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Archiv-Artikel

Eine Etage zu tief

Arminia Bielefeld erschläft sich bei Hansa Rostock ein 0:3 und ist plötzlich der heißeste Abstiegskandidat

ROSTOCK taz ■ Die zweite Halbzeit war gerade angepfiffen, da erschienen, frisch geduscht und hoch erstaunt, Bielefelds Ansgar Brinkmann und Maciej Murawski auf der Pressetribüne im Rostocker Ostseestadion. Ihren suchenden Blicken zufolge war die geschlossene VIP-Abteilung das eigentliche Ziel. Doch diese befand sich eine Etage höher – ganz oben eben. Also kletterten die beiden akrobatisch über allerlei Stufen und Hindernisse, um doch noch im bequemen Ledersitz Platz nehmen zu können.

Eine Etage zu tief ist nach der 0:3-Abfertigung in Rostock auch die restliche Bielefelder Mannschaft gelandet. Vor dem letzten Spieltag steht sie auf einem Abstiegsplatz. Ob sie aber, wie die beiden Tribünen-Irrläufer, noch den Weg nach oben findet, scheint fraglich. Aus eigener Kraft ist der Klassenerhalt jedenfalls nicht mehr möglich. Und so ist alles, was bleibt: Hoffnung. Detlev Dammeier zum Beispiel hofft, dass sein früherer Trainer Wolfgang Wolf „die Nürnberger auf Vordermann bringt und gegen Leverkusen alles versucht“. Sport-Direktor von Heesen hofft gar auf ein „Fußball-Wunder“. An Wunder glauben tut er nicht.

Beim vorletzten Saisonspiel in Rostock agierte Bielefeld erschreckend schwach. Weil auch Rostock kaum Glanz verbreitete, war die lasche Gegenwehr der Ostwestfalen besonders auffällig. Von Heesen glaubte nach Abpfiff gar, „bei einem Freundschaftsspiel“ gewesen zu sein, und stellte eine „Schläfrigkeit fest, die wir über 90 Minuten nicht aus den Knochen bekamen. Das war brutal.“ Vor allem Brinkmann, beim 3:0 im Hinspiel nahm er die Rostocker noch alleine auseinander, verschlief die ersten 45 Minuten komplett. Benno Möhlmann wechselte ihn und Murawski daher für Heinz und Diabang aus. Später sagte Möhlmann: „Uns fehlte heute die Frische und Cleverness, um das Richtige zu tun.“

Alles richtig machte dafür Godfried Adoube beim 1:0. In der 8. Minute nahm er aus 16 Metern eine verkümmerte Bielefelder Kopfballabwehr mit vorbildlicher Schusshaltung auf. Dass er diese beherrscht, wusste man in Rostock bisher nicht – der unhaltbare Flachschuss geriet zu seinem ersten Bundesliga-Tor. Zwei Minuten zuvor wälzte er sich noch bedenklich auf dem Rasen. Er war in ein Foulspiel geraten, Trage und Träger standen bereit. Der Ghanaer hüpfte aber ins Seitenaus. Der erste Ballkontakt nach seiner Blitz-Genesung führte zum Torerfolg.

In der Folge war nur den Rostockern anzumerken, dass sie partout nicht absteigen wollten. Der vorentscheidende Befreiungsschlag gelang dann Marco Vorbeck (56.). Den Ball von einem der Schläfrigen freundlich vorgelegt bekommen, umkurvte er Torwart Hain und erzielte das 2:0 – und somit die Vorentscheidung, nach der sich 25.000 Zuschauer erhoben und „Zweite Liga – niemals“ sangen.

Die Belohnung folgte auf dem Fuß: Hansas Vorstandsvorsitzender Prof. Klinkmann stellte mit dem Dänen Thomas Schultz (Farum BK) den ersten Neuzugang vor und versprach für die nächste Saison vor Freude taumelnd wieder einmal „offensivere und bessere Spiele“. Dann setzte der Professor zu allgemeingültigen Aussagen an: „Wenn man sich keine hohen Ziele setzt, kann man sie auch nicht erreichen.“ Laut Klinkmann ist dies „eine allgemeine medizinisch-psychologische Weisheit“. Dann wies der Mann aus der Vorstandsetage noch darauf hin, dass er absichtlich nicht vom Ziel, „nicht abzusteigen“, gesprochen habe.

Trainer Armin Veh hört solche Dinge freilich nicht gerne, schon gar nicht in der Stunde des Klassenerhalts. „Wir sollen die besten Spieler holen, tollen Fußball spielen – das ist doch alles nicht real“, grantelte er. Der Hansa-Trainer ärgerte sich nach Abpfiff auch aus anderen Gründen: „Es tut mir sehr leid, ich habe einfach nicht daran gedacht“, gestand Veh auf die Frage, warum er Peter Wibran in den letzten Minuten nicht noch eingewechselt habe. Für den Schweden war es nach fünf Jahren Hansa das letzte Heimspiel, er verlässt den Verein. Veh brachte stattdessen Di Salvo, der das 3:0 schoss – und Wibran verbeugte sich nach dem Schlusspfiff alleine vor den Fans. Die sangen „Peter, wir lieben dich“. Rostocks Liebling verließ das Stadion traurig. Trotz des Klassenerhalts. DIRK BÖTTCHER