Der Klang fürs Auge

Der hannoversche Philosoph Friedrich Wilhelm Korff hat das Bauprinzip der altägyptischen Pyramiden enträtselt. Seine zentrale Erkenntnis: Die Ägypter bauten die Pyramiden nach den Proportionen von musika- lischen Intervallen. Die Pyramiden sind damit Stein gewordene Musik

von KLAUS IRLER

Es geht um die Erkenntnis eines Sachverhalts, der rund 4.500 Jahre alt ist. Der Sachverhalt besteht aus den Zahlenverhältnissen, nach denen die Ägypter ihre Pyramiden gebaut haben. Jahrtausende lang waren die Forscher ratlos oder lagen schlicht falsch, wenn sie das Konstruktionsprinzip der Pyramiden erklären wollten. 2006 hat es der Philosophie-Professor Friedrich Wilhelm Korff von der Uni Hannover entschlüsselt. Seine Erkenntnisse veröffentlichte der 68-Jährige in einem 400-seitigen Buch, das kürzlich erschienen ist.

Es ist ein trüber Dezember-Tag, als Friedrich Wilhelm Korff in seinen 2-sitzigen Sportwagen steigt, um den Besuch aus Hamburg von der S-Bahn-Station abzuholen. Das Stadtzentrum von Hannover ist rund 15 Kilometer entfernt und es geht noch tiefer hinein ins niedersächsische Land, nach Wennigsen.

Herr Korff kommt gleich auf den Sportwagen zu sprechen, sagt, er hätte ihn sich erschrieben durch seine Artikel bei der FAZ und durch seine Zusammenarbeit mit Daimler-Chrysler bei der Brennstoffzellen-Forschung. Der Sportwagen hat über 210 PS, und das schätzt Friedrich Wilhelm Korff, dessen Lehrgebiete laut Uni Hannover „Antike“ und „Technikphilosophie“ sind. Korff ist mittlerweile emeritiert, ist aber auch Mitbegründer des „Deutschen Ultraleichflugverbandes“ und bekam 1985 den Niedersächsischen Kunstpreis für Literatur. „Ich bin, was man einen bunten Hund nennt“, sagt Korff.

An seinen Erkenntnissen über das Konstruktionsprinzip der Pyramiden arbeitete Korff vier Jahre. Er hat unter anderem herausgefunden, dass die Neigungswinkel der altägyptischen Pyramiden die Intervalle antiker Tonarten widerspiegeln. Die Pyramiden sind Stein gewordene Musik, deshalb wirken sie auf die Menschen so harmonisch. Das klingt spektakulär, und ist es auch.

Aber es ist nicht so, dass die 29 Großpyramiden zusammen eine Melodie ergäben. Oder dass in einer einzelnen Pyramide eine Melodie eingebaut ist. Es geht lediglich um Intervalle, also um den Abstand zwischen zwei Tönen in einer Tonart. Nachgewiesen hat Korff beispielsweise, dass die Cheopspyramide mit einem Neigungswinkel gebaut ist, der dem Intervall einer großen Terz in der antiken Tonart Diatonon malakon entspricht. Oder die Pyramide Niuserres einen Neigungswinkel hat, der einer große Terz in der Tonart Diatonon ditonaion entspricht. Wobei diese Tonarten nichts Exotisches sind, sondern auch in heutigen Ohren vertraut klingen.

Um das zu demonstrieren, hat Korff eine CD aufnehmen lassen. Der CD-Player steht bei Korffs in der Küche und der Besucher kann den Wohlklang antiker Tonarten uneingeschränkt bestätigen. Bei Korffs im Wohnzimmer steht eine große Leinwand, auf der der Querschnitt einer Pyramide aufgezeichnet ist. Linien durchkreuzen die Pyramiden, es gibt links und rechts Text und kleinere, untergeordnete Zeichnungen.

Es handelt sich um eine Grafik, die für den Besucher nicht sofort zu verstehen ist. Nicht sofort, und auch nicht ein wenig später. Denn Korffs Erkenntnisse sind vielschichtig und aus verschiedenen Richtungen abgesichert. Da gibt es zum Beispiel die Fakultätszahl 5040, die in Platons „Nomoi“ vorkommen und bei Korffs Beweisführung eine große Rolle spielt. Außerdem gibt es Tetraktyszahlen, Quartauffüllungen und das pascal‘sche Dreieck.

Zu Korffs Nebenerkenntnissen gehört, dass das Maß der ägyptischen Elle korrigiert werden muss. Die ägyptische Elle misst nicht 0.525, sondern 0.52236 Meter. Korff hat das herausgefunden, weil er nachweisen konnte, dass die Cheopspyramide 441 Ellen lang ist, und nicht – wie bisher angenommen – 440 Ellen. Ferner entspricht das Volumen eines Pyramidions einem doppelten Tritonus. Die Konsequenzen dieser Erkenntnisse sind für Nicht-Fachleute schwer abzuschätzen. Sicher jedenfalls scheint: Was Korff rausgefunden hat, stimmt.

Es stimmt, weil Korffs Erkenntnisse auf mathematischen Berechnungen beruhen. Korff hat die drei Wissensgebiete Arithmetik, Geometrie und Musiktheorie verbunden, und zwar über die Mathematik. „Die Mathematik redet in Arithmetik, Geometrie, Akustik und Harmonie die gleiche Sprache, nämlich in Proportionen und Zahlen“, schreibt Korff. Er begreift die Musiktheorie als mathematisch Angelegenheit: Die Beziehung von 4:3 beispielsweise ist das mathematische Äquivalent einer Quarte.

Was nun kommen wird, ist die Reaktion der Fachwelt, vor allem der Ägyptologen. Die Ägyptologen sind so etwas wie ein Nadelöhr: Geht die Erkenntnis da durch, dann muss etwas an ihr dran sein. Der Heidelberger Archäologe Jan Assmann sagte in der ARD: „Bei Korff beruht das alles auf exakten Berechnungen und klaren Beobachtungen. Es ist insofern eine ganz ernst zu nehmende Entdeckung.“ Professor Rainer Stadelmann vom Deutschen Archäologischen Institut sagt: „Herrn Korffs Berechnungen und seine These erscheinen mir zwingend.“ Korff selbst sagt, wenn die Ägyptologen überzeugt seien, müssten die Ägypter grünes Licht geben, um die Pyramidenabmessungen nochmal zu überprüfen. Und dann „werden die harmonischen Strukturen in der Baukunst mit neuen Augen gesehen werden.“

Allerdings: Der Grundgedanke, Verbindungen zwischen Musik und Architektur zu suchen, ist nicht ganz neu. Die Metapher, Architektur sei „gefrorene Musik“, wird mit Friedrich Schlegel und dem Jahr 1803 in Verbindung gebracht. Und bei der Idee der Sphärenharmonie aus der griechischen Antike geht es um die Verbindung von Geometrie und Klang.

Trotzdem hat Korff gezeigt, dass es ein Harmonieprinzip gibt, das nicht nur akustisch funktioniert, sondern auch visuell. Das Harmonieprinzip ist das der Intervalle, die in der Obertonreihe enthalten sind. Und wenn der Mensch die altägyptischen Pyramiden als harmonisch empfindet, moderne Pyramiden wie die vor dem Louvre aber nicht, dann liegt das daran, dass die alten Pyramiden Klänge bilden und „das Gehirn rechnet, wenn es sieht“. Sagt Korff.

Außerdem sagt er, dass die Spezialisierung in der Wissenschaft zu Entfremdung führe und dass die Menschen wieder dahin zurück müssten, die Dinge zusammen zu denken. Was Korff nach und nach wie Schuppen von den Augen fiel, ist jahrtausendelang unentdeckt geblieben, weil Mathematiker und Musikwissenschaftler nichts mehr voneinander wissen.

Korff wird nun erstmal auf ein Kreuzfahrtschiff gehen, aber nicht als Urlauber, sondern als Bassist einer Jazz-Band, die für die Gäste spielen wird. Tagsüber wird er in seiner Koje sitzen und in den Horizont hineindenken. Sein nächstes Buch wird über Platon sein. Im Kopf hat er es schon fertig.

Friedrich Wilhelm Korff: Der Klang der Pyramiden. Olms Verlag, Hildesheim 2008, 400 Seiten, 48 Euro.