Nestwärme und Bildung

Kinder fördern und fordern, damit sie neugierig bleiben und lernen: Ein Tag zwischen Porzellan und Pfützen in der Krippe Struenseestraße

„Wir kochen nicht, wir putzen nicht, wir sind hier nur für die Kinder da“

von KAIJA KUTTER

Mittagessen in der Krippe Struenseestraße in Altona: Elf Kleinkinder sitzen um den ovalen Esstisch und schauen die Besucherin mit großen Augen an. Versonnen kauen sie an Gemüsestäbchen und Kartoffelstückchen, tunken sie in Quark. Ist das still. „Wenn ich beim Elternabend so eine Szene auf Video zeige, wollen die Eltern das noch mal sehen“, berichtet Krippenleiterin Karin Hundsdorff-Gaebel. Kein Kind quängelt, alle sind mit essen beschäftigt, sie dürfen sich sogar selber auftun. Nur Hakan (9 Monate) wird gefüttert, und Marla (8 Monate) schläft an der frischen Luft im Hof.

Die Kinder sind höchstens drei Jahre alt. Wenn die „Großen“ gleich in den Schlafraum gehen, wo am Boden auf einer Liegewiese elf Schnullis und Schmusetücher warten, wird eine der Erzieherinnen sich Zeit für Marla nehmen, sie vielleicht bei Musik in Ruhe mit Babyöl massieren. Etwa zwei bis drei ganz junge Kinder unter einem Jahr sind in jeder Gruppe. Sie werden schon mit acht Wochen aufgenommen und können, wenn die Mütter es wünschen, mit abgepumpter Milch weiter gestillt werden.

Krippe, damit assoziieren viele ein Zimmer voller quängeliger Babies in Gitterbettchen. Doch Gitter gibt es längt nicht mehr. Selbst die Säuglinge liegen in nestähnlichen Körbchen und dürfen, so bald sie können, zwischen den Älteren herumrobben, was dank Fußbodenheizung auch nicht zu kalt ist.

Die Krippenpädagogik hat sich in den vergangenen 30 Jahren revolutioniert. Die Krippe ist eine Bildungseinrichtung geworden, die Kinder schlau und kompetent werden lässt. „Die internationale Forschung widerlegt gängige Vorurteile“, berichtet Hedi Colberg-Schrader von der städtischen Vereinigung der Hamburger Kindertagesstätten, zu der auch diese Altonaer Kita gehört. „Wenn die Krippe gut ist, schadet sie keinem Kind. Hat das Kind Krippe und Familie, ist es besser gefördert als jene, die nur die Familien haben.“ Und „gut“ sind die Krippen der 173 Vereinigungs-Kitas gewiss. Eine von MitarbeiterInnen erarbeitete Broschüre über acht „Schlüsselsituationen im Krippenbereich“ ist in der Fortbildung bundesweit ein Renner.

All dies ist gut zu wissen, wenn jetzt der Hamburger Senat darüber befindet, ob es in 2004 neue Krippengutscheine geben wird oder ob dieses vergleichsweise teure Angebot zugunsten der Tagesmütter aufgegeben wird. „Wir wollen nicht gegen Tagesmütter polemisieren. Die muss es auch geben“, sagt Kita-Leiter Jürgen Kolmar. Doch Tagesmütter haben keine pädagogische Ausbildung und sind nicht ständig im fachlichen Austausch mit Kolleginnen. „Wir kochen nicht, wir putzen nicht, wir sind hier nur für die Kinder da“, ergänzt Karin Hundsdorff-Gaebel. „Da sein“, dazu gehört, ein Kind auf den Arm zu nehmen, wenn es weint. Dazu gehört aber auch, den Kindern Impulse zu geben, selbst Dinge auszuprobieren.

Die Kinder laufen barfuß über Matten, über Schrägen und Bänke. Ein korpulentes Mädchen zieht sich in Bauchlage über ein Regal. Die Erzieherinnen wissen, dass die Kleinen sich versuchen müssen, weil sonst erst recht Unfälle passieren. Sie gestatten sogar den Umgang mit Hammer und Nagel. Die Kinder dürfen „richtig“ Kuchen backen mit Eiern und Mehl. Sie essen von Porzellangeschirr und dürfen das Gefühl ausprobieren, in einer Regenpfütze zu sitzen.

All dies ist knallharte Bildungsarbeit. Sowohl die Entwicklungspsychologie als auch die Hirnforschung kommen laut Colberg-Schrader in empirischen Untersuchungen zu dem Ergebnis, dass die ersten Lebensjahre die „lernintensivste Zeit“ sind, in der das Gehirn seine Struktur entwickelt. Colberg-Schrader: „Diese Struktur ist abhängig davon, wie anregungsreich die Umwelt des Kindes ist. Das weitere Lernen baut auf diesen Erfahrungen auf.“ Das bedeute aber nicht, dass Kinder mit Förderprogrammen traktiert werden müssen. Sie müssen nur ihre Neugierde ausleben können.

Auch an diesem Mittag sind die Kinder zufrieden, weil sie schon einiges probiert haben. „LKW beim Abladen zugeschaut, Wasser mit Krepppapier gefärbt, Steine mit Kreide bemalt, Lufballon fliegen lassen und den Spuren des Frühlings gefolgt“, steht auf der Pinnwand für die Eltern, damit sie am Abend den Berichten ihrer Kinder folgen können. „Der Kontakt mit den Eltern ist wichtig. Wir sehen uns nicht als Konkurrenz, sondern als Ergänzung“, sagt Hundsdorff-Gaebel.

Die Krippenleiterin bekommt auch die Verzweiflung der Eltern mit, die keinen Gutschein erhielten. Doch auch sie ist in Sorge: Kommen keine neuen Kinder, wird zur Jahresmitte bereits die erste der drei Gruppen in der Struenseestraße geschlossen.