Aufruhr in Neukölln

Gewerkschaften und Initiativen rufen zu Protesten gegen die Agenda 2010 und den Sonderparteitag der SPD auf

Wenn am Sonntag in einer Woche die Sozialdemokraten zum Sonderparteitag im Neuköllner Estrel Hotel zusammenkommen, befindet sich Berlin in einer Art Ausnahmezustand. Die Kirchentagsleitung ruft an diesem Tag Katholiken und Protestanten zum Abschlussgottesdienst vor den Reichstag. Fußballfans müssen sich vom DFB-Finale am Vortag im Olympiastadion erholen. Und viele, die Himmelfahrt nutzen wollen, fahren über das lange Wochenende weg.

Alles keine guten Vorzeichen für lautstarke Proteste gegen Schröders Agenda 2010, die auf dem Sonderparteitag verhandelt wird. Die Gewerkschaften, das Anti-Hartz-Bündnis und das Berliner Sozialforum lassen sich davon jedoch nicht beeindrucken. „Wenn wir jetzt nicht kämpfen, steht uns ein Sozialabbau ins Haus, der beispiellos ist in dieser Republik“, warnt der Vorsitzende der IG BAU Berlin, Lothar Nätebusch. Zusammen mit den anderen Gewerkschaften wie der IG Metall, Ver.di und der Gewerkschaft für Erziehung und Wissenschaft mobilisiert er deshalb zur Protestkundgebung. Unter dem Motto „Nein zum sozialen Kahlschlag“ wollen sie am Sonntag, um 13 Uhr dem Bundeskanzler an der Sonnenallee verbal und musikalisch „den Marsch blasen“.

Die Organisatoren hoffen auf tausende Teilnehmer. In den Betrieben würden die sozialdemokratischen Reformen heftig diskutiert, berichtet Ver.di-Mitglied Andreas Hesse. „Die Bereitschaft sich zu wehren wächst“, meint auch Nätebusch. Vom gleichzeitigen Kirchentag hoffen sie zu profitieren. Einige sozial engagierte Christen könnten vom Reichstag direkt zum Hotel Estrel kommen.

Bereits um 11 Uhr ruft das Berliner Sozialforum, ein Zusammenschluss verschiedener linker Initiativen, zur Demonstration vom Hermannplatz zur Sonnenallee, wo der Protestzug dann in die Kundgebung münden soll. Das Anti-Hartz-Bündnis hat angekündigt, mit kreativen Aktionen wie Gladiatorenkämpfen von Ich-AGlern auf ihre Kritik an Schröders Reformen aufmerksam zu machen. Auch an den Berliner Hochschulen wird eine Unterstützung der Proteste beim Sonderparteitag diskutiert. Der AStA der Freien Universität hat bereits zur Demonstration aufgerufen.

Von den Organisatoren stellen die Gewerkschaften das größte Mobilisierungspotenzial dar. Linke Berliner Initiativen wie das Sozialforum haben zwar schon mehrfach versucht, sich zusammenzutun und so eine breite Bewegung zu bilden. Doch bisher sind die Aktivisten zahlenmäßig immer noch – besonders im Vergleich zu den Arbeitnehmerverbänden – relativ wenige. Das wird jetzt bald anders, meint zumindest Michael Prütz, Mitglied des Berliner Sozialforums. „Die gesellschaftliche Opposition wächst. Die Regierenden werden in den nächsten Jahren viel Freude mit uns haben.“

ANTJE LANG-LENDORFF