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Archiv-Artikel

Mutig in Zeiten des Krieges

Sie bewiesen während des Dritten Reichs Zivilcourage, auch gegen den Widerstand ihrer Vorgesetzten: Die Celler Synagoge präsentiert die Lebensläufe von neun Diplomaten, die Juden mit Hilfe von Schutzpässen vor der Deportation retteten. Rehabilitiert wurden nur wenige – und das sehr spät

Alle diese Diplomaten handelten auf eigene Verantwortung, einige gegen den erklärten Willen ihrer Vorgesetzten

VON PETRA SCHELLEN

Mutige Diplomaten sind schon in Friedenszeiten selten. Fürs Mutigsein werden sie auch nicht bezahlt. Und schon gar nicht, um sich ihren Vorgesetzten – und damit den Staaten, die sie im Ausland repräsentieren sollen – zu widersetzen. Das gilt erst recht in Krisenzeiten, in denen es auf jedes Wort, jede Geste ankommt, damit Schwierigkeiten nicht noch größer werden.

Anders liegen die Dinge, wenn Staaten systematisch Unrecht begehen. Wem ist dann zu gehorchen, wem sich zu widersetzen? Viele Diplomaten machen sich darüber wenig Gedanken. Sie verstehen sich als ausführendes, nicht als Macht ausübendes Organ. Also tun sie, wie ihnen geheißen, und verschließen im Übrigen die Augen.

Es überrascht darum nicht, dass auch während des Dritten Reichs nur wenige Diplomaten den Mut fanden, Juden vor der Deportation zu retten – zumal das diametral den Anweisungen ihrer Regierungen zuwiderlief, die teils mit Deutschland verbündet waren.

Nur 20 von 16.000 „Gerechten unter den Völkern“, die die Jerusalemer Gedenkstätte Yad Vashem benannte, sind folglich Diplomaten. Neun von ihnen porträtiert derzeit die Ausstellung „Ein Visum fürs Leben“ in der Celler Synagoge. Es ist ein würdiger Ort für eine solche Schau: die Synagoge ist die älteste erhaltene in Niedersachsens. 1740 gegründet und spätbarock ausgestattet, wurde das Gotteshaus während der Pogromnacht von 1938 nur deshalb nicht komplett von den Nazis zerstört, weil das umliegende Viertel dann mit abgebrannt wäre.

140 Synagogen gab es in Niedersachsen vor 1933. 40 davon sind übrig geblieben, davon zwei als Gedenkstätte. Celle ist eine davon, und seit es dort wieder eine – derzeit 88-köpfige – jüdische Gemeinde gibt, werden dort auch Gottesdienste gefeiert. Die Synagoge liegt im Hinterhaus eines Ensembles dreier Häuser, deren Grundstücke die jüdische Gemeinde 1738 erwarb. Das ehemalige jüdische Schulhaus sowie ein weiteres Haus, in dem Gemeindebedienstete wohnten, zählen dazu. In Letzterem werden seit der Restaurierung von 1996 wechselnde Ausstellungen gezeigt.

Hell, tröstlich, fast privat wirken die kleinen Räume, in denen derzeit Fotos und Biografien der Diplomaten an den Wänden hängen. Es sind Viten von Menschen, die Mut bewiesen, ohne Rücksicht auf Karriere oder Ansehen zu nehmen. Aus Schweden, China, Italien, Portugal, den Niederlanden, Japan, den USA und der Schweiz stammen die Männer.

Am bekanntesten ist der Schwede Raoul Wallenberg, der 1944 für Tausende Budapester Juden gefälschte schwedische Schutzpässe ausstellte. Deren frei erfundene schwedische „Siegel“ zeichnete der darin begabte Wallenberg übrigens selbst. 15.000 Juden brachten er und sein Kollege Per Anger zudem in Protektoratshäusern unter, zu denen die Nazis keinen Zutritt hatten.

Der Japaner Chiune Sempo Sugihara wiederum stellte litauischen Juden japanische Transitvisa aus. Der in Bordeaux akkreditierte Portugiese Aristides de Sousa Mendes verfertigte Zehntausende illegaler Visa. Der Chinese Feng Shan Ho tat dasselbe in Wien – und fuhr damit auch dann fort, als seine Vorgesetzten ihn explizit aufforderten, keine Juden mehr ins rettende Shanghai zu schicken.

Alle diese Diplomaten handelten auf eigene Verantwortung, einige gegen den erklärten Willen ihrer Vorgesetzten – teils, wie Sousa Mendes – nach 30 Jahren „bedingungslosen Gehorsams“, wie der Begleittext vermeldet. Sousa Mendes selbst wird in Celle mit den Worten zitiert: „Auch wenn man mich entlassen wird, kann ich nicht anders, als meine Pflicht als Christ zu erfüllen und meinem Gewissen zu folgen.“

Diese Haltung hatte Konsequenzen: Aus Lissabon kamen schließlich Beamte, die ihn gewaltsam aus seinem Amt entfernten. Später wurden ihm sämtliche Pensionsansprüche aberkannt. Auch Chiune Sugihara musste nach seine Rückkehr nach Tokio den diplomatischen Dienst verlassen, weil er sich „aufgelehnt“ habe. Und Feng Shan Ho vermutet, dass sein Nachkriegs-Karriereknick auf „negative Berichte“ seiner Vorgesetzten zurückgeht. Das Vergehen der Gehorsamsverweigerung zählte den Nachkriegs-Regierungen offensichtlich mehr als Zivilcourage. Die in Celle porträtierten Diplomaten passten schlicht nicht ins Profil des latent opportunistischen Durchschnittsdiplomaten.

Dabei war, was sie taten, weit entfernt von vordergründigem Heldentum. All diese Männer lebten, zwischen allen Stühlen sitzend, sehr gefährlich, konnte der Trug doch jederzeit auffliegen, ohne dass sie die Rückendeckung ihrer Regierungen hatten. Markantes Beispiel ist hier abermals Wallenberg: 1945 wurde er verhaftet und in sowjetische Gefängnisse gebracht. Vermutlich hielt man ihn für einen Spion. Er kehrte nie zurück.

Andere überlebten den Krieg, erlebten ihre Rehabilitation aber nicht. Sousa Mendes etwa starb 1954. Erst im Jahr 1988 rehabilitierte ihn die portugiesische Regierung. Aber die meisten Staaten taten nicht einmal dies. Eine irritierende, wenig aufgearbeitete Facette europäischer Post-Holocaust-Geschichte. Strukturell ist sie vergleichbar dem Schweigen, dem jene Holocaust-Überlebende begegneten, die in ihre Heimat zurückkehrten: Von ihren traumatischen Erlebnissen wollte man dort nicht das Geringste hören.

Bis 30. Dezember, Öffnungszeiten: Dienstag bis Donnerstag 12–17 Uhr, Freitag 9–14 Uhr, Sonntag 11–16 Uhr

Fotohinweis:Der portugiesische Diplomat Aristides de Sousa Mendes wurde gewaltsam aus dem Amt entfernt, weil er Schutzpapiere für Juden ausgestellt hatte. Seine Pensionsansprüche wurden ihm aberkannt. Sousa Mendes starb 1954, erst 1988 wurde er von der portugiesischen Regierung rehabilitiert.FOTO: STADTARCHIV CELLE