: Kontrollierte Freiheiten
Sicherheitskoordinator, EU-Nachrichtendienst oder einen obersten Terrorbekämpfer? Neue Pläne im EU-Rat gegen den Terror
AUS BRÜSSELDANIELA WEINGÄRTNER
Eine neue Strategie im Kampf gegen den Terrorismus hat der amtierende EU-Ratspräsident Bertie Ahern angekündigt. Die Innenminister der demnächst fünfundzwanzig Mitgliedstaaten werden sich heute bei einem Sondertreffen in Brüssel mit seinen Vorschlägen befassen. Nicht neu ist allerdings die Forderung, dass die Länder besser zusammenarbeiten müssen und noch immer zu wenig Daten und nachrichtendienstliche Erkenntnisse austauschen.
Nach den Anschlägen in Madrid hatte sich wieder gezeigt, dass nationales Eigeninteresse und wahltaktisches Kalkül allemal schwerer wiegen als die Einsicht, nur gemeinsam mit den Nachbarländern die neue Bedrohung in den Griff zu bekommen. Ahern möchte das neue Amt eines Sicherheitskoordinators schaffen, der die Zusammenarbeit innerhalb der EU und mit Drittstaaten stärken und die Aktivitäten der EU-Länder im Kampf gegen den Terrorismus koordinieren soll.
Beim Europäischen Rat am 25. und 26. März möchte er außerdem die Zustimmung der Regierungschefs dafür gewinnen, die Solidaritätsklausel aus der geplanten EU-Verfassung bereits vorab in Kraft zu setzen. Sie beinhaltet, dass die EU-Mitgliedsländer sich gegenseitig bei neuen Bedrohungen beistehen, die von terroristischen Vereinigungen oder nichtstaatlichen Gruppen ausgehen und gegen die Zivilbevölkerung oder demokratische Institutionen gerichtet sind. Bereits beschlossene Maßnahmen wie das neue Schengen-Informationssystem, das die Datenkontrolle bei der Einreise verbessern soll, der Datenaustausch über alle für die EU gestellten Visa-Anträge oder das grenzüberschreitende Einfrieren von Konten verdächtiger Personen sollen in Zukunft beschleunigt umgesetzt werden.
Ahern will außerdem ein Informationsnetzwerk schaffen, das die Finanzströme terroristischer Gruppen nachvollziehbar macht. Mit einem neuen Sicherheitskoordinator will sich der belgische Premierminister Guy Verhofstadt nicht begnügen. Er hat – unterstützt von Österreich – gefordert, dass die EU einen gemeinschaftlichen Nachrichtendienst gründet, der nationale Polizei, Europol und nationale Geheimdienste dazu bringt, ihre Daten zu teilen. Europol, so Verhofstadt, habe bei der Aufgabe versagt, eine stimmige Antiterrorpolitik zu ermöglichen. Der Stab von Javier Solana, dem außenpolitischen Vertreter der Europäischen Union, hält im Gegensatz zu dieser Einschätzung die bestehenden Strukturen für ausreichend. Sie müssten aber besser genutzt werden. In einem internen Bericht seiner Abteilung heißt es: In der EU existieren bereits Strukturen, um die Zusammenarbeit der Dienste zu verbessern. Abkommen werden aber schleppend umgesetzt, und die bestehenden Instrumente werden nicht genutzt und in vielen Mitgliedstaaten von den Ermittlungsbehörden auch nicht verstanden.
Darüber hinaus will auch Javier Solana einen speziellen Beauftragten für Terrorbekämpfung einsetzen. Kommissionspräsident Prodi sieht ebenfalls Bedarf. Nach seinen Vorstellungen soll das neue Amt aber bei der Kommission angesiedelt sein. Dass die viel beschworene Ausgewogenheit zwischen dem Schutz der Privatsphäre und dem Informationsbedürfnis des Staates verloren zu gehen droht, hat das Europäische Parlament in seiner Plenarsitzung in der vergangenen Woche betont. In einer Resolution stimmten 439 von 506 Abgeordneten für die Feststellung, der Datenschutz in der EU sei nicht ausreichend. Zudem sei die Übermittlung von Flugpassagierdaten, wie sie von den US-Behörden gefordert wird, ein eklatanter Bruch von EU-Recht.
Das Parlament stellte fest, dass die Datenschutzrichtlinie der EU zwar schon 1998 in den meisten Mitgliedsländern umgesetzt worden ist. Die Kommission habe aber erst fünf Jahre später einen Bericht geliefert, wie es um den Datenschutz in den Mitgliedsländern bestellt ist. Er zeige, dass es enorme Unterschiede gebe, was die Durchsetzungskraft, die Einspruchsrechte der Bürger und die Personal- und Finanzausstattung der Datenschutzbehörden angehe.
Tony Bunyan von Statewatch, eine Organisation, die die bürgerlichen Freiheiten in der EU überprüft, kommentierte das Parlamentsvotum so: Alles deutet darauf hin, dass die Menschen ihren Regierungen nicht vertrauen können, was den Schutz der Privatsphäre angeht. Hoffen wir, dass sie dem Europäischen Parlament vertrauen können.
Die PDS-Europaabgeordnete Sylvia-Yvonne Kaufmann sagte im Vorfeld des außerordentlichen Innenministertreffens: „Konservative Uraltforderungen nach mehr Geheimdienst, Polizei und Armee wurden aus der Schublade gezogen. In Deutschland wärmen CDU und CSU ihre Idee vom Einsatz der Bundeswehr im Innern auf. Das ist Aktionismus pur, der offenbar die Bevölkerung in Sicherheit wiegen soll.“ Es wäre schon viel gewonnen, würden die vorhandenen legitimen polizeilichen Möglichkeiten in allen Mitgliedstaaten voll ausgeschöpft, sagt die PDS-Politikerin.
Der Konflikt zwischen Datenschutz und Antiterrormaßnahmen berührt einen grundlegenden Konstruktionsfehler der Europäischen Union. Angesichts globaler Bedrohungen wächst die Notwendigkeit globaler Zusammenarbeit. Nach einem Schock wie den Anschlägen von Madrid lautet die Antwort der Regierungen: Schärfere Gesetze, neue Institutionen, mehr Datenaustausch. Das EU-Parlament ist aber noch zu schwach, um in Augenhöhe mit den Regierungen seine Kontrollfunktion wahrzunehmen. Der amtierende Ratspräsident sollte also nicht darauf abzielen, die Solidaritätsklausel aus der neuen EU-Verfassung vorab in Kraft zu setzen. Er sollte seinen Kollegen vielmehr klar machen, dass sie angesichts der neuen Weltlage die ganze Verfassung brauchen – inklusive Grundrechte-Charta und einem starken, selbstbewussten EU-Parlament.