Neue Platten : Jazz, wie Pop nur sein kann, und damit vielleicht gar kein Jazz mehr, um wieder Jazz zu sein: Dabei klingen Flexkögel noch nicht einmal verwirrend auf „What Are Days For?“
Jazz, so scheint es, ist so tot, dass es sich auf seinem Gerippe wieder prima improvisieren lässt. Da wurde so viel dekonstruiert und historisiert, wurde in kleinen Studentenstädtchen auf zwei, drei Kellerbühnen zu viel bis ins Morgengrauen hineingejammt, dass die bekannten Schemata mittlerweile so durchanalysiert und ausgelutscht sind, dass sie nun sogar wieder halbwegs unbelastet zur Verfügung stehen. Das dachten sich womöglich Britta-Ann Flechsenhaar und Christian Kögel, die ihre Erfahrungen in verschiedenen erfolgreichen Avantgardeformationen und ihre Namen zusammengeschmissen haben zu Flexkögel. Auf dem Debütalbum „What Are Days For?“ entdecken sie, unterstützt von drei weiteren wohl geschulten Musikanten, nun ganz dreist den Song wieder und peppeln Billie Holiday mit ein paar elektronischen Infusionen wieder auf.
Kögel spielt seine Gitarre so vorsichtig, wie er den Sampler sparsam einsetzt, weil es hier einer nicht nötig hat, die klischierte Stimmung alter Jazzplatten billig mit dem Knistern von Vinyl zu reproduzieren. Flechsenhaar drückt die Tasten ihres Keyboards mit Dringlichkeit, aber vor allem singt sie wie eine Diva, die weiß, dass ein leicht falscher Ton zur rechten Zeit dem Kitsch den Garaus macht. Da werden selbst Balladen wie „Quiet Rooms“ oder „When I Fall in Love“, die sich in Momenten gerieren, als seien sie bereits auf dem Weg auf eine Kuschelrock-Kompilation, nicht notgedrungen unerträglich schmalzig. Das mag vielleicht nur Glück sein, hört sich aber trotz seiner gnadenlosen Romantik beileibe nicht so verlogen an wie ähnliche Versuche von, sagen wir mal, Norah Jones. Womöglich gelingt Flexkögel ja in ganz spezieller, bislang wirklich nie gehörter Weise, das Prinzip TripHop umzukehren: Damals adaptierten Elektronikbastler auf der Grundlage von Popsongs die Atmosphäre alter Jazzplatten und übersteigerten sie ins nahezu Parodistische. Hier modernisieren Jazzmusiker mit Hilfe der Errungenschaften der elektronischen Musik und einer guten Portion Dreistigkeit Musik aus einer Zeit, als Jazz noch Popmusik war, zu etwas, was unter Umständen demnächst einmal wieder Popmusik werden könnte.
Nicht nur so gesehen spielen Flexkögel doch wohl gar keinen Jazz. Den Titelsong beispielsweise könnte man auch mit seinem deutsch-englischen Semi-Dada-Text, seiner groovigen Bassline und der relativ runden Liedstruktur als Popsong auf Abwegen einordnen. Diese Abwege allerdings, die haben es in sich. „Strandbikini“ wiederum hat einen Titel wie ein Schlager, einen stumpfen Bluesrock-Rhythmus und ein Gitarrenwichsersolo aus versunkenen Zeiten. Überhaupt ist „What Are Days For?“ grundsätzlich wohl nicht verspielt genug, zu reduziert auf das Nötigste, zu sehr auf den Song konzentriert und nicht auf die Virtuosität der Musikanten, um als das zu dienen, was Jazz gemeinhin sein soll. Das instrumentale Können allerdings bleibt unverzichtbare Grundlage dafür, den Versuch überhaupt starten zu können, etwas zu schaffen, was Jazz womöglich auch sein könnte. THOMAS WINKLER