: Ein Richter ist auch nur ein Mensch
Der Richter Hubert F. kaufte nach Feierabend Sekt ein und veranstaltete Sexpartys. Jetzt ist er wegen Zuhälterei angeklagt. Seine Exfreundin Lydia S. sagt, sie sei als Sexsklavin missbraucht worden. Hubert F. bemüht sich nun zu zeigen, dass sie die Schuldige ist – und mit ihrem neuen Gatten falsch liegt
von KIRSTEN KÜPPERS
Man kann sagen, dass Hubert F. ein ausgefallenes Hobby hatte. Der Richter veranstaltete Sexpartys. Zu Hause in seiner Wohnung in Steglitz. Er hatte damit einen hübschen Nebenverdienst. Regelmäßig hat F. diese Zusammenkünfte organisiert, hat Inserate in den dafür vorgesehen Rubriken der Stadtmagazine geschaltet und Sekt eingekauft. Abends kamen dann die Gäste, überwiegend Männer nahmen an diesen Treffen teil, auch einige Pärchen. Die Besucher zahlten 50 Euro an Hubert F., dann legten sie im Flur die Kleider ab, bewegten sich nackt oder nur in leichter Unterwäsche durch die Räume. Man unterhielt sich, man trank Sekt, man rauchte im Schein der Kerzenleuchter, hörte Musik. Eine sehr entspannte Atmosphäre. Für sexuelle Ausschweifungen stand ein Zimmer mit einem Matratzenlager bereit und eines mit einem großen Bett. Kurzum, es war eine schöne Zeit für F.: Er hatte Geld, er hatte einen angesehenen Beruf als Richter, sein Privatleben füllte ihn aus. Wie ein breiter, ruhiger Fluss lief das Leben dahin. Zuletzt arbeitete F. nur noch einmal die Woche am Amtsgericht Brandenburg. Ansonsten war er mit seinem Hobby beschäftigt: Dienstags, donnerstags und samstags fanden sie statt.
Jetzt ist der 43-jährige Richter Hubert F. vor dem Berliner Landgericht angeklagt. Zuhälterei, sexuelle Nötigung, gefährliche Körperverletzung und Verstoß gegen das Ausländergesetz werden ihm vorgeworfen. In einem dunklen Anzug und gemusterter Krawatte sitzt der hoch gewachsene, blasse Mann im Gerichtssaal. Wegen der ganzen Sache wurde F. vom Dienst supendiert. Angezeigt hat ihn seine Exfreundin, die Slowakin Lydia S.
Sie war 19 Jahre alt damals und Hubert F. soll geduldet haben, dass sie in seiner Wohnung von Partygästen missbraucht wurde. Lydia S. ist heute 22 und sie hat der Polizei erzählt, dass sie von mindestens neun Besuchern sexuelle Handlungen ertragen musste. Von dem Richter habe sie dafür nur ein Taschengeld in Höhe von 100 Euro bekommen, sie konnte nicht fliehen, weil F. ihren Pass einkassiert hatte. Wenn F. bei den Sexpartys Lydias Schreie hörte, heißt es in der Anklage, habe er nur gelächelt und die Musik lauter gestellt.
Auch um eine zweite Frau geht es. Eine Polin, die F. als Putzfrau engagiert hat und der er täglich 50 Euro dafür zahlte, dass sie in seiner Wohnung erotische Massagen anbot. F. selbst soll dabei im Nebenzimmer gesessen haben, erklärt die Frau bei ihrer Zeugenaussage. „Mein Tagessatz war immer 50 Euro, egal wie viele Kunden kamen.“
Hubert F. ist kein Mensch, der sich für sein Sexualleben schämt. Drei Wochen läuft die Verhandlung nun schon gegen ihn. Viele Partygäste haben ausgesagt, ein Krankenpfleger, ein Lehrer, ein Taxifahrer. Auch ein Brandenburger Bürgermeister soll regelmäßig die Veranstaltungen in der Steglitzer Wohnung besucht haben. An einem Prozesstag wurde ein braun gebrannter Busfahrer auf dem Gerichtsflur verhaftet, weil er an den Misshandlungen beteiligt gewesen sein soll. Im Saal selbst wurde viel über Sexualpraktiken geredet, über Pornovideos und Partnertausch. Stets blieb der Angeklagte selbstsicher, kein Abgleiten in Verlegenheit.
Es ist eine demonstrative Gelassenheit, mit der sich Hubert F. wehrt. Ein aggressiver Gleichmut gegen all die Boulevardzeitungsleser, die sich am nächsten Tag über ihn erheben werden. Gegen die kichernden Zuschauergrüppchen im Gerichtssaal. Gegen die ganze brave Strebsamkeit überhaupt in der Gesellschaft. Hubert F. sitzt aufrecht da, drückt den Rücken durch. Er erklärt, er habe Lydia S. auf einer Sexparty kennen gelernt. Er habe ihre „sexuelle Unersättlichkeit“ gemocht. Er lächelt in die Kameras der Reporter. Er sagt: „Ich gehe nur montags arbeiten“, oder: „Ich bin Richter, aber auch nur ein Mensch.“ Einmal hebt er die Hände und meint: „Ich mag nun mal keinen Blümchensex. Ich bin extravagant.“ Und nicht selten scheint es, als wolle F. den Zuhörern mit seinen vielen Sätzen etwas beweisen – allen vorneweg seinen Richterkollegen. Als wollte er ihnen zeigen, dass er das ganze Aufsehen um seine Person gerne erträgt. Als Preis, den einer zahlen muss für ein besseres, wildes Leben. Wenn Hubert F. ausgeredet hat, faltet er die Hände. Ein überlegenes Schweigen.
Kurz nach ihrem Kennenlernen war die Kellnerin Lydia S. zu ihm gezogen. Aus Liebe, so stellt F. es dar. Sie putzte, sie kochte. An manchen jener Abende war sie als Frau allein mit acht Männern. Er habe die Partys nur wegen ihr so oft veranstaltet, erklärt Hubert F. Sie habe das Geld gebraucht. Und die Schreie, um die es in der Anklage geht, seien Lustschreie gewesen.
Vielleicht hat er Recht. Die als Zeugen geladenen Partygäste geben sich Mühe, das Besondere, das über ein Jahr lang in der Steglitzer Wohnung geschah, normal erscheinen zu lassen. „Sicherlich wurde eine Frau an einer Hundeleine zur Tür gebracht, um die Gäste zu begrüßen“, erklärt der festgenommene Busfahrer schulterzuckend dem Gericht. Und sicherlich sei auch ein Gerät, das Frauenärzte benutzen, zum Einsatz gekommen. Aber dass Lydia S. an eine Heizung gefesselt wurde, wie es die Anklage behauptet, daran kann er sich nicht erinnern. „Alles fand immer im Einvernehmen aller Beteiligten statt.“ Der einzige Fehler, den der Gastgeber begangen habe, sei gewesen, „sich in diese Frau zu verlieben“.
Auch die Verteidigung tut, was sie kann. Das Opfer zu kriminalisieren ist eine bei Sexualdelikten bewährte Methode. Demnach ist Lydia S. eine maßlose Person (Hubert F.: „Sie brauchte sechsmal Sex am Tag. Die konnte gar nicht genug Männer bekommen“). Menschen sind auf ihrem Raubzug durchs Leben nur ein Zeitvertreib mit der Aussicht auf finanziellen Gewinn (F.: „Alles, was unter 40 war, war für sie Beute. Ihr gefiel es, Sex mit mehreren Männern zu haben. Und sie bekam auch noch Geld dafür“).
F.s Rechtsanwalt hat einen Privatdetektiv engagiert, der im Familienleben von Lydia S. umherstöbert. Der Detektiv will herausgefunden haben, dass der Vater von Lydia S. ein aufbrausender Alkoholiker ist. Sie selbst soll ebenfalls Cholerikerin sein, im Streit mit Gegenständen um sich werfen. Bei ihrer inzwischen geschlossenen Ehe mit einem Sportlehrer soll es sich um eine Scheinehe handeln. Der Rechtsanwalt sagt, ihre Anzeige gegen Hubert F. sei eine Racheaktion gegen seinen Mandanten. Sie habe nach ihrem Auszug aus der Wohnung von ihm Geld verlangt. Hubert F. habe nicht bezahlt.
Tatsächlich war es der Sportlehrer, der Lydia S. bestärkt hat, zur Polizei zu gehen. Die beiden hatten sich an einem der vielen freizügigen Abende in Steglitz kennen gelernt. Sie haben sich verliebt und kurz darauf geheiratet. Als Ehemann findet er jetzt: „Dreimal in der Woche solche Treffen, das sind keine Swinger-Partys, das ist ein Bordell.“
Man kann nicht sagen, ob das stimmt. Aber wie der Angeklagte Hubert F. sich nun im Prozess müht, zu beweisen, dass Lydia S. mit ihrem neuen Mann Unrecht hat. Wie Hubert F. zeigen will, dass er die Partys nicht als Geschäft betrieben hat. Wie er Listen verliest über das Geld, das er ausgegeben hat in der Zeit. Wie teuer die Aldi-Sektflaschen waren, die Pappbecher, die Chips und die Kondome. Wie er peinlich genau vorrechnet, wie viel die Schminke von Lydia S. gekostet hat und ihr Duschgel. Da fällt die ganze schöne Großzügigkeit des Richters Hubert F. doch sehr in sich zusammen. Ein Vorgang von leiser Dramatik. Es geht nicht mehr um sexuelle Befreiung oder um Zwang, nicht um Nötigung oder um Liebe. Es ist nur das Ende einer Beziehung, das hier vor einem liegt. Die Zeit, wenn Schlusstriche gezogen und Armeen aufgefahren werden. Am Dienstag wird der Prozess fortgesetzt.