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Archiv-Artikel

Leichenteile für die Forschung

Drei Unikliniken organisieren die altruistische Gewebespende – und profilieren sich zugleich im prestigeträchtigen Tissue Engineering. Ungeklärt ist, ob Gewebespenden ohne ausdrückliche Zustimmung in der Forschung genutzt werden dürfen

AUSGESCHLACHTET

Die weltweite Nachfrage nach Körpergewebe ist enorm. Und es ist viel Geld damit zu verdienen. Haut, Knochen oder Sehnen müssen meist aufwändig aufbereitet werden, bevor sie einem Patienten übertragen werden können. In den USA können „Firmen mit dem Körper eines Toten mehr als 250.000 Dollar Umsatz machen“, schreibt die Autorin Martina Keller in ihrem Buch „Ausgeschlachtet – Die menschliche Leiche als Rohstoff“. Für ihr Buch hat die Autorin lange und gründlich recherchiert. Sie war vor Ort und untersucht die gängige Praxis der Gewebemedizin. Und sie zeigt auf, wer auf welche Weise an dem weltweiten Handel verdient. Wer mehr darüber erfahren möchte, kommt an diesem Buch nicht vorbei. WLF

Martina Keller: „Ausgeschlachtet – Die menschliche Leiche als Rohstoff“. Econ Verlag, Berlin, 2008, 250 Seiten, 18 €

VON MARTINA KELLER

Der Chirurg Axel Haverich gilt an der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH) als „Vater der Gewebezüchtung“– des Tissue Engineering. So hat er eine Herzklappe konstruiert, die im Körper von Kindern angeblich mitwächst. Zunächst experimentierte das Forscherteam um Haverich mit Herzklappen von Schafen. Die ersten Heilversuche an Menschen startete Haverich Mitte 2002 – nicht in Hannover, sondern im fernen Moldawien.

Ausgangsmaterial für die ethisch wie medizinisch umstrittenen Operationen waren menschliche Herzklappen, entnommen von Leichen. Im ersten Arbeitsgang wurden die Klappen durch Spülen von sämtlichen Zellen der früheren Besitzer befreit, sodass nur Stützgerüste aus Kollagen übrig blieben. Diese wurden mit Zellen besiedelt, die man zuvor von den kranken Kindern gewonnen hatte, für die die Klappen gedacht waren.

Erst nachdem 18 Kinder in Moldawien die neuartige Klappe eingepflanzt bekommen hatten, wagte Haverich, sie im September 2008 auch einem deutschen Kind zu transplantieren. Dass der neuartige Therapieansatz langfristig hilft und sicher ist, muss aber noch geprüft werden. Haverich hofft, dass die Klappe 2011 zugelassen wird. Haverich betreibt viele Projekte auf dem Gebiet des Tissue Engineering, das Transplanteure gern als „Zukunftstechnologie“ darstellen. Auch Venen, Venenklappen und Luftröhren sollen nach dem Prinzip der mitwachsenden Herzklappe von Spenderzellen befreit und mit patienteneigenen Zellen besiedelt werden.

Die ehrgeizigen Projekte sind Teil des „Exzellenzclusters Rebirth – From Regenerative Biology to Reconstructive Therapy“, das Haverich selbst koordiniert. „Rebirth“ wird fünf Jahre lang von der Deutschen Forschungsgemeinschaft gefördert: mit insgesamt 42 Millionen Euro bis Ende 2011. Damit zählt Hannover zur deutschen Spitzenforschung im Tissue Engineering – ebenso wie Dresden mit dem Exzellenzcluster „From Cells to Tissues to Therapies“ und Leipzig mit dem Translationszentrum für Regenerative Medizin.

Ebendiese drei Kliniken schlossen sich zu einem Konsortium zusammen und kauften im 2007 die Gemeinnützige Gesellschaft für Gewebetransplantation, die seither Deutsche Gesellschaft für Gewebetransplantation (DGFG) heißt. Eine Hauptmotivation der MHH sei der aus der Transplantationsmedizin heraus betriebene Forschungsschwerpunkt Tissue Engineering gewesen, „insbesondere im Herzbereich“, erklärte Konsortiumssprecher Holger Baumann Ende 2007 in einem Pressegespräch.

Hat Baumann sich da verplaudert? Die DGFG soll doch – wie ihre Vorgängerin – ausschließlich die Spende und Verteilung menschlicher Gewebe für medizinische Zwecke organisieren. Rasch ergreift DGFG-Geschäftsführer Martin Börgel das Wort und versichert, alle drei Universitäten hätten die Einrichtung in dem Bewusstsein übernommen, dass es ihnen primär um die klassische Gewebetransplantation gehe.

Die DGFG hat offenbar erkannt, dass die Öffentlichkeit sensibel registriert, wofür Gewebe entnommen und verwertet werden sollen. Die Akzeptanz der Gewebespende könnte abnehmen, wenn diese mit kommerziellen Aspekten in Verbindung gebracht wird. Forschungsprojekte im Bereich Tissue Engineering gehen jedoch mittelfristig fast immer mit geschäftlichen Interessen einher.

Müssen Spender über eine kommerzielle Verwertung informiert werden?

Haverich ist ein Beispiel dafür. Als wissenschaftlicher Kopf der 2001 gegründeten Firma Artiss hatte er bereits den Börsengang vor Augen, berichtete die Neue Presse in Hannover zur Inbetriebnahme der Labors im Medical Park der Stadt. Artiss sollte unter anderem die biotechnologisch veränderte Herzklappe von Haverich zur Marktreife bringen. Die Beteiligungsgesellschaft Pricap Venture Partners AG spendierte zur Gründung von Artiss 3,3 Millionen Euro. Dann allerdings entwickelten sich die Projekte nicht so, wie die Risikokapitalgeber sich das vorstellten. Als 2006 das Aus für Artiss kam, gründete Haverich die Corlife GbR. Nun soll diese sich um Herstellung und Zulassung für die biotechnologisch veränderte Herzklappe kümmern.

Eine Gewebebank im näheren Zugriff zu haben, könnte für Projekte im Bereich des Tissue Engineering von Vorteil sein, meint ein Insider der Szene. Universitäten seien in der Forschung und bei der Vergabe von Forschungsgeldern benachteiligt, wenn sie bei der Gewebeverteilung nicht zum Zuge kämen. Ohne den nötigen, menschlichen Rohstoff werde es keine Uni zu einem „Silicon Valley des Tissue Engineering“ bringen. Aber dürfen Gewebe überhaupt für Forschungszwecke benutzt werden, wenn sie entnommen wurden, um Patienten mit Transplantaten zu versorgen? Müssen Spender – oder stellvertretend ihre Angehörigen – zusätzlich über eine mögliche kommerzielle Verwertung informiert werden? Und wie müsste eine Einwilligungserklärung gestaltet sein, damit sie Forschung und Herstellung von neuartigen Gewebeprodukten umfasst? Im Organspendeausweis steht dazu nichts.

Die Organisatoren der Gewebespende gehen diese Fragen neuerdings offensiver an. Bei einer Expertentagung der DGFG in Berlin erklärte Wolfgang Fleig, Medizinischer Vorstand der Universitätsklinik Leipzig, Chirurgen würden „in zehn bis zwanzig Jahren wahrscheinlich in der Lage sein, aus wenigen Ausgangsmaterialien sehr viele verschiedene Endprodukte für die Verwendung am Patienten herzustellen“. Es sei zu klären, inwieweit die Forschung selbst dann mit Geweben versorgt werden könne, wenn diese knapp seien. Andernfalls werde es keinen medizinischen Fortschritt geben.

Die Hamburger Politologin Ingrid Schneider sieht das anders. Gewebe sei kein Rohstoff wie andere Rohstoffe. Der menschliche Körper habe vielmehr eine besondere Qualität, der bei der Verwertung Rechnung getragen werden müsse. Gewebe von Verstorbenen müsse sparsam eingesetzt werden und nur dann, wenn es keine Alternativen gebe. „Erst muss dafür gesorgt werden, dass der Bedarf für medizinisch notwendige Anwendungen gedeckt wird“, sagt Schneider. Wissenschaftlicher Fortschritt sei damit nicht ausgeschlossen: „Die Forscher können sich nach Zustimmung des Patienten bei Operationsabfällen versorgen.“