: Organspender gesucht
Menschliche Ersatzorgane sind Mangelware. Auch das neue Transplantationsgesetz brachte keine drastische Erhöhung der Spenderzahlen. Jetzt sollen Lebendspenden erleichtert werden
VON KLAUS-PETER GÖRLITZER
Wenn sich ein Gesunder ein Körperteil herausschneiden lässt, um es einem Kranken einpflanzen zu lassen, sprechen Mediziner von „Lebendspende“. Solche Entnahmen von Nieren und Teilen der Leber oder Lunge sind für den „Spender“ nicht ohne Risiko. Laut Transplantationsgesetz (TPG) sind sie nur erlaubt zugunsten von Verwandten oder Menschen, „die dem Spender in besonderer persönlicher Verbundenheit offenkundig nahe stehen“. Dies soll gewährleisten, dass Menschen Körperteile freiwillig und ohne Entgelt abgeben. Außerdem ist die Operation nur dann zulässig, wenn gerade kein transplantables Organ eines „Hirntoten“ zur Verfügung steht.
Trotz solcher Beschränkungen haben „Lebendspenden“ seit Inkrafttreten des TPG im Dezember 1997 erheblich zugenommen. Inzwischen stammen 16 Prozent der transplantierten Nieren und fast 10 Prozent der verpflanzten Leberstücke von gesunden Menschen; 1996 waren es noch 6,4 bzw. 1,4 Prozent.
Dieser Zuwachs reicht der Bundesärztekammer (BÄK) nicht; sie plädiert nun dafür, „Lebendspenden“ juristisch zu erleichtern, um die Zahl der Verpflanzungen spürbar zu erhöhen. Die Ständige Kommission Organtransplantation der BÄK wünscht sich einen „Pool“, in den Menschen Nieren und Leberstücke „spenden“ sollen – anonym und ohne die potenziellen Organempfänger zu kennen.
Lobbying für diese Idee betrieb der Vorsitzende der BÄK-Kommission, Professor Hans-Ludwig Schreiber, Anfang März bei einer Anhörung der Medizinethik-Enquetekommission des Bundestages. „Die Verteilung“ der Pool-Organe „müsste dann im gleichen Verfahren wie bei der Leichenspende erfolgen“, meint Strafrechtler Schreiber, der „hirntot“ diagnostizierte Menschen stets „Leichen“ nennt.
Von Enquetemitgliedern gefragt, wer denn überhaupt ernsthaft bereit sein könnte, sich ohne Gegenleistung ein Körperstück für Unbekannte explantieren zu lassen, sagte Schreiber: „Es gibt Menschenfreunde, die es um der fremden Menschen willen machen. Aber es sind vielfach auch eigenartige Menschenfreunde.“
Unterstützung bekam Schreiber vom Münchner Juristen Thomas Gutmann. Der verwies auf ein Pilotprojekt zur „altruistischen Fremdspende“ von Nieren, das die Universität von Minnesota in Minneapolis 1999 etabliert hatte. Dabei hätten Transplanteure insgesamt 360 „Spendewillige“ kontaktiert, anschließend seien 48 ausgesuchte Kandidaten medizinisch und psychosozial überprüft worden. 22 hätten sich eine Niere zugunsten Unbekannter entnehmen lassen; inzwischen seien „Fremdorganspenden“ an 57 US-Transplantationszentren realisiert worden.
Der Antrieb der „Spender“ beruhte laut Gutmann „durchgehend auf Hilfsbereitschaft oder ähnlichen altruistischen Motiven“; finanzielle Forderungen von Organgebern seien während des Minnesota-Modellprojekts nicht aufgetaucht. Dass unter der Hand trotzdem Geld geflossen ist, kann aber niemand ausschließen, zumal Spender und Empfänger nach den Operationen auf Wunsch miteinander bekannt gemacht wurden.
Finanzielle Zuwendungen an „Lebendspender“ lehnt die BÄK weiterhin kategorisch ab; lediglich ihr versicherungsrechtlicher Schutz im Fall von Spätschäden, der bisher nicht ausreichend sei, solle verbessert werden. Ob dies mittelfristig das letzte Wort bleiben wird, wenn der Gesetzgeber die „anonyme Lebendspende“ erst einmal erlaubt haben sollte, ist zumindest zweifelhaft. Der Berliner Chirurg Peter Neuhaus, der ebenfalls Mitglied der BÄK-Transplantationskommission ist, dachte bei der Expertenanhörung der Enquete jedenfalls schon weiter. Die bisherige Beschränkung der Lebendspende sei „ineffizient“, meinte Professor Neuhaus und fügte hinzu: „Deshalb käme aus meiner Sicht als Lösung des Problems nur die altruistische oder zum Schluss die bezahlte Lebendspende in Betracht.“ Entsprechende Vorstöße, etwa in den USA, solle man „ohne Vorurteile beobachten“ und auch „bereit sein, positive Erfahrungen eventuell später auch in Deutschland umzusetzen“.
Dabei ist Geschäftemacherei mit Körperteilen schon heute kaum zu verhindern. Tun sollen dies eigentlich so genannte Lebendspendekommissionen. Sie sind mit mindestens je einem Juristen, Mediziner und Psychologen besetzt, arbeiten ehrenamtlich und werden dabei von Angestellten der Landesärztekammern unterstützt. Die Gremien sollen Organspender und -empfänger möglichst persönlich anhören – mehr als Fragen stellen und auf aufrichtige Antworten hoffen können sie nicht. Die Kommissionen, sagt Strafrechtler Schreiber, „sind in ihren Erkenntnismöglichkeiten gerade hinsichtlich der Käuflichkeit sehr beschränkt und haben fast keine Klärungsmöglichkeiten“.
Schwierig wird das Prüfen gerade in Fällen, die zwar ungewöhnlich erscheinen, aber vorkommen: wenn ein potenzieller „Lebendspender“ aus armen Regionen wie Osteuropa oder Indien per Flugzeug anreist, um sich hier eine Niere herausschneiden zu lassen für eine ihm angeblich nahe stehende Person.
Wie oft dies in der Vergangenheit passiert ist und woher „Spender“ und Empfänger kamen, wissen bisher nur die beteiligten Transplanteure und Kommissionen. Bisher haben sie es nicht für nötig gehalten, die Öffentlichkeit darüber aufzuklären. Einen ersten Anhaltspunkt gibt es: Auf Anfrage teilte die Ärztekammer Nordrhein Anfang 2003 mit, der „Anteil fremdsprachiger Personen“ an den Beratungsgesprächen der NRW-Kommission liege „bei circa einem Fünftel bis einem Drittel“.