piwik no script img

Archiv-Artikel

Muzak Non Stop

Zwischen Rave-Ekstase und dröger Diskodidaktik: Eine Ausstellung im Bethanien widmet sich der berühmt-berüchtigten Schnittstelle von elektronischer Musik und zeitgenössischer Kunst

VON TILMAN BAUMGÄRTEL

Der Tänzer zuckt und schüttelt sich, als würde er unter Strom stehen. Sein weites, rotes T-Shirt flattert wie ein Segel im Wind, seine Arme fliegen herum wie bei einem epileptischen Anfall, seie Gesichtszüge sind ihm vollkommen entgleist, und er zuckt und zuckt und zuckt auf einer halbleeren Tanzfläche in einer riesigen Fabrikhalle. Zu sehen ist die Aufnahme in dem Videofilm „Fiorucci Made Me Hardcore“ (1999) des britischen Künstlers Mark Leckey. Leckey hat Videoaufnahmen von Tanzpartys von den frühen 70er-Jahren bis Ende der 80er-Jahre zu einer Kurzhistorie der englischen Clubkultur zusammengeschnitten.

Man sieht Diskotänzer, durch die Fußgängerzone tigernde Soul Boys, und dann kommen diese Massen von Ravern, die Ende der 80er-Jahre bei illegalen Underground-Partys gefilmt worden sein müssen. Über den Bildern liegt inzwischen eine gewisse Patina. Man sieht euphorische Gesichtausdrücke, ekstatisch verrenkte Körper in selbst gemachten Kleidern, Tuten und Trillerpfeifen. Eine blonde Frau guckt beim Tanzen verzückt ihre Hände von allen Seiten an, überhaupt scheinen alle voll auf Droge zu sein, obwohl auch lustig gebechert wird. So wüst wie bei diesen Saturnalien ging es auf deutsche Technopartys nicht einmal in den goldenen Jahren Anfang, Mitte der Neunziger zu.

Zu sehen ist das Video in der Ausstellung „.ipeg. bild.ton.maschine“ im Künstlerhaus Bethanien, und der Film allein ist schon einen Besuch der Ausstellung wert. Nebenbei macht er aber auch auf das Dilemma aufmerksam, mit dem Kunst automatisch konfrontiert ist, wenn sie sich mit Clubkultur oder elektronischer Musik beschäftigen will. Neben der Intensität von durchtanzten Nächten, wie sie in Mark Lackeys Film dokumentiert sind, wirkt traditionelle Kunst automatisch etwas müde. Außerdem haben die Rave-Partys der 90er-Jahre ganz en passant eine Utopie realisiert, die in der modernen Kunst das ganze 20. Jahrhundert hindurch vergeblich beschworen wurde: die Utopie, dass die Konsumenten von Kunst zu Produzenten von Kunst werden. Bei einer gelingenden Party sind alle Beteiligten Mitschöpfer eines multimedialen Gesamtkunstwerks. Neben der Demokratie der Tanzfläche wirkt eine Kunstausstellung zwangsläufig matt und oberlehrerhaft.

Freilich, „.ipeg“ ist keine Ausstellung über Clubkultur. (Was der an ein Computerdatei-Suffix erinnernde Titel bedeutet, ist übrigens auch mithilfe des Katalogs nicht zu klären.) Gezeigt werden Arbeiten, die an den berühmt-berüchtigten „Schnittstellen“ zwischen Popmusik und zeitgenössischer Kunst operieren. Zu sehen sind Arbeiten von in diesem Zusammenhang einschlägig bekannten Künstlern wie Daniel Pflumm, Christian Marclay oder Carsten Nicolai. (Bis auf eine Ausnahme sind übrigens nur Männer vertreten.)

Obwohl der Titel suggeriert, dass es vor allem um mit dem Computer erzeugte Musik geht, sind einige der stärksten Arbeiten mit simplen, analogen Mitteln hergestellt. Der im vergangenen Jahr verstorbene Künstler Jack Goldstein hat mithilfe von deliziös gestalteten Labels aus Schallplatten begehrenswerte und irgendwie rätselhafte Objekte gemacht. Mathias Poledna fotografiert nachgestellte Szenen im Western-Recordings-Tonstudio, in dem die legendären Sessions für das „Pet Sounds“-Album der Beach Boys stattfanden. Christian Marclay schleift in einem Video eine E-Gitarre, die an einen Pickup-Truck gebunden ist, buchstäblich bis zum letzten Kreischsound zu Tode, eine etwas zweifelhafte Widmung an den Afroamerikaner James Byrd, der 1998 mit derselben Methode in Texas von drei Weißen gelyncht wurde.

Ein eigentlich essenzieller Verweis, den man den Texttafeln zu den ausgestellten Kunstwerken leider nicht entnehmen kann. Die liefern statt brauchbaren Informationen vor allem blumige Künstlerbiografien (Pietro Sanguineti etwa ist ein „elektronischer Jongleur der Bilder“ …) Auch sonst hat die Präsentation ihre Merkwürdigkeiten: Wer sich den höchstwahrscheinlich sehr interessanten Film von Mika Taanila über die Produktion von Muzak-Aufzugmusik sehen will, muss sich dafür vor einen auf dem Fußboden stehenden Fernseher kauern, der zu allem Überfluss auch nur einen Kopfhörer hat. Bei diesem Film wie auch bei den etwas didaktischen Videos von Rene Green muss übrigens die Frage erlaubt sein, warum solche Dokumentarfilme des Labels Kunst bedürfen.

Trotz all dieser kleinen Unzulänglichkeiten: Man muss den Machern attestieren, zumindest in Berlin einen gewissen musealen Nachholbedarf zu befriedigen, hat es doch ausgerechnet in der Techno-Hauptstadt außer einigen kleineren Projekten im Büro Friedrich oder im shift e. V. noch keine derartige Ausstellung gegeben. Die großen Präsentationen zum Thema waren „Crossings“ in der Wiener Kunsthalle 1998 und „Frequenzen“ in der Frankfurter Schirn 2002. In Berlin sind die Künstler, die sich mit elektronischer Musik beschäftigen, meist gleich in den Club gegangen, sei es in den „Club Transmediale“ oder ins alte WMF.

„ipeg“ bild.ton.maschine, bis 18. April, Künstlerhaus Bethanien, Mariannenplatz, Kreuzberg. Katalog 15 €