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Archiv-Artikel

Wieviel ist der Kanzlerbrief wert?

Durcheinander bei der Großen Koalition: Scherf (SPD), Perschau und Schrörs (CDU) verbreiten Hoffnung auf „Kanzlerbrief“-Millionen, um den Sanierungserfolg für 2005 zu retten. Für Kröning (SPD), Neumann und Hattig (CDU) ist das Schönrederei

taz ■ Bremens Schicksalsfrage, was aus der staatlichen Eigenständigkeit wird, könnte sich im Jahr 2005 entscheiden. Dann sollen die Staatsfinanzen saniert sein, auch die zweite Phase der Sanierungshilfen läuft 2004 aus. Zu der Frage, ob es dann einen „verfassungskonformen“ Haushalt geben kann, in dem „nur“ die Investitionen über neue Schulden finanziert werden dürfen, gehen die Meinungen im Bremer Senat weit auseinander. Wenige Tage vor der Wahl wurde die bisherige hermetische Sprachregelung durchbrochen, als Wirtschaftssenator Josef Hattig erklärte, seiner Auffassung nach werde Bremen das Sanierungsziel 2005 verfehlen. Das hatte Finanzsenator Perschau so bisher nie gesagt – im Gegenteil, er wiederholte die Formel, wenn die vom Bundeskanzler nach dem „Kanzlerbrief“ erwartete Hilfe in sechsstelliger Höhe komme, dann könnte Bremen doch innerhalb der Verfassungsziele bleiben. Derzeit sind mehr als 300 Millionen Einnahmen allein für 2005 aus dem Kanzlerbrief eingeplant.

Bremens CDU-Landesvorsitzender Bernd Neumann sprang Hattig bei mit der Erläuterung: „Dass wir das Ziel nicht erreichen, ist doch seit zwei Jahren klar. Ich habe ja mit Hattig gesprochen. Er sagte: Ich kann doch nicht immer alles schönreden.“

Zu den Schönrednern gehört offenkundig nicht nur der Finanzsenator, sondern auch Bürgermeister Henning Scherf. Auf die Frage nach den erwarteten Kanzlerbrief-Geldern sagte Scherf, Hattig habe sich offenbar „auf seiner Abschiedsveranstaltung als Haushaltsexperte“ empfohlen – und kanzelte den Wirtschaftssenator damit ab. Scherf ließ keinen Zweifel an der Chance, einen verfassungsgemäßen Haushalt für 2005 aufzustellen. Zu dem dafür erwarteten Kanzlerbrief-Geldfluss aus Berlin sagte er: „Wir sind uns mittlerweile auch weitgehend über die Instrumente einig, mit denen das möglich gemacht werden soll.“

Einer derer, die im Unterschied zu Finanzsenator und Bürgermeister gerne Klartext reden, ist Bremens SPD-Bundestagsabgeordneter Volker Kröning, Mitglied im Haushaltsausschuss des Bundestages. Kröning hatte am Montag seine Auffassung bekräftigt, dass der Bundeskanzler sein Versprechen, die durch die Steuerreform entstehenden finanziellen Einbußen für das Land Bremen auszugleichen, bereits vor zwei Jahren erfüllt habe, als Bremen bei der Neuregelung des Länderfinanzausgleichs besser als bisher gestellt wurde. Darüber hinaus sei der Brief kein Rechtstitel, sondern eine „Goodwill“-Erklärung, die sich schon ausgezahlt habe und sich weiterhin auszahlen werde. Kröning meinte, man solle nach der Wahl „sehr schnell“ damit beginnen, „einen neuen Gesprächsansatz zu finden“, da ja die Aufstellung des Bremer Doppelhaushaltes 2004/2005 anstehe. Was meinte Scherf, wenn er sagte, Bremen und Berlin seien sich „weitgehend einig“ über die Instrumente der Zahlungen? „Mit ist der Vorgang unbekannt“, repliziert Kröning höflich.

Auf der Besprechung der Haushaltsausschussmitglieder der SPD, die Anfang der Woche im Bremer Rathaus berieten, hatte der Finanzstaatsrat Günter Dannemann über den Stand der Sanierung berichtet; die Erwartungen des Bremer Senats auf „Kanzlerbrief“-Millionen waren für die Runde kein Thema.

Nun hat sich der Bremer CDU-Haushaltsexperte Wolfgang Schrörs gegen Kröning zu Wort gemeldet und damit sowohl seinem Landesvorsitzenden wie dem Wirtschaftssenator widersprochen. „Ich kann zwar verstehen, dass er seinem Genossen Schröder gerne aus der misslichen Lage, ein Versprechen brechen zu müssen, helfen würde. Wir, als CDU, werden dies nicht akzeptieren. Wir bleiben bei unserer Position, dass Herr Bundeskanzler Schröder seinem Versprechen, die aus der Steuerreform entstehenden Nachteile für Bremen finanziell auszugleichen, nachkommen muss.“

Wir, als CDU“ scheint hier weniger den Landesvorsitzenden Neumann zu meinen als den SPD-Bürgermeister Henning Scherf. Klaus Wolschner