: Shabbat Shalom, Motherfuckers!
Schluss mit Schtetl-Romantik und (anti)jüdischen Klischees, kleinlauten Juden und unhippen Traditionen. In Amerika beweisen junge, MTV-geschulte Juden, wie sich Jüdisches mit Hipness, Religiöses mit Coolness auf einen unterhaltsamen Nenner bringen lässt. Und wie! Bald auch in Deutschland
VON JUDITH HYAMS
An einer langen Silberkette hängt Aviad Cohen ein Davidstern um den Hals – besetzt mit extrafetten Brillanten. Für die Fotografen hält er das jüdische Symbol schlechthin gern direkt in die Kamera. Dann guckt er sogar ein bisschen böse unter seinem Basecap hervor. It’s showtime: So eine Geste muss sein, für einen Rapper sowieso, ist er nun ein echter oder nur einer der Sorte „als ob“.
50 Shekel, wie Aviad Cohen sich als Rapper nennt, ist irgendwie beides. Chuzpe jedenfalls bewies er, als er vor einigen Monaten erst den Namen von Erfolgsrapper 50 Cent quasi klaute – und sich selbst 50 Shekel nannte. Obendrein borgte Cohen sich auch noch den 50-Cents-Hit „In Da Club“ aus und coverte ihn auf seine Weise, indem er ihn mit einem durch jiddische Ausdrücke angereicherten Text versah: „In Da Shul“.
Dieser Song („In der Synagoge“) wird inzwischen auch von Harlemer Teenagern gesungen: 50 Shekel kann sich vor Anfragen für Liveauftritte kaum retten. Und das, obwohl noch kein Album erschienen ist.
Verarscht der etwa nur Acts wie 50 Cent? Nix da, Cohen meint es ernst. Als HipHop-begeistertes Straßenkind vermisste er jüdische Idole – und das hat er mit vielen jüdischen Amerikanern der MTV-Generation gemein.
So gibt er sich jetzt wie jeder andere amerikanische Rapper auch, ruft aber zu Drogenfreiheit und Frieden auf. Dass er jede Menge Jüdisches in seine Verse packt, ist für ihn klar, schließlich lebe die jüdische Kultur vor allem dank ihrer ausgeprägten Erzähltradition. Cohen: „Rap ist ein tolles Erzählmedium.“ Das muss er in eigener Sache noch beweisen, heißt, ob er in die dicken Hosen passt, mit denen er jetzt schon herumstolziert. Die Szene jedenfalls wartet auf sein Album „Enter the Spiel“. Dass er einen guten Sinn für Marketing besitzt, zeigt er schon jetzt mit seiner geplanten Plattform für jüdische Künstler und Entertainer, genannt „Bagel Boy Records“. Marketing ist auch die Ankündigung eines Bonusclips auf jenem Album. Den könnten die Leute als Voicemail für ihr Handy benutzen. Botschaft: „Leave a Message for this Hebrew Hottie“.
Auch wenn er wie ein falscher Fuffziger daherkommt, 50 Shekel hat doch eine klare Botschaft: Es ist hip, jüdisch zu sein. Und dass es auch zunehmend hip ist, dies zu zeigen, zeigt die Erfolgswelle einiger junger jüdischer Designer in den USA. Besonders gefragt ist derzeit das Label „Rabbisdaughters“, das als Internetprojekt startete und dessen Produkte nun in über hundert amerikanischen Läden zu haben sind.
Die drei Chefinnen, Töchter eines laut Website „prominenten kalifornischen Rabbis“, verkaufen – T-Shirts. Darauf prangen jiddische Aufschriften: „Shayna punim“ (Hübsches Gesicht), „Bubeleh“ (Liebling) oder „Meshuggenah“ (Verrücktes Mädchen). Pure Hipness, denn mit ihnen ließen sich schon Kelly Osbourne, Madonna und Christina Aguilera fotografieren.
Ein anderes erfolgreiches Label heißt „JewLo“. Ähnlich wie 50 Shekel hat Gründerin Julia Lowenstein sich an Arrivierten orientiert. In Anlehnung an Jennifer Lopez’ Kürzel „J.Lo“ hat sie ihren Markennamen „JewLo“ ausgesucht. Wie Ms. Lopez für die selbstbewusste Latina stehe, so soll ihr Markenname für die koschere Sexyness der „Hebrew Hotties“ bürgen. „JewLo“ steht auf T-Shirts und einer roséfarbenen Unterwäschekollektion.
Mit ihren knapp geschnittenen Höschen will Lowenstein nichts als eine Message unters Volk bringen: Nicht nur um „sexuellen Stolz“ gehe es ihr, um die in der Popkultur bisher vernachlässigte Rolle der jüdischen Frau. Die Stereotypen der jüdischen Mutter und der hochnäsigen, reichen „JAP“ (Jewish American Princess) hätten ein erotisches Selbstbewusstsein kaum zugelassen. In ihrer Website klagt sie Winona Ryder und andere Schauspielerinnen an, ihre jüdische Identität zu „verleugnen“. Und spricht ein Lob aus für Alicia Silverstone und Sarah Silverman, die offensiv jüdisch (und offensiv sexy) sind.
Identitätssuche mit T-Shirts und Popmusik? Das haben schon viele ethnische Minderheiten in den USA so gemacht: nun auch jüdische Amerikaner, die jungen unter den gut sechs Millionen Juden, die in den USA leben. Sie fühlen sich dem HipHop näher als der Thora, sie kennen den Holocaust vor allem durch Steven Spielberg, und auch der stadtneurotische Woody Allan reicht ihnen nicht als Idol.
Der seit sechs Jahren in Deutschland lebende englische Rabbi Walter Rothschild sieht in dieser Entwicklung ein Zeichen von Normalität: „So wie die Schwarzen von ihren Problemen singen, so machen es die Juden eben jetzt auch.“ Gleichzeitig stellt er im Gespräch mit US-Kollegen fest, dass es seit dem 11. September 2001 auch eine Rückzugsbewegung von jungen Juden gebe. Vor allem an den Universitäten habe der Antisemitismus zugenommen – und damit auch die Angewohnheit jüdischer Studenten, sich eher zu verstecken als zu kämpfen.
Für Steven Verona waren die Hinweise auf wachsenden Antisemitismus der Grund, vor einem Jahr sein Label Jewish Jeans zu gründen. Er begann mit zwei Shirts, bedruckt mit „Nice Jewish Boy“ und „Fight Anti-Semitism“. Ein Teil der Einnahmen geht an jüdische Einrichtungen. Der Versuch einer Kreuzung zwischen Pop und Politik, jüdischer Tradition und urbanem Zeitgeist gibt es seit zwei Jahren – in Form des Magazin Heeb. Dessen Macher haben das frühere Schimpfwort „Heeb“ (von „Hebrew“) provokativ in den Titel gehoben – jetzt gehört es längst zum Slang junger Amerikaner. Ähnlich wie Afroamerikaner das Schimpfwort „Nigger“ für sich vereinnahmten und zum Identitätssymbol ummodelten, gilt das Wort Heeb jetzt als cool.
Das Magazin begann als Wackelprojekt mit einer einzigen sicher finanzierten Ausgabe im Februar 2002. Auf der Eröffnungsparty tanzten halb nackte Go-go-Jungs mit Schläfenlocken – ein Vorgeschmack auf den Inhalt des Magazins: Sex, drugs und rockende Rabbis. Es richtet sich an Leser, die sich mit Designerdrogen ebenso auskennen wie mit Matzoh brei, die neueste Musik hören und bei allem popkulturellen Bewusstsein ein starkes Interesse an jüdischer Kultur besitzen.
Klar, dass es kein religiöses, sondern ein im weitesten Sinne kulturelles Magazin ist. Da aber im Judentum Kultur immer eng verstrickt ist mit Religion, gilt für Heeb ebenso wie für einen Spaßartisten wie 50 Shekel: Ein bisschen Religion muss sein. Und so plakativ dieser mit dem Davidstern wirbt, so amüsant platzierte Heeb auf seinem Titelbild der ersten Ausgabe einen koscheren, runden Pessachmatzen auf einem DJ-Plattenspieler.
Den Davidstern als Ausweis benutzt auch der weltweit erste jüdische Actionheld „Hebrew Hammer“. Seit einigen Wochen fegt diese durchgeknallte, „100 % koschere“ Mischung aus Batman und Shaft durch New Yorks Straßenschluchten und Kinos. Als Hommage an die berühmten Blaxploitation-Filme der Siebzigerjahre versteht Regisseur Jonathan Kesselman seine Komödie und bezeichnet sie folgerichtig als „Jewsploitation-Film“.
In einem Interview sagte der Filmemacher: „Genau wie in Blaxploitaion-Filmen die schwarzen Stereotypen maßlos übertrieben wurden, um den Vorurteilen dann die Luft rauszulassen, so übertreibt Hebrew Hammer alle jüdischen Klischees. Er ist gleichzeitig ultracool und ultraneurotisch.“ Da der Film mit seinem Pumpgun-schwingenden Helden im chassidischen Zuhälterlook wirklich gerne übertreibt, ist auch die Selbstironie deftig: Eine wichtige Rolle spielt eine Organisation namens „The Worldwide Jewish Media Conspiracy“, eine Anspielung auf das antisemitische Vorurteil, die Medien seien in der Hand einiger weniger Juden.
Frech und politisch unkorrekt hat auch Sarah Lefton ihr Modelabel „Jewish Fashion Conspiracy“ genannt. Sie sieht ihre mit ironischen jiddischen Slogans bedruckten T-Shirts als Wiedererkennungszeichen: „Traditionell religiöse Juden finden sich leicht und schnell, aber so haben auch weniger religiöse Juden die Möglichkeit, sich zu erkennen und sich sozusagen als Stamm zu fühlen.“
Sich abheben und in einer Gemeinschaft wiederfinden, im popkulturellen Mainstream mitschwimmen und doch dabei den eigenen Stil finden – das scheint in den USA längst zur Normalität zu gehören. Hierzulande kann man sich das kaum vorstellen. Und das hat nach Rabbi Walter Rothschilds Einschätzung nicht nur mit der noch nicht vorhandenen Normalität zwischen Juden und Nichtjuden zu tun, sondern vor allem auch mit nicht vorhandenem Humor: „Hier in Deutschland darf doch ein jüdischer Witz nur gedruckt erscheinen. Und auch nur, wenn er von einem Rabbi erzählt wurde. Und auch nur dann, wenn der schon 20 Jahre tot ist.“
Wir werden wohl noch lange warten müssen auf einen Kinostar wie Hebrew Hammer, der seine Feinde gern verblüfft mit einem herzlichen: „Shabbat Shalom, Motherfuckers!“