: Mehr Geld für den Aufbau
AUS BERLIN SVEN HANSEN
Finanziell gesehen ist die Berliner Afghanistan-Konferenz ein Erfolg. Die afghanischen Delegierten reisen zurück nach Kabul – mit 4,5 Milliarden US-Dollar an Hilfszusagen für das laufende Finanzjahr im Gepäck. Insgesamt 8,2 Milliarden sind es für die nächsten drei Jahre.
Damit wurde der vom afghanischen Finanzminister Aschraf Ghani für 2004 genannte Bedarf sogar leicht übertroffen und die gewünschte Perspektive gewiesen. Auf Zusagen in Höhe des von seinem Ministerium und der Weltbank ermittelten Bedarfs von 27,5 Milliarden Dollar für die nächsten sieben Jahre hatte Ghani ohnehin nicht gehofft. Schließlich weiß der frühere Anthropologieprofessor, der für UNO und Weltbank arbeitete, zu gut, dass Regierungen sich nicht auf solche Zeiträume festlegen.
Er sei für die Zusagen „sehr, sehr dankbar“, sagte der afghanische Präsident Hamid Karsai. Sie erfüllen zu 103 Prozent die Wünsche für das laufende Jahr und zu 65 Prozent die für das zweite Jahr. Nach den USA ist die Europäische Union mit 750 Millionen Euro zweitgrößter Geber. Japan sagte 400 Millionen Dollar für zwei Jahre zu, die Bundesregierung 320 Millionen Euro für vier Jahre. Über zusätzliche US-Gelder kann erst später entschieden werden – nach ihrer Freigabe durch den Kongress. Bundesaußenminister Joschka Fischer nannte die Zusagen ein „beeindruckendes Signal“.
Bemerkenswert an ihnen ist, dass sie über denen der Geberkonferenz von Tokio 2002 liegen. Normalerweise geht die Hilfsbereitschaft zurück. Doch offenbar hat sich die Erkenntnis durchgesetzt, dass verstärkte Hilfe dringend notwendig ist, um Afghanistan zu stabilisieren.
Für die höheren Zusagen machen Beobachter auch den professionellen Auftritt der afghanischen Delegation verantwortlich. Die Äußerungen des eloquenten Finanzministers Ghani, seine Regierung bitte nicht um milde Gaben, sondern rede von Investitionen in die Sicherheit der Welt, waren für viele Delegierte ungewohnt deutliche Töne. Denn zum Teil dominierten Zweckoptimismus, Schönfärberei und gegenseitiges Schulterklopfen die Konferenz der 700 Teilnehmer aus 56 Staaten.
Das zweitägige Treffen endete gestern Nachmittag mit einer „Berliner Erklärung“. Darin bekennen sich die Delegationen zur „Vision eines sicheren, stabilen, freien, prosperierenden und demokratischen Afghanistans“ und zu einer „andauernden Partnerschaft für die Zukunft“. Wie die Hilfszusagen soll auch dies Befürchtungen entgegentreten, die Weltgemeinschaft könnte sich nach den für September geplanten Wahlen aus Afghanistan zurückziehen. Vielmehr verpflichtet sie sich, Militäreinsätze im Rahmen der Operation „Enduring Freedom“ und der Friedenstruppe Isaf fortzusetzen, bis die im Aufbau befindlichen afghanischen Sicherheitskräfte in ausreichender Stärke einsatzbereit sind.
Teil der Erklärung ist auch ein von der afghanischen Regierung vorgelegter Arbeitsplan, der „freie und faire Wahlen“ an erster Stelle nennt, sowie ein Arbeitsbericht über die Zeit seit dem Bonner Petersbergabkommen 2001 und ein mit Afghanistans sechs Nachbarstaaten unterzeichnetes Abkommen zum Kampf gegen Drogenanbau und -handel. Es soll nach dem „Konzept eines Sicherheitsrings“ um Afghanistan die Zusammenarbeit zwischen den Behörden der Länder und die Überwachung der gemeinsamen Grenzen verbessern und basiert auf einem Vertrag über gute Nachbarschaft vom Dezember.
Kaum Fortschritte gab es dagegen bei der von der Regierung in Kabul, der UNO und Hilfsorganisationen gewünschten Aufstockung der internationalen Friedenstruppen. Nur der italienische Außenminister Franco Frattini kündigte in Berlin an, Rom werde ein so genanntes bewaffnetes Wiederaufbauteam nach Afghanistan entsenden. Einen Zeitpunkt wollte er aber so wenig nennen wie den Einsatzort. Aus diplomatischen Kreisen hieß es, bisher sei die westafghanische Stadt Herat geplant gewesen. Nach den jüngsten Kämpfen dort sei die Entscheidung aber wieder offen. Dem Vernehmen nach sollen US-Teams weiter im unruhigeren Süden des Landes eingesetzt werden, Teams der Nato und anderer Staaten dagegen nur im Norden.
Seit Ende 2002 wird in Afghanistan mit diesen militärisch-zivilen Formationen experimentiert. Sie sollen in den Provinzen den Aufbau sichern und den Einfluss der Zentralregierung stärken. Die Wirkung der zur Zeit elf Teams, davon acht unter US-Führung, ist vor allem psychologischer Art. Während Hilfsorganisationen die Vermischung ziviler und militärischer Aufgaben kritisieren, sind diese Teams ohnehin eine Notlösung. Denn kein Land ist bereit, die zu einer landesweiten Ausweitung der Kabuler Friedenstruppe Isaf benötigten Truppen zu stellen.
Zwar sagt die Nato in der Berliner Erklärung zu, fünf weitere dieser aus je bis zu 200 Soldaten bestehenden Teams bis zum Sommer zu entsenden und noch weitere folgen zu lassen. Doch da außer Italien in Berlin keine andere Nation eine Entsendung zusätzlicher Truppen ankündigte und die Nato schon seit Monaten händeringend Truppensteller sucht, ist es unwahrscheinlich, dass noch vor den Wahlen ein substanziell größerer Sicherheitsbeitrag geleistet wird.
Die afghanische Regierung verpflichtet sich, bis Ende Juni 40 Prozent aller Milizen zu demobilisieren. Doch sollte es beim Wahltermin im September bleiben, ist zu befürchten, dass die Warlords noch stark genug sind, um die Wahlen in ihrem Sinne zu beeinflussen.
„Die internationale Gemeinschaft hat nur einen vagen Plan, wie sie die Warlords loswerden will“, kritisiert der Afghanistan-Experte der US-Organisation Human Rights Watch, John Sifton, gegenüber der taz. „Man scheint nur darauf aus, sich unbedingt in Richtung Wahlen zu bewegen, wie sie 2001 in Bonn beschlossen wurden. Doch die Warlords verschwinden nicht einfach. Vielmehr droht jetzt, dass sie durch die Wahlen legitimiert werden.“
Laut Sifton würden Drogen- anbau und -handel die Warlords stärken und von der Zentralregierung unabhängig machen. Das Drogenbekämpfungsprogramm der Regierung, das in Berlin diskutiert wurde, sieht Maßnahmen in fünf Bereichen vor: bessere Strafverfolgung durch Stärkung und Schaffung von Institutionen wie der Drogenpolizei, Gesetzesreformen, landwirtschaftliche Alternativen zum Opiumanbau, Reduzierung der Nachfrage sowie die verstärkte Aufklärung der Öffentlichkeit. Auch soll die Drogenbekämpfung besser mit Entwicklungsprogrammen und den Aktivitäten der Truppen der „Antiterrorkoalition“, der Wiederaufbauteams und der Isaf koordiniert werden. Zwar bleibt das Programm bei der Frage, ob internationale Truppen direkt gegen den Drogenanbau vorgehen sollen, vage, doch ist eher an eine unterstützende Rolle für afghanische Kräfte gedacht.
„Geht das deutsche Wiederaufbauteam in Kundus nicht gegen die Drogenbarone vor, sollte es lieber abgezogen werden. Sonst schützt es letztlich den Drogenhandel“, meint dagegen Barnett Rubin vom Zentrum für internationale Zusammenarbeit der amerikanischen New York University zur taz. Rubin ist einer der weltweit profiliertesten Afghanistan-Forscher. Er wundert sich, dass in Berlin so viel Geld zugesagt wurde, ohne die Anstrengungen für die Sicherheit erheblich aufzustocken: „Geld kann doch nicht sinnvoll investiert werden, wenn die Sicherheit nicht gewährleistet ist.“
Zwar sind sich inzwischen sowohl die afghanische Regierung als auch die internationale Gemeinschaft der sicherheitspolitischen Risiken des massiven Drogenanbaus in Afghanistan und des völligen Scheiterns der bisherigen Drogenbekämpfung bewusst. Dies zeigten nicht zuletzt die vielen Statements zu diesem Thema bei der Konferenz und Präsident Hamid Karsais eindringliche Warnung bei der Eröffnung, dass der afghanische Drogenanbau „die Existenz des Staates“ bedrohe. Doch bleibt fraglich, ob die schwache Regierung in Kabul außer in symbolischen Bereichen vor den Wahlen überhaupt stärker gegen den Drogenanbau vorgehen kann. Schließlich dürfte es sich die Regierung mit der Bevölkerung in den Drogenanbaugebieten nicht verscherzen wollen. Sie braucht deren Stimmen.
Die Berliner Konferenz zeigte erneut die komplexen Zusammenhänge zwischen dem Drogen- und dem Sicherheitsproblem und mahnte eine bessere Koordination bei der Bekämpfung an. Schnelle Erfolge sind unrealistisch. Vielmehr bleibt das Risiko, dass die Wahlen „bloß einen undemokratischen und instabilen Status quo bestätigen“, wovor die angesehene International Crisis Group aus Brüssel in einem zur Konferenz veröffentlichten Bericht warnte.