Drei Wochen ohne Müllabfuhr

Rund um Neapel in Süditalien sind Schulen wegen Seuchengefahr geschlossen. Die Müllentsorgung ist zusammengebrochen, es fehlen Verbrennungsanlagen

ROM taz ■ Kampanien ertrinkt im Abfall. Wie schon mehrfach in den letzten Jahren herrscht Müllnotstand in der Region rund um Neapel. Die Stadt Aversa zum Beispiel lässt sich in diesen Tagen nur mit Mund- und Nasenschutz besuchen: Da seit nunmehr drei Wochen der Müll nicht mehr abgefahren worden ist, türmen sich stinkende Berge von Unrat auf den Straßen; mittlerweile sind Schulen und Kindergärten wegen Seuchengefahr geschlossen. Und da empörte Einwohner immer wieder zum Feuerzeug greifen, um Abfallberge oder überquellende Müllcontainer abzufackeln, gesellt sich beißender, dioxinbelasteter Rauch zu dem allgegenwärtigen Gestank.

Die einen sind sauer, weil sie auf ihrem Kehricht sitzen bleiben. Die anderen dagegen gehen auf die Straße, weil sie den Müll nicht haben wollen. So musste die Polizei am Dienstagabend die Gleise am Bahnhof von Villa Literno räumen lassen. Die dortigen Einwohner hatten gut 24 Stunden lang den Eisenbahnverkehr lahm gelegt, weil in ihrer Ortschaft eine Notdeponie angelegt werden sollte.

Von solchen oft dann jahrelang geöffneten „Zwischen“-Lagern hat Kampanien schon viele. Bis in die Neunzigerjahre war die Abfallentsorgung eine Domäne der örtlichen Mafia, der Camorra, die den Dreck ohne jede Rücksicht auf die Umwelt in illegalen Deponien entsorgte. Den Schritt zu einer regulären Entsorgung hat die Region nie geschafft. Hauptproblem ist das Fehlen der zwei bis fünf angestrebten Verbrennungsanlagen. Wo immer sie bisher geplant wurden, verhinderte lokaler Protest ihre Errichtung. Deshalb wird der Müll bisher zu „Ökoballen“ gepresst, an denen eigentlich nichts ökologisch ist: Dem Abfall wird bloß die Flüssigkeit entzogen, ehe er dann komprimiert und mit Plastikbahnen zu enormen Paketen verschnürt wird. Auf sieben Lagerplätzen in der Region stapeln sich mittlerweile die Ballen. Der größte Lagerplatz hat eine Ausdehnung von über 100 Hektar, was etwa 200 Fußballfeldern entspricht. Der Stopp für einige dieser Lagerplätze löste nun Ende Februar die aktuelle Krise aus: Mal wollte die Bevölkerung dem Ausufern der Müllberge vor ihrer Haustür nicht mehr zusehen, mal legte ein Richter eine Deponie wegen Überschreiten der Kapazität still. Jetzt geht es wie in allen vorherigen „Müllkrisen“ weiter: Verzweifelt sucht der regionale Regierungs-Sonderkommissar für Abfallbeseitigung nach Auswegen, und entschlossen organisieren die Bürgermeister die Revolte, sobald ihr Dorf als Lagerort für den Dreck ins Gespräch kommt.

Als unmittelbarer Ausweg zeichnet sich deshalb wieder der Export ab. Die Regionalregierung von Kampanien hat jetzt Gespräche mit den Regionen Lombardei und Abruzzen aufgenommen, um die dortigen Deponien nutzen zu können. Das Problem ließe sich allerdings schon jetzt drastisch verringern, wie die Gemeinde Sorrent vormacht: Sie praktiziert, anders als der große Rest der Region, Mülltrennung und kennt keine Entsorgungsnöte. MICHAEL BRAUN