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Archiv-Artikel

Das nächste Theater kommt bestimmt

Mit der Bürgerversicherung will Rot-Grün 2006 in den Wahlkampf ziehen. Doch der Teufel steckt in den Details

BERLIN taz ■ Viele Pläne, die gleichzeitig nach Herz und Zukunft und Erfolg aussehen, hat das rot-grüne Lager gerade nicht. Deshalb glauben manche bei SPD, Grünen und Gewerkschaften, dass die Bürgerversicherung das einzige Thema ist, mit dem es sich für den Wahlkampf 2006 zu rüsten lohnt.

Das Kalkül lautet: Wenn die Union mit ihrer Kopfpauschale aus der Deckung kommt, werden wir die Bürgerversicherung als soziale Alternative aufbauen. Nach den Enttäuschungen, die die SPD ihren Wählern mit der Agenda 2010 bereitet hat, wäre dies – so die Vermutung – die einzige Rettung. Auch Kanzler Gerhard Schröder bekannte in seiner jüngsten Regierungserklärung, die Bürgerversicherung sei „der Weg, den wir gehen wollen“.

Zur Kopfpauschale alias Gesundheitsprämie hat sich die CDU auf ihrem Parteitag im November bekannt. Gegenwärtig wird noch am Konzept herumgefeilt. Die Pauschale ist ein einheitlicher Beitrag zur Krankenversicherung, zu zahlen vom Millionär wie von seinem Chauffeur. Letzterer würde aus Steuermitteln unterstützt, wenn die Kopfpauschale ihm zu viel abverlangt.

Bürgerversicherung, das bedeutet die Ausdehnung der bestehenden Krankenversicherung auf Gutverdiener, Selbstständige und Beamte – auf Gruppen also, die bislang privat und damit besser versichert sind. Auch würden die prozentual berechneten Beiträge nicht mehr nur vom Lohn, sondern auch von Kapitaleinkünften wie Zins- oder Mieteinnahmen abgeführt.

Kopfpauschale gegen Bürgerversicherung: Entlang dieses Grundsatzstreits könnte sich die nächste Bundestagswahl entscheiden. Bis dahin müssen die Fans der Bürgerversicherung, sagt Heinz Stapf-Finé, „das Konzept mit der nötigen Strahlkraft versehen“.

Stapf-Finé, Leiter der Abteilung Sozialpolitik beim Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB), gehört zu den Organisatoren der „gemeinsamen Anhörungen zur konkreten Umsetzung der Bürgerversicherung“. Hier trifft sich der Bürgerversicherungs-Fanclub: Gesundheitspolitiker von SPD und Gewerkschaften, Experten wie der Kölner Gesundheitsökonom Karl Lauterbach und der Augsburger Volkswirtschaftler Martin Pfaff. Hinzu kommen Sachkundige von Krankenkassen, von der Verbraucherzentrale und Aktivisten von der Grünen Jugend.

Die bisherige Debatte der Bürgerversicherer beweist jedoch: Um Strahlkraft in der Debatte über die Krankenversicherung zu entdecken, muss man schon ein Liebhaber solcher Worte wie „Beitragsbemessungsgrenze“ sein. Und diese Strahlkraft ist schnell alle, wenn hinter jeder gelösten Detailfrage hundert neue auftauchen.

Wobei die Sache mit der Beitragsbemessungsgrenze nicht nur ein Detail ist, sondern eine ordentliche Hürde. Diese Grenze gibt an, bis zu welchem Einkommen die Kassenbeiträge berechnet werden. Gegenwärtig liegt sie bei 3.487,50 Euro im Monat. Das heißt: Wer 4.000 Euro verdient (und noch in einer gesetzlichen Kasse ist), zahlt nicht mehr, als wer 3.487,50 Euro verdient.

Bei der Frage, wer für die Bürgerversicherung draufzahlen muss, ist es demnach entscheidend, wo die Bemessungsgrenze liegt. Wenn sie bleibt, wo sie ist, läuft dies darauf hinaus, dass zum Beispiel die Rentnerin nicht mehr nur auf ihre 1.500-Euro-Rente, sondern auch auf die Zinsen aus ihrem Ersparten Beiträge zahlen muss. Das Großgehalt des Unternehmers dagegen wird noch nicht einmal voll erfasst – geschweige denn die Einnahmen aus seinen Aktiendepots. Dies dürfte die Rentnerin erzürnen.

Erst zu Beginn dieses Jahres hat die SPD bei den Betriebsrenten gemerkt, was Kassenbeiträge auf „andere Einkommensarten“ bedeuten können: großes Theater. Bürgerversicherungs-Vorkämpfer Lauterbach schlägt daher vor, einen Teil der Kapitaleinkünfte beitragsfrei zu stellen.

Anhänger der reinen Lehre von der Bürgerversicherung wollen die ohnehin schwer verkäufliche Materie dagegen nicht gleich mit Ausnahmeregelungen zu befrachten. „Man kann nicht allen die Angst vor der Bürgerversicherung nehmen“, argumentiert Robert Paquet vom Bundesverband der Betriebskrankenkassen.

Nicht von ungefähr haben sich Teile der Wirtschaftselite schon zur Kopfpauschale bekannt. Es liegt im Wesen der Bürgerversicherung, dass vor allem gut gestellte Bevölkerungsgruppen stärker belastet werden. Offen ist eben, ob der Bürgerversicherungs-Fanclub auch ohne die Gutverdiener eine Massenbewegung wird. ULRIKE WINKELMANN