Bei den Bauern kocht die Milch über

Für den Liter Milch gibt es 27 Cent. Ihn zu produzieren kostet aber 32 Cent. Deshalb denkt der Bauernpräsident laut über einen Lieferboykott nach. „Die Discounter klatschen uns an die Wand.“ Im letzten Jahr war Milchstreik von Biobauern erfolgreich

VON HANNA GERSMANN

Den Bauern stinkt es gewaltig. Die Milchpreise sind auf dem tiefsten Stand seit 1977. Pro Liter gibt es gerade mal 27 Cent. Der Feind ist längst ausgemacht. „Die Discounter klatschen uns an die Wand“, sagte gestern Gerd Sonnleitner. Der Präsident des Deutschen Bauernverbandes (DBV) brachte sodann einen Milchboykott ins Spiel. Es sei nicht ausgeschlossen, dass die Landwirte in Kürze ihre Milch zurückhielten.

32 Cent kostet die Produktion von einem Liter Milch. „Wenn sie später keinen Wert hat“, so DBV-Sprecher Michael Lohse, „können die Bauern sie gleich ans Vieh verfüttern oder in der Biogasanlage zu Energie verwandeln.“ Der Zeitpunkt für die Drohung ist gut gewählt. Die Lebensmittelketten wie Edeka und Rewe handeln dieser Tage die neuen Lieferverträge mit den Molkereien für ein Jahr aus. Dem Unternehmen Aldi unterstellt der Bauernverband eine besonders „ruinöse“ Taktik. Letztes Jahr hatte der Discounter tatsächlich mit Auslistung gedroht – und die Preise gedrückt.

Ein bisschen Ernst hat so mancher Bauer schon gemacht. Erst letzten Montag demonstrierten 400 vor der Metro-Zentrale in Düsseldorf. Der Handelskonzern macht gut 14 Millionen Euro Umsatz pro Jahr allein mit Milch. Für diesen Montag sind nun Blockaden vor der Aldi-Zentrale in Essen geplant. Einem Bauer in Olpe ging das Demonstrieren nicht weit genug. Weil die Molkerei Campina ihm nur 23 Cent pro Liter Milch bieten wollte, kippte er ihr vor vierzehn Tagen seine Milch vors Haus.

Dass ein Streik wirkt, haben im letzten September bereits Ökobauern gezeigt, die die nordrhein-westfälische Molkerei Söbbeke ein Wochenende lang nicht belieferten. Längst sind die Zeiten vorbei, in denen die Biobauern an der Milch vergleichsweise gut verdient haben. Söbbeke ging dann aber doch mit dem Milchpreis um 1,5 Cent hoch.

Hinter der Milchmisere steckt das Einmaleins der Wirtschaft: Je mehr Milch auf dem Markt ist, umso billiger wird sie angeboten. Und die Europäische Union produziert insgesamt gut 15 Prozent über Bedarf. Damit aber auch diese Milch nicht verkommt, schießt Brüssel jedes Jahr satte zwei Milliarden Euro zu. So erhalten Eisfirmen dann schon mal mengenweise verbilligte Sahne.

Sonnleitner forderte Agrarministerin Renate Künast (Grüne) gestern denn auch auf, sich für eine Absenkung der Milchquoten auf EU-Ebene einzusetzen. Das hat sie im Februar allerdings schon einmal zusammen mit ihrem französischen Kollegen versucht, fand dafür aber keine Mehrheit. Heute beraten nun die Agrarminister der Bundesländer in Osnabrück, wie der deutsche Milchmarkt geradegerückt werden kann. Schließlich hat jeder dritte Landwirt Kühe.

So ist die Bundesrepublik der größte Milcherzeuger in Europa. Die Konkurrenz aus anderen Ländern fürchten die Bauern auch im Falle eines Streiks nicht: Wer frische Milch aus Danzig nach München karrt, treibt die Kosten zu sehr in die Höhe.

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