeklagten mit einem baldigen Urteil gerechnet und war gestern im Gericht fast nicht präsent.
Laut Urteil waren Sabine Eckle, Rudolf Schindler und der ehemalige Leiter des Auslandsamtes der TU, Mathias Borgmann „führende Köpfe der RZ“. Drei Jahre und neun Monate lautete deshalb wegen Rädelsführerschaft und der Beteiligung an den Sprengstoffanschlägen auf die Zentrale Sozialhilfestelle für Asylbewerber (ZSA) das Urteil gegen Eckle und Schindler. Die härteste Strafe mit vier Jahren und drei Monaten erhielt Borgmann, dem auch der Sprengstoffanschlag auf die Siegessäule 1991 zugeordnet wurde. Zudem habe er, anders als drei Mitangeklagte, in dem Prozess geschwiegen, bemängelte die Richterin. Als „Gefolgsleute von untergeordneter Bedeutung“ erhielten Harald Glöde 31 und der Hausmeister des Mehringhofes, Axel Haug, 32 Monate. Letzteren wertete das Gericht als Verwalter eines Sprengstoffdepots im Mehringhof, das allerdings nie gefunden wurde. Die Staatsanwaltschaft hatte für ihn drei Monate weniger Haft gefordert.
Das Gericht sah es zudem als erwiesen an, dass alle Angeklagten an den Knieschüssen auf den damaligen Leiter der Berliner Ausländerbehörde, Harald Hollenberg, und den Vorsitzenden Richter des Bundesverwaltungsgerichts, Günter Korbmacher, in den Jahren 1986 und 1987 beteiligt waren. Beide Taten wurden aber wegen Verjährung nicht mehr strafrechtlich verfolgt.
Die Anklage beruhte im wesentlichen auf den Aussagen des Kronzeugen Tarek Mousli, der im Januar 2000 wegen Mitgliedschaft in den RZ zu zwei Jahren Haft auf Bewährung verurteilt worden war. Zwar waren in der Hauptverhandlungen zahlreiche Widersprüche in Mouslis Aussage zutage getreten. Dennoch gibt es laut Gericht an seiner Glaubwürdigkeit keinerlei Zweifel. „Der Senat ist überzeugt, dass er die Angeklagten nicht aus Eigennutz über Gebühr belastete“, führte Hennig aus. Mousli, gegen den wegen Rädelsführerschaft ermittelt wurde, sei von den Ermittlungsbehörden nicht mit einer hohen Haftandrohung unter Druck gesetzt worden. „Das ist keinesfalls eine Nötigung, wie es ein Verteidiger ausdrückte, sondern ein zulässiges Mittel der Strafverfolgungsbehörden“, so Hennig.
Die Aussagen des Kronzeugen enthielten eine „Fülle von Täterwissen“. Selbst die gegenteiligen Darstellungen der Angeklagten Schindler, Eckle und Haug, wertete das Gericht als Bestätigung der Angaben des Kronzeugen. Die Angeklagten hätten lediglich „das Mindeste und nicht Bestreitbare zugegeben. Dieses Taktieren hat den Angeklagten mehr geschadet, als genutzt.“
„Das ist ein Urteil, als hätte es keine dreijährige Beweisaufnahme gegeben“, kommentierte die Verteidigerin Silke Studzinsky das Urteil. Das Gericht habe sich „subjektiv für Mousli entschieden und deshalb seine Aussagen nicht kritisch überprüft“, sagte ihre Kollegin Edith Lunnebach.
Mit dem Urteil wurden die Haftbefehle aufgehoben. Sollte die zum Teil 28-monatige U-Haft angerechnet werden, dürften bis auf Borgmann alle Verurteilten auf freiem Fuß bleiben. Ein Teil der Angeklagten wird Revision gegen das Urteil einlegen.
brennpunkt SEITE 6