Saigon was a woman

Phillip Noyce’ Verfilmung von Graham Greenes „Der stille Amerikaner“ orientiert sich nur beiläufig am CIA-Thriller. Dafür zeigt er Michael Caine als britischen Reporter, dessen koloniales Welt- und Frauenbild aus den Fugen gerät

„Wir haben gegen uns selbst gekämpft“, heißt es zum Abschluss in Oliver Stones Vietnamkriegsfilm „Platoon“, „und der Feind war in uns“. Kaum ein anderes Land ist im US-amerikanischen Kino so sehr mit Fantasien und Ängsten beladen worden wie Vietnam. Aus den wiederkehrenden Darstellungen des unüberschaubaren Dschungelkriegs und ähnlich undurchsichtiger Städte wie Saigon, an denen US-Filmemacher vor allem die Bordelle interessierten, fügte sich ein dominantes Muster des „Fremden“. Stanley Kubrick hat es in „Full Metal Jacket“ kritisch reflektiert, als er mit seinem ersten Vietnambild demonstrativ den Gang einer Prostituierten verfolgte.

Im Spiegel des US-Kinos der Achtziger- und Neunzigerjahre formte sich Vietnam immer deutlicher zu einem weiblichen Körper. Einerseits wurde damit der Metaphorik militärischer „Aufklärungsfilme“ der US-Army und ihrem „Get To Know Charlie“ gefolgt; andererseits rekurrierte man auf das noch ältere Stereotyp „fernöstlicher Weiblichkeit“ als Symbol unergründlicher Exotik.

Dezidiert hat die Filmemacherin und Theoretikerin Trinh T. Minh-ha in ihrem Experimentalfilm „Surname Viet Given Name Nam“ diese Tradition durchleuchtet, mit der auch in Vietnam selbst der weibliche Körper als Metapher für das Land fungiert. Diese Repräsentationsgeschichte ist der eigentliche Untergrund, auf dem Phillip Noyce’ Verfilmung von Graham Greenes Roman „Der stille Amerikaner“ Gestalt annimmt. Eine Explosion und ein Frauenlächeln füllen die Leinwand aus, dazu eine Männerstimme, die sinniert: „I can’t say, what made me falling in love with Vietnam. But a woman’s voice can drag you.“

Mit einem anderen Schauspieler wäre dieser Anfang wohl unerträglich, weil aber Michael Caine die Hauptrolle des britischen Reporters Fowler im Saigon von 1952 spielt, wirkt selbst dieses Eröffnungsresümee anders. Die skeptische Distanz in seiner weichen Stimme höhlt den Chauvinismus aus und füllt ihn mit einer eigenen fatalistischen Bitterkeit: „They say, everything you are looking for, you can find here.“

Gefunden hat Fowler sein Glück in Gestalt der jungen Vietnamesin Phuong (Do Thi Hai Yen), die für ihn schon lange wichtiger ist als seine Reportagen für die Times über den Kampf der kommunistischen Truppen gegen die französische Kolonialmacht. Seine Devise, sich nicht involvieren zu lassen, sondern lediglich aus einer Perspektive der Bequemlichkeit heraus zu berichten, endet in zweifacher Weise mit der Ankunft von Alden Pyle (Brendan Fraser), einem, wie sich Fowler vorstellt, Mitglied der amerikanischen Wirtschaftshilfedelegation. Pyle wird sich nun nicht nur in Phuong verlieben, sondern zugleich Fowlers Teilnahme an diesem Krieg erzwingen, in den die Vereinigten Staaten längst eingegriffen haben.

So sehr dadurch Fowlers (Kolonial-)Welt aus den Fugen gerät, so wenig wird sich am ruhigen Rhythmus dieses Films ändern. Phillip Noyce’ Inszenierung konzentriert sich komplett auf Michael Caine und bleibt bei seinem Tempo, das keine Veränderungen zulassen will. In dieser Dramaturgie muss Phuong bis zum Ende die Grenzen einer Projektionsfläche wahren, als ob sie tatsächlich nur als das Hirngespinst eines älteren Mannes existiere. Und selbst die Entwicklung eines Liebesdramas zum Agententhriller, in dem Fowler schließlich die wahre Identität seines amerikanischen Nebenbuhlers aufdecken wird, vollzieht sich wie eine unliebsame Bewegung eines gesetzten Mannes, der seiner verlorenen Ruhe nachtrauert.

Aus dieser Verschränkung von Film und Protagonist kann natürlich weder ein rasanter Thriller entstehen, noch taugt sie zur Überprüfung des eigenen Bilderreservoirs. Was „Der stille Amerikaner“ jedoch zu bieten hat, ist Michael Caine, der zu jeder Zeit den Zweifel am schönen Schein der Arthouse-Filmästhetik in sich trägt. Eine Mischung aus Selbstsicherheit, Trauer und Angst vor dem Verlust „seines“ Vietnam liegt in seinem Blick, der Caine schon als Spion in seinen Harry-Palmer-Filmen die Aura des Unzugänglichen gegeben hatte. „Losing Phuong means losing Vietnam“ – auf seine Art ist Michael Caine das eigentliche Mysterium, aus dem heraus wir ruhig auf eine verblassende Illusion blicken.

JAN DISTELMEYER

„Der stille Amerikaner“. Regie: Phillip Noyce. Mit Michael Caine, Do Thi Hai Yen, Brendan Fraser u. a. USA 2003, 100 Min.